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Wirtschaft: "Geplante Kreditaufnahme verstößt gegen Verfassung"

Mit der höheren Verschuldung wird die Arbeitslosigkeit nicht bekämpft / Euro-Verschiebung ist besser als Aufweichung der KriterienAm Freitag wird Bundesfinanzminister Theo Waigel seinen Nachtragshaushalt im Kabinett einbringen.Die Verschuldung übersteigt dabei die Investitionen, was nach dem Grundgesetz nur bei einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zulässig ist.

Mit der höheren Verschuldung wird die Arbeitslosigkeit nicht bekämpft / Euro-Verschiebung ist besser als Aufweichung der KriterienAm Freitag wird Bundesfinanzminister Theo Waigel seinen Nachtragshaushalt im Kabinett einbringen.Die Verschuldung übersteigt dabei die Investitionen, was nach dem Grundgesetz nur bei einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zulässig ist.Eine solche Störung muß vom Bundestag festgestellt werden.Daniel Rhée-Piening sprach darüber mit Professor Rolf Peffekoven, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Direktor des Instituts für Finanzwissenschaft in Mainz. TAGESSPIEGEL: Sehen Sie eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts? PEFFEKOVEN: Die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts wird an den Kriterien festgemacht, die in Paragraph 1 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes festgelegt sind: Stabiles Preisniveau, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und ein stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum.Ein stabiles Preisniveau und ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht sind meines Erachtens gegeben.Ein Wirtschaftswachstum von in diesem Jahr 2,5 Prozent und vielleicht 3 Prozent im kommenden Jahr, kann man auch als zumindest befriedigend ansehen.Angesicht von über 4 Millionen Arbeitslosen wird man aber schon von einer Störung ausgehen können.Kein Mensch käme auf die Idee bei einer derart hohen Arbeitslosenzahl von einem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht zu sprechen.Ferner müßte nachgewiesen werden, daß eine höhere Verschuldung zum Abbau der Arbeitslosigkeit beiträgt.Da kann man Zweifel haben, denn wir haben eine strukturelle und keine nachfragebedingte Arbeitslosigkeit.Dies hat die Bundesregierung auch selbst gesagt und deshalb angekündigt, die Erwerbslosigkeit durch eine Senkung der Steuern und Lohnnebenkosten bekämpfen zu wollen.Weiter will man in Bonn eine Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt und bei den Löhnen erreichen sowie den Haushalt konsolidieren.Aus diesem Grunde halte ich die geplante höhere Kreditaufnahme für nicht verfassungskonform.Dies entspricht auch dem Bundesverfassungsgericht, das ja gefordert hat, daß die Bundesregierung darlegen muß, wieso mittels einer höheren Verschuldung die Arbeitslosigkeit bekämpft werden kann. TAGESSPIEGEL: Ist das Stabilitätsgesetz noch zeitgemäß, oder sollte es reformiert oder gar gestrichen werden? PEFFEKOVEN: Das Gesetz ist ja geprägt von keynesianischem Gedankengut, ein Ungleichgewicht ist ein Auseinanderfallen von Angebot und Nachfrage.Dies entspräche dann einer Rezession, die wir aber derzeit nicht haben.Insofern müßte das Gesetz reformiert werden, denn es genügt nicht mehr den Notwendigkeiten heutiger Wirtschaftspolitik. TAGESSPIEGEL: Was würden Sie an Waigels Stelle tun? PEFFEKOVEN: Was wir brauchen ist ein Zurückführen der Kreditfinanzierung und dies über eine Ausgabenkürzung, also eine Senkung der Staatsquote, die ja über 50 Prozent liegt.Sich über Privatisierungen Luft zu verschaffen, geht nur einmalig, im kommenden Jahr haben wir dann wieder die gleichen Probleme.Ich denke auch, daß Ausgabenkürzungen durchaus möglich sind, denn es geht bei einem Ausgabevolumen von 1800 Mrd.DM doch nur um 40 bis 50 Mrd.DM.Wenn jemand 1800 DM verdient, kann ich doch auch von ihm verlangen, daß er 50 DM spart. TAGESSPIEGEL: Halten Sie das Ziel der Bundesregierung, die Arbeitslosigkeit bis zur Jahrtausendwende zu halbieren, für realistisch? PEFFEKOVEN: Genau eine Halbierung wird wohl nicht zu schaffen sein.Aber angesichts der Größe des Problems soll man sich solche Ziele ruhig setzen.Wir müssen die angekündigten Maßnahmen wie etwa die Steuerreform endlich durchsetzen.Dann wäre eine Reduzierung um jährlich etwa 500 000 möglich.Aber gegenwärtig haben wie eine politische Blockade. TAGESSPIEGEL: Sollte man angesichts der Haushaltslage in der Bundesrepublik die Einführung des Euro verschieben? PEFFEKOVEN: Die 17 Mrd.DM, um die es im Nachtragshaushalt geht, werden das Defizit um circa 0,4 Prozentpunkte erhöhen.Finanzminister Waigel sagt aber immer, daß das Maastricht-Kriterium von 3,0 Prozent erreicht wird.Dies ginge aber nur über die Rückführung der Defizite auf anderen Ebenen, etwa bei den Gemeinden oder den Sozialversicherungen.Ich glaube, daß wir bei 3,2 bis 3,3 Prozent landen werden.Ich bin kein sturer Verfechter der 3,0 Prozent, aber ich befürchte, daß wir 1998 bei der Entscheidung über die Mitglieder der Währungsunion Abstriche entweder bei den Stabilitätskriterien oder beim Zeitplan werden machen müssen.Vor diese Wahl gestellt, halte ich eine geregelte Verschiebung um zwei Jahre für die bessere Variante.

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