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Die farbige Fassade des 1999 fertiggestellten Hochhauses sollte nach dem Mauerfall den Beginn einer neuen Ära repräsentieren und war eine der ersten natürlich belüfteten Hochhausfassaden weltweit.

© Annette Kisling

GSW-Hochhaus: Heulen und Lamellenklappern

An der stadtprägenden Fassade des einstigen GSW-Hochhauses zieht's. Abbauen und austauschen oder sanieren? Berlins Baukollegium ist für ein Upgrade

Nach fast einem Vierteljahrhundert langen Hin und Her dürfen Lamellen klappern. Doch müssen sie deshalb gleich ausgetauscht werden – gegen Stoffrollos, zum Beispiel? Der Eigentümer des „Rocket Tower“, die Amundi Asset Management Company (Paris), meint: Ja, unbedingt! Der Architekt des einzigartigen Gebäudes, Matthias Sauerbruch, meint: Nein, nie und nimmer! Er startete eine Online-Petition. Namhafte Architekten sprangen ihm bei. Berlins ehemalige Senatsbaudirektorin Regula Lüscher, Star-Architekt Daniel Libeskind und Tegel-Architekt Volkwin Marg gehören zu den 5300 Unterzeichnern, die sich bis Anfang Juli solidarisierten. Unterdessen beschäftigte sich auch das in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen angesiedelte und von der neuen Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt berufene Baukollegium – ein Beratungsgremium für Bauherren und die Bezirke – mit den Umbauplänen der Franzosen. Das Baukollegium sprach eine Empfehlung aus.

Alles nur Fassade? Vordergründig geht es um Ästhetik, hintergründig geht es um Geld

Weder die Pressestelle der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen noch die Senatsbaudirektorin mochten sie auf Anfrage dieser Zeitung der öffentlichen Debatte zur Verfügung stellen. Sie liegt dem Tagesspiegel, der die Causa in der Ausgabe vom 28. Mai öffentlich machte („Schatten über der Ikone“), dennoch vor. Die deutschen Statthalter der Eigentümerin, Oliver Hecklau und Timo Wolf (beide Sienna Real Estate Property Management, Hamburg) waren für den Tagesspiegel für Nachfragen zum Umbauprojekt weder telefonisch noch schriftlich erreichbar. Was ist da nur los? Droht nun eine der wenigen Berliner Architekturikonen der Nachwendezeit erlahmender Technik zum Opfer zu fallen, wie die FAZ befürchtet? Immerhin wird das Werk auch für die geschwungene Gebäudeform und das auskragende Dachsegel gelobt, die den Kamineffekt der konkaven Doppelfassade optimieren und zudem die Klimafassade vor schwerem Regen schützen.

Die hohen Energieverbräuche des Gebäudes, sowie die umfangreiche Ersatzteilbeschaffung für die Fassadenkonstruktion führen zu hohen Kosten, beklagen die Eigentümer. Zudem sei der Sonnenschutz durch häufige Ausfälle gekennzeichnet. Vierzig Prozent der Anlage seien derzeit nicht funktionsfähig.
Die hohen Energieverbräuche des Gebäudes, sowie die umfangreiche Ersatzteilbeschaffung für die Fassadenkonstruktion führen zu hohen Kosten, beklagen die Eigentümer. Zudem sei der Sonnenschutz durch häufige Ausfälle gekennzeichnet. Vierzig Prozent der Anlage seien derzeit nicht funktionsfähig.

© Annette Kisling

Dieses Hochhaus sollte nach dem Mauerfall den Beginn einer neuen Ära repräsentieren und war eine der ersten natürlich belüfteten Hochhausfassaden weltweit. „Alle flexiblen Elemente der Fassade sind mit einem zentralen Steuerungssystem verbunden und individuell von jedem Arbeitsplatz aus steuerbar. Durch diese Steuerung verändert sich das Bild vor allem der Westfassade kontinuierlich“, schreiben die Architekten zu ihrem Werk. Die Haustechnik war zu jener Zeit sehr vorausschauend. Die geringe Gebäudetiefe macht eine Querlüftung möglich. Und es gab Kühldecken.

Architekt Sauerbruch: Das Baukollegium hat für die Reparatur der Fassade plädiert

Matthias Sauerbruch war nach der Begehung seines Werks in Kreuzberg und der sich daran anschließenden Diskussion mit den Mitgliedern des Baukollegiums und Vertreter:innen der Eigentümer am 4. Juli zuversichtlich. Er hörte „nach einem für beide Seiten interessanten Austausch“ eine Vereinbarung heraus, „gemeinsam ein Sanierungskonzept zu erarbeiten und dieses nach der Sommerpause dem Baukollegium vorzustellen“. Es gebe also Hoffnung, schrieb er am 5. Juli an „liebe Freunde, dass das Ganze noch gut ausgeht“. Schließlich habe das Baukollegium „stark für den Erhalt und die Reparatur der Fassade plädiert“.

Dessen Empfehlung indes liest sich anders. Ganz anders. „Das Gremium empfiehlt, die weitere Bearbeitung wie ein Forschungsprojekt zu behandeln und das Gebäude weiterzudenken und ihm ein Upgrade zu geben. Nachhaltigkeit und eine gute Gestaltung müssen zueinanderkommen“, heißt es in der Erklärung von Baukollegiumsmitglied Roger Boltshauser (Zürich) im Auftrag des Gremiums. Das Gebäude müsse "in seiner prototypischen Funktion und seiner Schönheit respektiert werden", heißt es weiter - eine dehnbare Formel. Allein Co-Kollegiumsmitglied Anne Femmer (Leipzig) legte in einer eigenen Protokollnotiz nieder, dass aus ihrer Sicht „der Dialog über den Erhalt der Paneele erfolgreich weitergeführt werden kann“. Wirklich?

Berlins Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen positioniert sich auf Anfrage nicht deutlich an der Seite von Matthias Sauerbruch, der deutliche Kritik an der Berufung von Petra Kahlfeldt zur neuen Senatsbaudirektorin geübt hatte („keinerlei Erfahrung mit komplexeren partizipativen Prozessen“). Zur aktuellen Auseinandersetzung um den "Rocket Tower" ist vom Senator für Stadtentwicklung angesichts dieser Vorgeschichte wohl keine Solidaritätsadresse zu erwarten. "In einem von sehr großer konstruktiver Atmosphäre geprägten Fachgespräch konnte herausgearbeitet und vereinbart werden, dass bauliche Ertüchtigungen sowie andere Veränderungen, die das bestehende Gebäude in eine nächste Generation führen werden, immer in einem Einklang mit dem Gebäude und nicht gegen dieses geplant und getätigt werden müssen", erklärt ein Sprecher sibyllinisch auf Anfrage.

Das GSW-Hochhaus in Kreuzberg (seit 2017: Rocket Tower) bewegt seit Ende Mai einmal mehr die Stadtgesellschaft. 1999 nach Entwürfen des Büros Sauerbruch Hutton als Niedrigenergiehaus errichtet, war es seiner Zeit weit voraus. Das „Pioniergebäude“ (Matthias Sauerbruch) wurde berühmt für seine farbigen Metallpaneele. Sie schützen vor Sonne und sind beweglich. Durch die vorgesetzte Fassade wird ein Kamineffekt erzeugt, der durch seinen Luftstrom vor den Fenstern an heißen Tagen kühlende Effekte hat.
Das GSW-Hochhaus in Kreuzberg (seit 2017: Rocket Tower) bewegt seit Ende Mai einmal mehr die Stadtgesellschaft. 1999 nach Entwürfen des Büros Sauerbruch Hutton als Niedrigenergiehaus errichtet, war es seiner Zeit weit voraus. Das „Pioniergebäude“ (Matthias Sauerbruch) wurde berühmt für seine farbigen Metallpaneele. Sie schützen vor Sonne und sind beweglich. Durch die vorgesetzte Fassade wird ein Kamineffekt erzeugt, der durch seinen Luftstrom vor den Fenstern an heißen Tagen kühlende Effekte hat.

© noshe

Die Vertreter der Firma Sienna – Hecklau und Wolf – argumentieren nach Unterlagen, die dem Tagesspiegel vorliegen: „Die hohen Energieverbräuche des Gebäudes, sowie die umfangreiche Ersatzteilbeschaffung für die Fassadenkonstruktion führen zu hohen Kosten. Zudem ist der Sonnenschutz durch häufige Ausfälle gekennzeichnet. Derzeit sind etwa 40 Prozent der Anlage nicht funktionsfähig. Der Luftstrom innerhalb der Doppelfassade musste gedrosselt werden, um das Klappern und Schwingen der Lamellen zu unterbinden. Dadurch wurde das ganze Belüftungskonzept außer Betrieb gesetzt und ein Temperaturanstieg in der Fassade auf bis zu 68 Grad, gemessen am 3.7.2022, verzeichnet.“ Schon vorher wurden Kühlgeräte installiert.

„Das Gebäude ist heute viel dichter besetzt als es jemals geplant war“, entgegnete Rudi Scheuermann von der Arup GmbH Ingenieure und Partner in der Diskussion mit dem Baukollegium am 4. Juli.  „Zusammen mit dem erwähnten 40%igen Ausfall der Fassadenelemente ist dies der Hauptgrund für die erhöhte Wärmeentwicklung.“ Scheuermann ist bei Arup „Director und Global Leader Building Envelope Design“.

Die aktuellen Probleme sind altersbedingt - und hausgemacht

Für Matthias Sauerbruch sind die Probleme hausgemacht. Die Fassade sei „so gut wie nie richtig bedient und gewartet“ worden. Es sei erstaunlich, dass die Anlage über 22 Jahre lang durchgehalten habe (Lebensdauer für „normale“ Sonnenschutzanlagen: 10 Jahre). Überdies und außerdem: Seit der Fertigstellung des Gebäudes im Jahre 1999 gab es mehrere Nutzerwechsel, das jeweilige Facility Management hat selbstständig Änderungen an der hochkomplex entwickelten Fassade vorgenommen. So wurden die unteren Belüftungsklappen verschlossen, um die luftstrombedingte Bewegung der Lamellen und die in Folge davon störende Geräuschentwicklung in der Doppelfassade zu verhindern, was wiederum den Kühlungseffekt unterbunden hat. Er wies in der Sitzung mit Baukollegium mehrfach darauf hin, dass die Kühlanlage auf dem Dach ausgebaut worden sei und der Luftstrom so nicht funktionieren könne, weil bereits zu GSW-Zeiten die Zirkulation baulich verhindert worden sei.

Urheberrechtlich ist der "Rocket Tower" nicht geschützt

Droht nun eine juristische Auseinandersetzung, sollten sich Architekten und Eigentümer bei der angestrebten Neuordnung, respektive Reparatur nicht einig werden? Auf Denkmalschutz können sich die Architekten nicht berufen. Bliebe das Urheberrecht.

„Vielleicht fünf bis zehn Prozent aller Planungsleistungen unterstehen überhaupt dem Urheberrecht“, sagt auf Anfrage Stefan Hubertus, Jurist der Architektenkammer Berlin. „In so einem Fall gilt das Urheberrecht. Das heißt, der Bauherr hat relativ schlechte Karten, ohne Einverständnis des Architekten irgendwelche Änderungen vorzunehmen.“ Tatsächlich? Natürlich komme es aber auf die Verträge zur Errichtung des Gebäudes an, sagt Hubertus: „Was haben die Parteien denn damals vereinbart? Man kann natürlich auch Urheberrechte im Vertrag regeln.“ Es gebe da Änderungs-, Veränderungs- und Nutzungsrechte und vieles andere mehr. Was also haben Sauerbruch Hutton ausgemacht?

„Nein, es gibt keine Vereinbarung die unsere Urheberechte im Punkto Veränderung der Fassade schützt“, sagt auf Anfrage Juan Lucas Young, Architekt und Direktor des Architekturbüros Sauerbruch Hutton. Die neuen Eigentümer haben freie Hand. Man müsse das Kosten-Nutzen-Verhältnis im Auge behalten, sagte Timo Wolf am 4. Juli. Ein Gutachten soll nun zeigen, was finanziell und technisch geht – und was nicht.

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