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Jochen Hucke ist seit Ende Februar Genossenschaftsbeauftragter des Landes Berlin.

© Reinhart Bünger

Interview mit Genossenschaftsbeauftragtem Jochen Hucke: Berlin setzt einseitig auf die kommunalen Gesellschaften

Genossenschaftsbeauftragter Jochen Hucke kritisiert die Boden- und Finanzpolitik des Landes. Zu sehr setze man auf städtische Wohnbaugesellschaften.

Herr Hucke, wenn man bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen nach dem Stand der Dinge in Sachen Genossenschaften und Wohnen fragt, wird man an Sie – den Genossenschaftsbeauftragten – verwiesen. Haben Sie den Eindruck, dass Sie für den Senat mehr als ein Feigenblatt sind?

Feigenblatt ist vielleicht ein wenig zu negativ gesagt. Ich bin einer der Kommunikationskanäle, die es zwischen Genossenschaften und der Senatsverwaltung gibt. Die Genossenschaften können ihre Interessen auch selber wahrnehmen. Sie haben verschiedene Verbände, die Interessen für sie wahrnehmen. Das ist ein Vorteil – aber gleichzeitig auch ein Problem. Denn die Heterogenität dieser Szene tut den Genossenschaften momentan nicht gut.

Was können Sie da tun?

Ich kann nur Kommunikationsangebote machen und zwischen den Partnern hin- und herlaufen.

Sie sind also so etwas wie ein Scharnier.

Ja, genau.

Die Rolle der Genossenschaften wurden im Koalitionspapier Rot-Rot-Grün betont. Sind den Worten seit Ende 2016 auch Taten gefolgt?

Es sind Taten in der in Berlin üblichen Geschwindigkeit gefolgt. Nämlich Grundsatzerklärungen, denen dann gewisse grundsätzliche Konkretisierungen folgen. So will man zum Beispiel die Genossenschaften in den großen Neubaugebieten mit 20 Prozent beteiligen. Das Problem kommt aber sofort auf der nächsten Ebene: Einige große Neubaugebiete sind blockiert durch die Frage, wann endlich Tegel geschlossen und Schönefeld eröffnet wird. Zweitens: Die Masse der Flächen gehört überhaupt nicht dem Land Berlin. Es kann also keine direkten Umsetzungen realisieren. Und die Flächen, die Berlin künftig gehören, müssen zum Teil erst noch erworben werden.

Dann gibt es immer wieder die Problematik, dass bei vielen Flächen auch eine Vervielfachung von Ansprüchen besteht. Wenn es um Wohnraum für Geflüchtete geht, ist das zum Beispiel so. Das nächste Problem ist die Frage, an welchen Standorten präferiert man Wohnen, wo präferiert man Gewerbe? Und hier haben wir leider die Probleme, dass die beiden Stadtentwicklungspläne nebeneinander herzulaufen scheinen, indem sie Wohn- und Gewerbestandorte trennen. Hier könnte man viel mehr Mischnutzungen machen. Wie zum Beispiel bei dem von Ihnen thematisierten Betonwerk am Teltowkanal.

Der Preis spielt an dieser Stelle ja auch eine Rolle.

Es ist der große Vorzug des „besonderen Städtebaurechts“, dass man Preise gewissermaßen einfrieren kann in dem Stadium, das dem faktischen Zustand eines Grundstücks entspricht. Dazu wird eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme aufgerufen und am Ende der Entwicklung wird die Differenz zwischen dem Eingangswert und dem Endwert – wenn das Grundstück oder die Fläche fertig entwickelt ist – als Ausgleichsbetrag zur Entwicklung dieser Fläche abgeschöpft. Das wäre also ein großer Vorzug, um eine gewisse Deckelung bei den Bodenpreisen zu erreichen.

Gibt es Beispiele, dass Berlin so verfährt?

Traditionell ist Berlin häufig so verfahren. Zum Beispiel die „Entwicklungsmaßnahme Hauptstadt Berlin Parlaments- und Regierungsviertel“ wurde so angelegt. Und am Ende der Entwicklung muss der jeweilige Eigentümer die Bodenpreissteigerung, die durch die Entwicklungsmaßnahme entstanden ist, an das Land Berlin abführen. Aber das Geld fließt nicht in den allgemeinen Haushalt, sondern es wird verwendet, um die Gesamtentwicklung mitzufinanzieren.

Eine Deckelung der Bodenpreise also, eine interessante Variante. Die Genossen vom Möckernkiez könnten durch den Mietendeckel ins Schleudern kommen, und da sind sie nicht die Einzigen. Von Ihnen hat man zum Mietenstopp bisher keine öffentlichen Proteste gehört. Ober haben wir etwas überhört?

Sicher ist es nicht meine Funktion, mich zu jedem Thema sofort zu äußern. Es gibt seit Kurzem die vom Senat beschlossenen Eckpunkte zu dem Mietendeckel. Dort ist dieser nicht als Dauerrecht, sondern als temporäres Recht angelegt. Alles andere wäre auch meines Erachtens eindeutig gegen die Verfassung. Grundsätzliche Entscheidungen trifft im Wohn- und Mietenrecht der Bund, auch wenn es Juristen gibt, die im Auftrag der SPD-Fraktion ein etwas anders lautendes Gutachten geschrieben haben.

Sie haben die Lücken gesucht, wo man eine Eingriffsregelung des Landes begründen könnte. Sie haben aber nicht nachgewiesen, ob dieses Instrument Mietendeckel das bewirkt, was es bewirken soll. Aus den Eckpunkten geht allerdings auch nicht genau hervor, was er eigentlich genau bewirken soll. Auf jeden Fall wird es Ausnahmeregelungen geben, und unter diese Ausnahmeregelungen würde auf jeden Fall der Möckernkiez als Härtefall fallen.

Ok. Sie sind als Genossenschaftsbeauftragter ein Scharnier. Ein Scharnier kann laut und vernehmlich quietschen. Aber Sie finden die Regelung für Ihre Klientel für fünf Jahre erst einmal so machbar.

Für mich ist die Frage des Ziels dieser Regelung erheblich. Da muss das Land Berlin noch erheblich nachbessern. Dann wird man in der Tat auf die Details schauen müssen. Solange ein Mietendeckel die Mieten einfriert, wird ja keiner schlechtergestellt. Es sei denn, in Bezug auf Zukunftserwartungen.

Diese hängen häufig an der Bodenfrage – über die Verfügbarkeit und den Preis von Flächen. Könnten Sie als Genossenschaftsbeauftragter nicht über die BIM in Erfahrung bringen, wo Flächen für genossenschaftliches Wohnen über Planänderungen definiert werden könnten?

Da ist sicherlich ein Teil meiner Tätigkeit, aber ich bin eben nicht Teil der Verwaltung. Diese Informationen zu erhalten, unterliegt dem Datenschutz. Da habe ich gar keinen Zugriff.

Die Genossenschaft „Bremer Höhe“ baut und verdichtet in Hobrechtsfelde für eine Miete von 10 Euro kalt den Quadratmeter. Das sind Preise, die die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gar nicht gerne wahrnimmt. Vertreibt die Stadt Berlin ihre Genossenschaften ins Umland?

Den Eindruck habe ich schon. Man setzt zurzeit sehr einseitig auf die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, die sogenannten Städtischen. Es gibt ja in der Tat noch weitere Berliner Genossenschaften, die Neubauprojekte außerhalb Berlins realisieren. Wer soll es ihnen verdenken, zudem wir im Prinzip ein gemeinsamer Wirtschaftsraum sind. Aber es wandern eben dadurch Berliner Steuerzahler ins Umland ab! Andererseits meint man ja, dass man in Steuergeldern schwimmt und gibt diese fleißig aus – zum Beispiel für die Ausübung von Vorkaufsrechten. Dann sollte man sich auch überlegen, ob man nicht gleichzeitig einen Fonds auflegt, wo man systematisch den Ankauf von Grundstücken innerhalb der Stadt finanziert und diese Grundstücke dann weitergibt. Dieses Mal bevorzugt an Genossenschaften.

Eine zauberhafte Idee, da würden sich viele Menschen freuen. Berlin könnte viel, viel mehr Genossenschaften vertragen. Aber Sie alle führen lange Wartelisten oder haben sogar einen Aufnahmestopp. Sie haben 2016 selbst eine Genossenschaft gegründet. Wie lang ist denn ihre Warteliste und welche Expansionsmöglichkeiten haben Sie?

Wir sind eher auf dem Level, das Sie eben mit dem Möckernkiez ansprachen, der eine Spreizung zwischen 9 und 13 Euro pro Quadratmeter kalt hat. Bei uns ist das etwas über 10 Euro. Wartelisten haben wir nicht. Wir werden eine Vollvermietung hinbekommen, und dann planen wir auch schon die nächsten Projekte, die dann hoffentlich in dem Bereich des Gartenfeldes sind.

Bei Ihnen bekommt man eine Wohnung?

Ja, aber man muss sich dann eben auch mit dem Standort anfreunden. Das ist dann eben nicht Berliner Innenstadt innerhalb des S-Bahnrings, sondern im Übergang in das Berliner Umland. Das Moselviertel in Weißensee ist ein guter Wohnstandort.

Das Land Berlin hat die Erbbauzinsen – auch nach einer entsprechenden Berichterstattung im Tagesspiegel – endlich abgesenkt. Lässt sich jetzt gut damit arbeiten?

Nein. Die Absenkung betrifft ja nur den Erbbauzinssatz, der halbiert wurde auf ein Niveau, das immer noch oberhalb des Kapitalmarktzinssatzes liegt. Wenn ich ein Grundstück kaufen könnte, habe ich das nach 30 Jahren abbezahlt. Der Erbbauzins ist teurer, weil ich über die gesamte Laufzeit von zum Beispiel 100 Jahren zahle. Und ich habe immer die sogenannte Bemessungsbasis. Das ist für das Land Berlin nach wie vor der Verkehrswert eines Grundstücks, und der Verkehrswert hat sich in den vergangenen Jahren vervielfacht. Während der Laufzeit des Zinses finden gelegentlich auch Anpassungen des Basiszinssatzes an den Verkehrswert statt. Solches Zeug muss weg. Man muss zurückkehren zu dem Grundsatz, dass die Kommunen Grundstücke verbilligt abgeben sollen.

Erbbaurecht ist also nicht attraktiv.

Man müsste sagen: Laufzeit 100 Jahre und tatsächlich ein Erbbauzins deutlich unter dem, was sonst auf dem Kapitalmarkt angesagt wird. Denn das Land Berlin will ja auch eine Gegenleistung dafür haben. Nämlich eine günstige Miete. Durch die Preissteigerungen der Grundstücke liegen die Gesamtpreise im Geschosswohnungsbau deutlich höher, als das in der Vergangenheit der Fall war. Damals waren es zwischen 10 bis 20 Prozent, die für den Boden im Gesamtpreis veranschlagt wurden. Heute schlagen sie sich deutlich in der Kostenmiete nieder. Deshalb kommt man zu Preisen von 10 Euro pro Quadratmeter und darüber.

Dann müssten Sie sich aber doch deutlich gegen einen Mietendeckel aussprechen.

Nein, der positive Punkt ist ja, dass der Neubau explizit vom Mietendeckel ausgenommen ist. Allerdings gibt es im Hintergrund auch schon Leute, die fragen, wie lang er ausgenommen ist. Im Prinzip sollte ein Genossenschaftsprojekt so ausfinanziert sein, dass ich nicht die Mieten steigern muss. Denn ich entschulde mich ja durch die Tilgung und es gibt keinen Grund, die Nutzungsentgelte zu erhöhen – es sei denn, um Kapital anzusammeln für weitere Bauvorhaben, zum Re-Investieren oder Instandhaltungsmaßnahmen oder für steigende Gehälter.

Die Traditionsgenossenschaften haben Reserven angesammelt, sodass ich vermute, dass die ohnehin diesen Mietendeckel locker wegstecken könnten. Es fehlt ihnen aber dann bei anderen Sachen: Durch den Mietendeckel wird die Bereitschaft, neu zu bauen, deutlich zurückgehen. Das scheint das Land Berlin nicht zu interessieren, müsste es aber. Weil die Maßnahme ja eigentlich dazu führen soll, dass der Wohnungsmarkt wieder ins Gleichgewicht kommt.

Jochen Hucke ist seit Ende Februar Genossenschaftsbeauftragter des Landes Berlin. Der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler gründete 2016 die „Besser Genossenschaftlich Wohnen“.

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