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Attacke gegen Weselsky: Michael Vassiliadis, Chef der IG BCE, wirft der GDL vor, einen kleinen Horizont zu haben und dazu die Arbeitnehmerschaft zu spalten.

© dpa

Tarifkonflik bei der Bahn: "GDL ist eine Spalterorganisation"

Einer der führenden deutschen Gewerkschafter attackiert die GDL. Der Horizont der Lokführer "ist so klein wie ihre Mitgliedschaft", schreibt IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis im Tagesspiegel.

Fast könnte man meinen, die deutsche Gewerkschaftsbewegung werde durch die GDL repräsentiert. Die schmale Organisation der Lokführer ist alltäglich in den Schlagzeilen, weil Konflikte wie Streiks natürlich Auswirkungen haben und provozieren. Aber der Vorsitzende Claus Weselsky lässt auch gerne den Eindruck zu, als wäre er zum Helden der kleinen, unterdrückten Gewerkschaften erkoren. Dabei gerät allerdings aus dem Blick, dass die GDL das Gegenteil dessen verkörpert, was die deutsche Gewerkschaftsbewegung seit der Zerschlagung durch die Nationalsozialisten prägt und auszeichnet.
Nie wieder sollten Gewerkschaften gegeneinander stehen und sich gegenseitig schwächen. Das war die Gründungsidee der DGB-Gewerkschaften, und dieses Prinzip trägt bis heute. Nicht nur meine Gewerkschaft, die IG BCE, sondern alle DGB-Gewerkschaften sind einem klaren Grundverständnis verpflichtet. Wir kämpfen nicht nur für einige wenige Beschäftigte in einer Branche oder einem Betrieb. Wir wollen, dass alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Wachstum und Wohlstand teilhaben. Und damit sind wir seit über 60 Jahren erfolgreich.
Unsere Tarifverträge gelten für große Konzerne wie kleine Betriebe und mittelständische Unternehmen. Wir spielen nicht den Ingenieur gegen die Reinigungskraft aus, nicht den Schichtarbeiter in der Produktion gegen diejenigen, die in der Logistik für das Unternehmen arbeiten.

Wo war die GDL, als es um den Mindestlohn ging?

Weil das so ist, waren und sind die DGB-Gewerkschaften der Motor des sozialen Fortschritts in Deutschland. Sechs Wochen Urlaub, Altersteilzeit, Arbeitszeitverkürzung, betriebliche Altersvorsorge, Lohnfortzahlung bei Krankheit – die Liste dieser Erfolge ließe sich ohne weiteres fortsetzen. Und all das haben wir zusätzlich zu höheren Löhnen und Gehältern durchgesetzt. In der chemischen Industrie beispielsweise sind die Entgelte seit 2011 um 16 Prozent gestiegen – für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Branche, abgesichert durch unsere Tarifverträge. Spartengewerkschaften wie die GDL kümmern sich auch keinen Deut um diejenigen Beschäftigten, die zu Billiglöhnen schuften oder in Leiharbeit festsitzen. Wo war die GDL, als die DGB-Gewerkschaften den Mindestlohn durchgesetzt haben? Wo war sie, als wir Branchenzuschläge für Leiharbeiter vereinbart haben? Der Horizont solcher Spartengewerkschaften ist so klein wie ihre Mitgliedschaft. Wir, nicht die Minimaxe, haben in der großen Finanz- und Wirtschaftskrise Arbeitsplätze und Standorte gerettet. Wir haben die Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren durchgesetzt. Wir haben Einfluss und kämpfen für eine gerechte Steuerpolitik und für mehr Investitionen: in Schulen und Straßen genauso wie in unsere Standorte. Weil wir eben nicht nur an heute denken, sondern auch unseren Kindern gute Voraussetzungen für Arbeit und Leben bieten wollen.

Eine prägende Großgewerkschaft in einem Betrieb ist vernünftig

Die Stärke, die wir aus der Einheit beziehen, ist manchen Arbeitgebern ein echter Dorn im Auge. Sie versuchen aus Tarifverträgen auszubrechen, sie gehen mit allen Mitteln gegen die Gründung von Betriebsräten vor. Dahinter steckt die Vorstellung, es sei für sie viel vorteilhafter, auf Mitgestaltung und Mitbestimmung durch Gewerkschaften und Betriebsräte verzichten zu können. Diese Leute gucken über die Grenze und sehen, dass fast nirgendwo die Beschäftigten so stark teilhaben an den wirtschaftlichen Erfolgen wie in Deutschland – weil in vielen anderen Ländern die Gewerkschaften zersplittert sind, eben nicht das Prinzip gilt: ein Betrieb, ein Tarifvertrag, eine prägende Großgewerkschaft.
Es ist tragisch, dass dieser Angriff von Arbeitgeberseite durch Spalterorganisationen auf Arbeitnehmerseite begleitet wird. Die GDL, die nur einen Bruchteil der Bahnbeschäftigten vertritt, streikt jetzt, um auch Tarifverträge für Beschäftige abzuschließen, die in der großen Mehrheitsgewerkschaft EVG organisiert sind. Ohne jede Rücksicht auf das demokratische Mehrheitsprinzip.
Wir DGB-Gewerkschaften haben immer dafür gekämpft, dass der Betrieb keine demokratiefreie Zone ist. Es ist geradezu absurd und widersinnig, dass jetzt Kleinstgewerkschaften für sich das Recht reklamieren, den Mehrheitswillen der Beschäftigten nicht beachten zu müssen.
Ja, ein Streik der GDL für bessere Arbeitsbedingungen von Lokführern verdient Respekt und ist gutes Gewerkschaftsrecht. Sie haben dort die Mehrheit. Aber ein Streik, der sich vor allem gegen eine andere Gewerkschaft richtet, das ist ein Spaltpilz, der am Ende allen schadet: den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, den Unternehmen und Deutschland.

Michael Vassiliadis

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