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Gut gehalten? Dieses Schwein lebt auf einem Bio-Bauernhof, bevor es geschlachtet wird.

© Mohssen Assanimoghaddam/dpa

Özdemir will Haltungskennzeichnung für Lebensmittel: Erste Produkte sind nächstes Jahr im Laden

Von „Stall“ über „Außenkontakt“ und „Auslauf/Weide“ bis „Bio“: Das Label im Handel beginnt mit Schweinefleisch. Künast will auch die Gastronomie einbeziehen.

Auf eines kann Christian Schmidt stolz sein: Er war der erste Bundeslandwirtschaftsminister, der ein staatliches Tierwohllabel auf den Weg bringen wollte. Fünf Jahre ist es inzwischen her, dass der CSU-Politiker auf der Grünen Woche sein Siegel vorstellte. Zwar waren die Kriterien noch nicht recht klar, aber zumindest die Optik gab es damals schon: Sechseckig sollte das Tierwohllabel sein. Schwarz auf weiß mit schwarz-rot-goldenem Streifen ähnelte Schmidts Logo verdächtig dem Trikot der deutschen Fußball-Weltmeistermannschaft.

Aus dem Projekt ist nichts geworden. Und auch Schmidts Amtsnachfolgerin Julia Klöckner hatte kein Glück mit ihrem Tierwohllabel. Der Koalitionspartner SPD wollte sich nicht mit der Idee arrangieren, das Ganze auf freiwilliger Basis zu organisieren. Als die CDU-Politikerin nach dem Regierungswechsel ihren Stuhl räumen musste, war das Tierwohllabel ein frommer Wunsch geblieben.

Doch jetzt kommt neuer Schwung in das alte Projekt. „Wir führen ab 2022 eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung ein, die auch Transport und Schlachtung umfasst“, das haben SPD, Grüne und FDP in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) hält das Ziel angesichts steigender Rohstoffpreise und drohender Versorgungsengpässe durch den Krieg in der Ukraine für wichtiger denn je: „Der Umbau der Ställe passt gerade jetzt in die Zeit“, sagt der Minister. Die Tierbestände müssten sinken, mehr Tierschutz bedeute auch mehr Klimaschutz.

Vierstufige Haltungskennzeichnung zum Start

Eine Milliarde Euro sind in Özdemirs Etat für die ersten vier Jahre als Anschubfinanzierung für Bauern vorgesehen, die ihre Ställe tiergerechter umbauen wollen. Auch einen ersten Entwurf für die Haltungskriterien gibt es bereits. „Wir starten mit einer vierstufigen Haltungskennzeichnung“, sagte die Agrarexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast, dem Tagesspiegel. Das ähnelt nicht nur der Eierkennzeichung, sondern auch der Skala, die man jetzt schon im Handel auf abgepacktem Fleisch sieht.

Von der niedrigsten Stufe „Stall“ über „Außenkontakt“ und „Auslauf/Weide“ soll es bis zur Premiumstufe „Bio“ gehen. Noch im Sommer soll die gesetzliche Grundlage vorgestellt werden. „Nächstes Jahr werden gekennzeichnete Produkte in den Geschäften zu finden sein“, verspricht eine Sprecherin des Agrarministeriums.

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Begonnen wird mit Schweinefleisch, egal ob frisch, abgepackt oder tiefgefroren, im Lebensmitteleinzelhandel. „Aber wir müssen das System ausbauen“, betont Künast. Es müssten nicht nur alle tierischen Produkte einbezogen werden, sondern auch die Gastronomie. „Auch Restaurant- und Kantinenbesucher haben ein Recht darauf zu erfahren, was sie aufgetischt bekommen“.

Was ist mit Schlachtung und Transport?

Doch ganz so einfach wie es im Koalitionsvertrag steht, ist die Sache nicht. Es hakt gleich an zwei Punkten. So sollen nämlich Schlachtung und Transport zunächst nicht Teil der Haltungskennzeichung sein. Das sei kompliziert und zum Start noch nicht möglich, meint Künast.

Seine Vorgänger sind mit dem Vorhaben, ein staatliches Tierwohl-Label einzuführen gescheitert. Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) will es schaffen.
Seine Vorgänger sind mit dem Vorhaben, ein staatliches Tierwohl-Label einzuführen gescheitert. Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) will es schaffen.

© Fabian Sommer/dpa

Der Koalitionspartner SPD sieht das anders: „Alle Themen gehören zusammen: die Kriterien für die Haltung und die weitere Finanzierung“, betont Susanne Mittag, Sprecherin für Ernährung und Landwirtschaft der SPD-Bundestagsfraktion. „Für mich ist klar, dass ein Tierwohlkonzept nicht an der Stalltür enden kann. Die Frage, wie Nutztiere transportiert und geschlachtet werden, gehören zwingend dazu.“

Noch heikler ist die Frage, was nach der staatlichen Anschubfinanzierung kommt. Wer zahlt die höheren Kosten, die dauerhaft mit einer besseren Haltung verbunden sind? Vorschläge dazu liegen bereits auf dem Tisch: von einer höheren Mehrwertsteuer für Fleisch, Wurst, Eier, Milch und Käse, über eine produktbezogene Tierwohlabgabe bis hin zu einem Tierwohl-Soli. 40 Cent Aufschlag pro Kilo Fleisch, 15 Cent mehr für Käse und Butter würden reichen, um den Landwirten per Abgabe genug Geld für die höheren Standards zu verschaffen, hatte eine Expertenkommission unter Leitung von Ex-Bundesagrarminister Jochen Borchert (CDU) schon in der vergangenen Legisturperiode ausgerechnet.

Die FDP pocht auf den Markt

Künast hält das für ein gutes Modell. „Eine Abgabe auf Produkte, um bessere Haltungsbedingungen zu finanzieren, wäre die praktikabelste Lösung“, meint die einstige Landwirtschaftsministerin. Die Preisaufschläge dürften sich ihrer Meinung nach in dem Bereich bewegen, den die Borchert-Kommission vorgeschlagen hat. „Wir sprechen über verschiedene Modelle, nicht nur über eine Tierwohlabgabe“, betont dagegen Susanne Mittag.

Auf Drängen der FDP steht im Koalitionsvertrag, dass „ein durch Marktteilnehmer getragenes System“ die laufenden Kosten der Landwirte für die bessere Tierhaltung decken soll. Die Liberalen pochen darauf. Der Finanzminister habe die Grundlage einer Finanzierung zugesagt und über vier Jahre sichergestellt, sagte der landwirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion, Gero Hocker, dem Tagesspiegel. „Darüber hinaus gehende finanzielle Mittel müssen wie im Koalitionsvertrag formuliert von den Marktteilnehmern erbracht werden“, betont der FDP-Politiker. „Hierauf hat man sich vor einem halben Jahr verständigt und hieran fühlen sich die Freien Demokraten auch immer noch gebunden.“

Mit der FDP sei eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für Fleisch und andere tierische Erzeugnisse nicht zu machen, räsonierte Özdemir kürzlich vor Journalisten. Dass Bauern stattdessen einzelne Verträge mit dem Lebensmittelhandel schließen, um ihre Kosten ersetzt zu bekommen, hält der Landwirtschaftsminister nicht für praktikabel. Bliebe noch die Tierwohlabgabe. Ob sie kommt, ist unklar. Nur eines ist gewiss: „Wir haben den Auftrag, dieses Jahr ein Modell vorzulegen“, betont Özdemir. Jede Koalitionspartei müsse sich bewegen, um den Bauern eine Perspektive zu bieten, mahnt seine Parteifreundin Künast. „Wir sind in der Koalition zum Gelingen verpflichtet.“

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