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Ohne staatliche Hilfe keine Chance. Messebauer gehören zu den Handwerkern, die von der Pandemie besonders getroffen sind.

© Imago

Handwerkspräsident Wollseifer: „Ich bin in großer Sorge um die Ausbildung“

Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer über die Pandemie, die Lost Generation auf dem Ausbildungsmarkt und Steuern für Amazon.

Herr Wollseifer, im Oktober haben Sie gesagt, einen zweiten Lockdown würden viele Betriebe kaum bewältigen können. Jetzt ist er da. Rollt im Frühjahr die Pleitewelle übers Land?

Die Betriebe haben schon Einiges hinter sich in diesem Jahr, eine Achterbahnfahrt. Das erste Quartal war super, dann wurde alles runtergefahren und im Sommer kam eine Erholung. Jetzt geht es wieder abwärts, und das trifft uns sehr. Die Rücklagen, die über Jahre aufgebaut wurden, sind mittlerweile aufgebraucht und das Eigenkapital schrumpft. Vielen fehlt die Liquidität, um einen starken Lockdown zu überstehen, so dass wir Hilfen der Politik brauchen.

Seit 2013 geht es aufwärts, viele Handwerker haben sehr gut verdient. Nach ein paar Monaten Corona sind die Reserven weg?
Das Handwerk ist Mittelstand mit Millionen Beschäftigten und einer hohen Belastung durch Steuern und Sozialabgaben. Dabei Eigenkapital aufzubauen, ist sehr schwierig. Und da der Umsatz unserer Betriebe in diesem Jahr vier Prozent unter Vorjahr bleibt, wird es für manche eng.

Welche Bereiche sind besonders betroffen?
Wir haben Branchen und Betriebe, die vollständig geschlossen sind, jetzt zum Beispiel auch wieder Friseure. Wenn die ganz schließen müssen, wie etwa auch die Messebauer, Veranstaltungstechniker und -caterer oder Kosmetikerinnen, oder hohe Umsatzausfälle haben, wie Gebäudereiniger, Wäschereien oder Brauer, die für Hotels oder Gastronomie arbeiten, dann sind irgendwann die Rücklagen weg.

Der Anteil der Personalkosten im Handwerk ist höher als in der Industrie. Umso mehr entlastet also die Kurzarbeitsregelung bis Ende 2021 und die Übernahme der Sozialbeiträge durch die Arbeitsagentur.
Ohne Frage hilft das – wie andere Maßnahmen auch. Die Bundesregierung hat viele Hilfen auf den Weg gebracht. Aber die müssen dann auch kommen. Die Novemberhilfen etwa werden erst im Januar ausgezahlt, das ist womöglich für manche zu spät. Es gibt ja nicht nur die Personalkosten, es müssen auch Mieten, Kredite und Leasingraten bezahlt werden.

Was seit Monaten gezahlt wird, ist die Ausbildungsprämie von 2000 oder sogar 3000 Euro. Hat sie gewirkt?
Die Hürden waren zu hoch und der bürokratische Aufwand zu groß. Gut ist, dass die Bundesregierung nun nachgebessert und den Zeitraum ausgeweitet hat, in dem Umsatzeinbrüche geltend gemacht werden können. Zudem ist die Höhe des Umsatzeinbruchs niedriger angesetzt worden. Jetzt kann das funktionieren. Doch was wir wirklich brauchen, ist grundsätzlich eine höhere Wertschätzung der beruflichen Ausbildung.

Hans Peter Wollseifer ist seit 2014 Präsident des deutschen Handwerks und damit der oberste Interessenvertreter einer Million Betriebe mit 5,5 Millionen Beschäftigten.
Hans Peter Wollseifer ist seit 2014 Präsident des deutschen Handwerks und damit der oberste Interessenvertreter einer Million Betriebe mit 5,5 Millionen Beschäftigten.

© Kai-Uwe Heinrich

Bis Ende Oktober waren sieben Prozent weniger Azubis an den Start gegangen als im vergangenen Jahr. Ist die Lücke kleiner geworden in den vergangenen Wochen?
Minimal. Wir werden deutlich hinter 2019 zurückbleiben, und das macht mir sehr große Sorgen. In der Finanzkrise hatten wir auch ein Minus von sieben Prozent. Das haben wir in den Folgejahren nicht wieder aufgeholt, und das sollte uns jetzt nicht noch einmal passieren. Wir müssen nicht von Lost Generation sprechen, doch die Sorge ist groß. Da müssen alle Akteure im Berufsbildungsbereich gegensteuern. Es kann ja nicht sein, dass die Jugendlichen Ehrenrunden in der Schule drehen, obwohl wir sie im Handwerk dringend brauchen und ihnen ja auch eine tolle Perspektive bieten können.

Wie viele Ausbildungsplätze sind derzeit nicht besetzt?
Um die 14 000 und das in allen der mehr als 130 Handwerksberufe. Die Jugendlichen können immer noch in eine Ausbildung starten.

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Also: Was ist zu tun, um das Handwerk attraktiver zu machen?
Immer wieder werben und informieren, dass das Handwerk in allen entscheidenden Zukunftsbereichen gebraucht wird, sie mitgestaltet und es da anspruchsvolle Berufe gibt. Wir haben inzwischen ein Berufsabitur, duale und sogar triale Studiengänge, wo junge Leute in viereinhalb Jahren die Ausbildung machen können, den Meister und ein Betriebswirtschaftsstudium. Bei uns im Handwerk können junge Leute sehr frühzeitig ihr eigener Chef werden. Ich selbst war mit 21 Jahren schon selbstständig.

Wie haben Sie das denn angestellt?
Ich hatte mich eigentlich für ein Architekturstudium eingeschrieben, doch dann starb mein Vater, und ich habe den Familienbetrieb übernommen. Eine Ausbildung hatte ich bereits, dann kam der Meister und mit 21 war ich selbstständig.

Heute ist das schwer vorstellbar.
Ja, aber auch heute immer noch möglich. Das müssen die Jugendlichen aber auch wissen. Daher fahren wir unsere Imagekampagne die nächsten fünf Jahre weiter und bemühen uns um die direkte Ansprache der Jugendlichen in Schulen und sozialen Medien oder über Formate wie Speeddatings oder WhatsApp-Sprechstunden. Doch man muss auch wissen: Inzwischen haben wir jährlich rund 120 000 Schulabgänger weniger als in früheren Jahren.

Kommt inzwischen die Digitalisierung im Handwerk voran?
Das Handwerk ist viel digitaler als die Schulen und vor allem auch die Verwaltung. Und was die digitale Werbung für eine Ausbildung betrifft: Viele junge Menschen erreichen wir so, aber schwer war das in diesem Jahr bei jungen Geflüchteten. Wegen Corona konnten unsere Willkommensbotschafter keinen Kontakt in den Sprachschulen oder Unterbringungen aufnehmen. Wir sehen uns als Handwerk nicht nur als Wirtschaftszweig, sondern auch als Gesellschaftsgruppe. Und als einen Bereich der Daseinsvorsorge, der die Bürger mit wichtigen Leistungen versorgt. Dafür brauchen wir Arbeitskräfte – und mehr Wertschätzung.

Sie fordern ständig weniger Bürokratie, Abgaben und Steuern, aber wollen gleichzeitig diverse Hilfen und Zuschüsse vom Staat. Wie passt das zusammen?
Das ist für uns kein Widerspruch. Unsere Betriebe leisten viel für dieses Land, versorgen Bürgerinnen und Bürger mit Produkten und Dienstleistungen, schaffen Arbeits- und Ausbildungsplätze vor Ort. Dafür dürfen Sie nicht immer mehr belastet werden. Sonst verlieren unsere Familienbetriebe die Lust an ihrem Handwerk. Und deshalb kann es nicht sein, dass wir in den kommenden Jahrzehnten lediglich immer nur die Rädchen ein kleines bisschen weiterdrehen. Mehr Pflege hier, etwas weniger Rente da, steigende CO2-Abgaben und Krankenversicherungsbeiträge, um nur einige Punkte zu nennen. Wir brauchen eine grundlegende Strukturreform der Sozialversicherung.

Wie sollte die aussehen?
Gesamtgesellschaftliche Aufgaben müssen auch gesamtgesellschaftlich angepackt und finanziert werden und nicht nur – wie es derzeit der Fall ist – ganz überwiegend von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die Sozialabgaben zahlen.

Also müssen die Steuern hoch?
Nein. Es muss allerdings selbstverständlich sein, dass alle in Deutschland tätigen Unternehmen, die ja auf unsere Infrastruktur, unsere Arbeitskräfte zurückgreifen, zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen. Das muss auch für die Anbieter der digitalen Wirtschaft gelten. Hier hinken wir im Steuerrecht dem technologischen Fortschritt und seinen Geschäftsmodellen hinterher. Frankreich, Großbritannien und Italien etwa haben da mit der Digitalsteuer bereits einen sehr konsequenten Weg eingeschlagen.

Sie hören sich so an, als würden Sie im nächsten Herbst die Linken wählen.
Das Handwerk ist parteipolitisch neutral.

Wie finden Sie denn die Grünen?
Die Farbenspiele sind nicht das Entscheidende. Wichtig ist eine Politik, die die mittelständischen Betriebe im Blick hat, eine Steuerreform angeht, sich um die Zukunftssicherung der Sozialsysteme kümmert. Das sind zentrale Themen für die nächste Legislaturperiode. In der darf die Sozialabgabenquote auf keinen Fall über 40 Prozent steigen, weil das die Wettbewerbsfähigkeit unserer personalintensiven Handwerksbetriebe deutlich verschlechtern würde.

Das müsste doch mit einer schwarz-grünen Regierung möglich sein.
Wir im Handwerk können Ökologie und Ökonomie zusammendenken und haben keine Berührungsängste zu den Grünen. Und im Übrigen: Klima- und Energiewende können nur mit dem Handwerk funktionieren.

Die autofreie Innenstadt in Köln ist gut?
Das kann man machen – wenn es genügend ÖPNV und Park-and-Ride gibt, und wenn Rettungsdienste, Warenverkehr und Handwerker zu ihren Kunden fahren dürfen. Die sind alle nicht nur systemrelevant, sondern systemtragend.

Im Sommer sollte Corona weitgehend überstanden sein. Die Sparquote ist hierzulande auf einem Rekordniveau, viele Leute haben Geld. Bekommen wir einen Post-Corona-Boom in der zweiten Hälfte 2021?
Schon während Corona haben viele Betriebe unter Beweis gestellt, wie flexibel sie auf die neue Marktlage reagieren können. Wir im Handwerk sind die Schnellboote der Wirtschaft und können uns rasch auf neue Rahmenbedingungen einstellen. Und unsere Betriebe haben Durchhaltevermögen.

Durchhaltevermögen brauchen auch die Kunden des Handwerks. Die Wartezeiten sind in der Pandemie nicht geschrumpft.
Wenn Sie einen Elektriker oder Sanitärfachmann suchen, dann kann es schon sein, dass Sie ein paar Wochen warten. Aber manche Kunden sind auch verunsichert und wollen keine Handwerker im Haus haben, obwohl etwas kaputt ist.

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