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Zelt am Straßenrand. In L. A. County stieg die Zahl der Obdachlosen im vergangenen Jahr auf 58 000 Menschen.

© AFP

Bezahlbarer Wohnraum in Kalifornien: "Der Wohnungsmangel ruiniert die Wirtschaft"

In Städten wie San Francisco zeigen sich die Folgen von Zuzug und Zuwanderung wie in einem Brennglas. Warum sie Berlin ähneln.

Die Preise für Wohneigentum steigen in Deutschland und steigen – in einigen Regionen können sich Normalverdiener den Kauf der Wunschimmobilie in einer beliebten Lage nun nicht mehr leisten. Vor allem in Ballungszentren wie München, Hamburg oder Berlin ist der Teuerungstrend enorm. Lässt sich denn da gar nichts machen?

Die Zuwanderung in die Metropolen ist kein singulär deutsches Phänomen. Sogwirkungen bekommen auch andere Großstädte in der Welt zu spüren. Ihre Bemühungen, die damit einhergehenden Strukturprobleme kleinzuhalten, sind unterschiedlich stark ausgeprägt. Besondere Aktivitäten hat der US-Bundesstaat Kalifornien angeschoben. Im Juni 2016 beschloss der Senat ein Bündel von Initiativen. Es soll nun in die „Pipeline“ des Gesetzgebers eingespeist werden, wie Gouverneur Jerry Brown und Vertreter der Demokratischen Partei am 17. Juli ankündigten.

Die Gesetze sollen noch in diesem Sommer verabschiedet werden. Im Kern geht es darum, dass Bauvorhaben nicht mehr so leicht gekippt werden können. Zum einen. Zweitens, vielleicht noch wichtiger: Bauvorhaben sollten beschleunigt werden. Drittens soll die Schaffung erschwinglicher Wohnungen unterstützt werden.

In Kalifornien wie in Berlin fehlen erschwingliche Häuser für die Mittelklasse

In Städten wie San Francisco zeigen sich die Folgen von Zuzug und Zuwanderung wie in einem Brennglas. Sie ähneln Berlin. Die Steuereinnahmen sind hoch, die Arbeitslosenrate niedrig. Kalifornien war schon immer ein bevorzugter Platz zum Leben, durchlief schon immer Wellen von steigenden Preisen. Doch Experten sagen, dass der Mangel an Neubauten und die boomende Wirtschaft die aktuelle Krise heraufbeschworen haben.

„Es ist nicht ein elitäres Problem an der Westküste“, sagt deshalb Senator Scott Wiener (Demokraten) aus San Francisco. Er vertritt San Francisco, Daly City, Colma, Broadmoor. „Der Wohnungsmangel beschädigt die Umwelt, weil Menschen zum Pendeln gezwungen werden. Er ruiniert die Wirtschaft“, sagt er. „Er betrifft breite Kreise des Staates.“

In Kalifornien wie in Berlin fehlen vor allem erschwingliche Wohnungen und Häuser für die Mittelklasse. Die Durchschnittskosten für Wohnungseigentum liegen laut „New York Times“ bei etwa 550000 Dollar, doppelt so viel wie im US-Durchschnitt. Die Mietpreise steigen schneller als die Einkommen. Es fehlen rund 1,5 Millionen Wohnungen für Bezieher kleinerer Einkommen.

In LA ziehen Menschen in Vans, die Zahl der Obdachlosen steigt

Dies ist wie eine Schere, die auch Wohnungssuchenden in Berlin die Luft abschneiden kann, sagt Robert Litwak, Geschäftsführer der „plusForta GmbH“ (Kautionsfrei.de): „Verdient eine Fach- beziehungsweise Führungskraft in Deutschland im Schnitt etwa 52000 Euro, sind es in Berlin lediglich 42865 Euro. Die unterdurchschnittlichen Einkommen kollidieren also mit den stetig steigenden Mieten, was zur Folge hat, dass der Berliner im Schnitt 45 Prozent seines gesamten monatlichen Einkommens für seine vier Wände ausgeben muss.“ Bei den Mieten sieht es also nicht besser aus als beim Wohneigentum.

Das ist auch in Kalifornien so: In Los Angeles und Sacramento stiegen die Mieten binnen Jahresfrist um vier Prozent. Die Folgen sind deutlich zu sehen. In Los Angeles ziehen Menschen in Vans, im Silicon Valley zeigen am Straßenrand dauergeparkte Wohnwagen, wie schwer es ist, in den Hot Spots der US-amerikanischen Westküste ein Zuhause zu finden. Nach Angaben der Gebietskörperschaft L. A. County – mit 9818605 Einwohnern die bevölkerungsreichste der gesamten Vereinigten Staaten – stieg die Zahl der Obdachlosen in den 88 selbstverwalteten Städten und vielen gemeindefreien Gebieten im vergangenen Jahr auf 58000 Menschen.

Die steigenden Hauspreise sind eine Bedrohung der Lebensqualität und der Wirtschaftskraft des US-Bundesstaates, dessen „Silicon Valley“ einer der bedeutendsten Standorte der IT- und High-Tech-Industrie weltweit ist. In den vergangenen fünf Jahren sind die Preise für Wohneigentum um 75 Prozent gestiegen: In Los Angeles, San Francisco, San Jose und San Diego. „Wir haben viele Städte in Kalifornien, die sehr glücklich über tausende neuer Arbeiter für ihre glitzernden neuen High-Tech-Standorte sind – gleichzeitig sind sie blind für deren Wohnbedürfnisse“, sagte zum Beispiel David Chiu, Leiter des Assembly Housing und Community Development Committee der Demokraten in San Francisco, zur Gesetzesinitiative.

„Wir können diese Krise nicht mehr ignorieren"

Wer kann sich das noch leisten? San Francisco ist für extrem hohe Mieten und Hauspreise bekannt.
Wer kann sich das noch leisten? San Francisco ist für extrem hohe Mieten und Hauspreise bekannt.

© Justin Sullivan/Getty Images/AFP

In Sacramento werden nun Gesetzgebungsverfahren befürwortet, die im Endeffekt darauf hinauslaufen, dass gegen jene Gemeinden scharf vorgegangen wird, die Bauvorhaben systematisch verzögern oder – unter dem tätigen Mitwirken von Bürgerinitiativen – zum Scheitern bringen. Es entstanden Organisationen wie „Yes in my back yard“, die für eine Verdichtung von Kiezen sind und auf die Kooperation mit Projektentwicklern setzen. Dennoch wird es wohl nur wenige politisch Verantwortliche geben, die den Bau eines Zehngeschossers in einem Viertel mit Einfamilienhäusern befürworten.

„Der Staat muss Maßnahmen ergreifen, um den schweren Mangel an erschwinglichem Wohnraum zu bekämpfen, der es praktisch unmöglich gemacht hat, dass sich Familien ein eigenes Haus oder eine Wohnung erarbeiten können“, sagt Kaliforniens Senator Jim Beall (Demokrat aus San Jose). Er schrieb und steht für das geplante Gesetz „Senat Bill3“. Damit soll Kalifornien ermöglicht werden, fast 11 Milliarden Dollar an verfügbaren Bundesfinanzierungen zu nutzen, um den Bau Tausender von Häusern und Wohnungen zu fördern, die mittel- und einkommensschwache Erwerber dann kaufen oder mieten können.

Wohnungsmangel ist der Kern des Problems

„Ein großer Teilkomplex der kalifornischen Wohnungskrise ist der Mangel an Angeboten“, sagt die Senatorin Nancy Skinner (Berkely): „Senat Bill 166 (SB 166) und Senat Bill 167 (SB 167) sollen helfen, Hindernisse für den Aufbau neuer Wohnungen zu minimieren.“ SB 166 ändert Kaliforniens bestehendes „No Net Loss“-Gesetz, mit dem der Naturzerstörung Einhalt geboten werden soll. So soll sichergestellt werden, dass die Städte weiterhin laufend mit Standorten für den Wohnungsneubau versorgt werden können.

SB 167 ergänzt schließlich SB 166 durch die Verfügung, dass dort mehr Einheiten gebaut werden können als bisher. SB 167 soll zudem dazu beitragen, dass Wohnungsbauvorhaben nicht mehr so leicht gestoppt werden können, sofern sie Anforderungen der Stadtplanung und die Zonierungsanforderungen im Großen und Ganzen erfüllen. Durch Senate Bill 35 (SB 35) schließlich soll ein stromlinienförmiges Genehmigungsverfahren für den Wohnungsneubau geschaffen werden, wenn Städte die Ziele der regionalen Housing Needs Assessment nicht erreichen.

Sind Städte nicht auf dem richtigen Weg, um diese Ziele zu erreichten, werden die Genehmigungsverfahren von Projekten nach SB 35 gestrafft, wenn sie eine Reihe objektiver Kriterien erfüllen – dazu gehören Erschwinglichkeit, Bau- und Umweltstandards.

„Kaliforniens Wohnungsmangel schadet der Wirtschaft, der Umwelt und der Lebensqualität des Staates“, sagt Senator Wiener, Autor von SB 35 . „Wir können diese Krise nicht mehr ignorieren. Jede Stadt muss ihre Rolle bei der Schaffung von Wohnraum spielen, damit junge Menschen in den Gemeinden leben können, in denen sie aufgewachsen sind. So können die Arbeiter in der Nähe ihrer Arbeitsplätze leben, anstatt zum Pendeln gezwungen sein, das so vieles vernichtet.“

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