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Parfumherstellung: Wenn Meereiche im Duft versinkt
Verführung der Sinne: Capri betört mit wilden Nelken aus den Augustusgärten
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Man(n) muss hier schon in Stimmung sein, um Schwellenängste zu überwinden. Die Parfümerie in der Via Matteotti 2d ist im Inneren eine Mischung aus Destillerie und holzgetäfelter Apotheke mit fünf weiß bekittelten Verkäuferinnen hinter einem langen Verkaufstresen, jedoch ohne Kundschaft. Außen erinnert das Ambiente an Aladin und die Wunderlampe.
Ob es hier auch Duftöle gegen schreckliche Berliner Winter gibt? Ach, verweilen wir noch. Augenblick, Du bist so schön. „Haben Sie auch Düfte für Männer, After Shave vielleicht?“ – „Ma certo“, sagt die Capresin, sicher, und beträufelt den ersten Teststreifen: „Eher zitronig oder herb?“
13 Düfte hat die Parfümerie Carthusia im Angebot. Von Aria di Capri (Zitronen- und Orangenessenzen kombiniert mit der Süße von Mimosen, Jasmin und Pfirsich) über „Ligea la Sirena“ („die pudrige Wärme süßer Myrrhe im Zusammenspiel mit der Frische von Mandarinen“) bis „Numero Uno“ („die Intensität von hellem Moschus und der würzige Charakter des Rosmarins – für dynamische Männer mit Entdeckergeist“). Die Auswahl reicht uns. Zum Glück destilliert Carthusia nicht an der ligurischen Küste, einer der duftreichsten Gegenden der Welt – die Duftkarte wäre wohl unüberschaubar.

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Der Legende nach begann die Geschichte von Carthusia („I Profumi di Capri“) im Jahr 1380, als der Prior des Klosters des heiligen Jakobus auf Capri anlässlich des Besuchs der Königin von Neapel, Johanna 1. von Anjou, ein Bouquet der schönsten Blumen der Insel zusammenstellen ließ. Nachdem diese einige Tage in einer Vase gestanden hatten, bemerkte er, dass ihr Wasser einen herrlichen Duft verströmte. Er suchte nach dem richtigen Riecher und fand ihn in Gestalt des Klosteralchemisten, der den Duft auf die wilde capresische Nelke, Garofilum silvestre Caprese, zurückführte und nach dem Vorbild des Wassers das erste Parfum der Insel schuf. Zu diesem Zeitpunkt war – infolge einer Entdeckung arabischer Gelehrter im 13. Jahrhundert – bereits bekannt, dass Alkohol der wichtigste Bestandteil moderner Parfums ist. Er machte Öle und Salben als Duftträger überflüssig – im Sinne des Wortes.
Mit Genehmigung des Papstes – von wem auch sonst? – wurden die damals entwickelten und in ihrer Wirkung überaus betörenden Formeln erst 1949 wiederentdeckt und an einen Chemiker aus dem Piermont übergeben. Er richtete sich im Kloster ein kleines Labor ein, das er „Carthusia“ nannte, hergeleitet von dem italienischen Wort Certosa = Kartause.
Die wilde capresische Nelke parfümierte Blumenwasser
Der Chemiker wohnt nicht mehr in dem nahegelegenen Karthäuserkloster, sonst würde es hier nicht wohl so modrig riechen. Immerhin ist es im Sommer schön kühl in den alten Gemäuern. Der Gründer des Kartäuserklosters (zwischen 1371-74) war Giacomo Arcucci, Graf von Minervino und Altamura, Sekretär der Königin Johanna I. von Neapel, der vornehmsten Familie von Capri. Verlassen von den Mönchen, wurde das alte Kloster zu einem Ort der Verbannung: von einem Gefängnis (1815) zu einem Invalidenhospiz und von diesem zu einem militärischen Verbannungsort einer Strafkompanie (1860). So fügt es sich, dass dort heute das Museum Karl Wilhelm Diefenbach beheimatet ist – mit depressiv anmutenden Bildern des Symbolisten, des Lebensreformers und Urvaters der Alternativbewegungen. Angezogen von der wilden capresischen Nelke wurde wohl nicht nur er, der Vorkämpfer der Freikörperkultur.
1900 wurde mit dem Bau der Via Krupp begonnen
Auch „Kanonenkönig“ Friedrich Alfred Krupp wollte hier – ganz in der Nähe – schließlich zuhause sein. Krupp war oft und lange auf Capri, ein bedeutender Mäzen der Insel zudem. 1900 wurde mit dem Bau der Via Krupp begonnen, einer in den Steilhang des Monte Castiglione gehauenen Fußgänger-Verbindung mit Haarnadelkurven. So wollte Krupp – vom eigenen Anleger aus – schnell sein bevorzugtes Hotel erreichen. Zwar wurde die Treppe bereits 1902 fertiggestellt, doch Krupp konnte sie nicht mehr nutzen. Er wurde in diesem Jahr ein frühes Opfer der Boulevardpresse, die sich begierig auf das ausschweifende Leben des Industriellen auf der Sonneninsel stürzte, der Männer liebte.

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„Vielleicht eher herb, vielleicht ein Eau de Parfum?“ Die schwarzhaarige Verkäuferin reicht mit Hingabe „Carthusia Uomo“ – eine besondere Mischung aus Himbeere, Rosenholz und Meereiche. „Für Männer, die überraschen wollen“, sagt sie noch. Als Basis seiner Herrendüfte verwendet Carthusia Rosmarin, gepflückt auf dem Monte Solaro im Süden der Insel, bei den Damendüften ist es – natürlich – die wilde Nelke Capris. Nicht verschwiegen werden darf indes, dass die Parfümindustrie die meisten natürlichen Rohstoffe inzwischen künstlich nachbilden kann – aber eben nicht alle.
Natürliche Riechstoffe können aus zerkleinertem Material durch Destillation gewonnen werden, durch Einweichen, Auspressen oder Absorption durch Fett (Enfleurage).
Parfüms haben unterschiedliche Duftintensitäten und Duftwirkungen, es könnte sogar von Eskalationsstufen die Rede sein: von kaum wahrnehmbar über riech-, aber nicht zuordnungsbar über erkenn- und wahrnehmbar bis angenehm. Dann aber beginnt schon die Negativskala: Parfüms können Menschen in die Flucht schlagen; die Zusammenarbeit im Büros kann auf harte Proben gestellt werden: Kollegen rümpfen die Nase.
Es könnte auch eine harte Probe werden, wie Carthusia Uomo auf Mitmenschen wirkt. Überraschend ist der Duft in der Tat. Weil es aber auch negative Überraschungen gibt, sollte vielleicht noch eine zweite Note mitgenommen werden: „Mediterraneo ist ein dynamisches Parfum durch das Zusammenspiel frischer Zitronenblätter und grünem Tee.“
Zitrusdüfte verlieren leicht an Intensität
Damit dürfte nichts schief gehen. Solange es hält. Denn Zitrusdüfte sind leider diejenigen, die sich im Laufe der Zeit leichter verändern oder gar ihr Aroma verlieren. Als Faustregel gilt daher: Das 100-ml-Format ist gut für den Alltag, für besondere Anlässe sollte zu kleineren Formaten (50 ml) gegriffen werden. Je natürlicher die Inhaltsstoffe sind, desto kürzer ist die „Konservierungszeit“ ab dem ersten Sprühen. Besser also, „Mediterraneo“ bleibt noch eine Weile geschlossen. Die Erinnerung an die Augustusgärten mit ihrem eigenartigen Showroom von Carthusia, dem durch eine Glasscheibe abgetrennten Labor, bleibt noch eine Weile frisch. Wie der Duft des Seidenpapiers.
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