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 Container werden am Container-Terminal Burchardkai im Hamburger Hafen gelagert.

© dpa/Christian Charisius

Industrie fordert Politikwechsel: „Jahrelang haben Regierungen wichtige Reformen hinausgeschoben“

Die Industrie fürchtet als Folge der Trump-Zölle ein noch stärkeres Absinken der deutschen Wirtschaftsleistung. Der BDI fordert eine Investitionsoffensive, die Gewerkschaft IG BCE eine Vermögensabgabe für ganz Reiche.

Stand:

Deutschland fällt nach Einschätzung der Industrie weiter zurück. Während die Wirtschaftsleistung im gesamten Euroraum voraussichtlich um 1,1 Prozent wächst, setze sich hierzulande die Rezession in diesem Jahr mit minus 0,1 Prozent fort, befürchtet der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

„Die Lage ist sehr ernst: Vor allem das Wachstum der Industrie hat einen strukturellen Bruch erlitten“, sagte BDI-Präsident Peter Leibinger in Berlin.

Die Schwäche des Standorts sei bereits 2018 deutlich geworden, Coronapandemie und Energiepreiskrise infolge des Angriffs der Russen auf die Ukraine hätten die Probleme verschärft.

Peter Leibinger, der neue BDI-Präsident.

© dpa/Sebastian Gollnow

„Jahrelang haben Regierungen wichtige Reformen hinausgeschoben, Investitionen zurückgehalten und sich mit dem Status quo begnügt“, sagte Leibinger.

Der BDI fordert eine Investitionsoffensive über zehn Jahre mit einem Volumen von 400 Milliarden Euro, der DGB geht sogar von 600 Milliarden Euro aus.

Deutschland steht an einem Scheideweg.

BDI-Präsident Peter Leibinger

Zur Finanzierung eines Teils der Investitionen schlägt die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) eine einmalige Vermögensabgabe des reichsten Tausendstels der Bevölkerung in Höhe von fünf Prozent vor. Das würde ausreichen, „um ein Drittel der bis 2030 für Modernisierung und Transformation notwendigen staatlichen Investitionen in Höhe von insgesamt rund 500 Milliarden Euro zu finanzieren“, sagte der IG BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis am Montag ebenfalls in Berlin.

„Es wird Zeit, dass die besonders Vermögenden mehr Verantwortung übernehmen“, sagte der Gewerkschafter. Die von Milliardären zu tragende Abgabenlast sei geringer als bei einem normalen Arbeitnehmer.

Ebenso wie der BDI sieht die Industriegewerkschaft das Land in einer schweren Krise, für Vassiliadis ein „toxischer Mix aus strukturellen und konjunkturellen Problemen“.

Die Politik mehrerer Jahrzehnte hat viel zu lange nur Ansprüche formuliert, aber selbst nicht geliefert.

Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE

In den Branchen der IG BCE seien derzeit mehr als 200 Restrukturierungs- oder Schließungsvorhaben geplant, die 25.000 Arbeitsplätze kosten könnten. Viele Standorte hätten lange von der Substanz gelebt und stünden jetzt am Scheideweg: modernisieren oder abwandern. An dieser Stelle komme die nächste Bundesregierung ins Spiel.

„Die Politik mehrerer Jahrzehnte hat viel zu lange nur Ansprüche formuliert, aber selbst nicht geliefert“, sagte Vassiliadis. „Die nächste Bundesregierung muss das Ruder herumreißen.“

Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie (Archivbild von 2023).

© dpa/Julian Stratenschulte

Wohin die Richtung gehen sollte, habe eine Umfrage unter mehr als 5000 Chemiebeschäftigten ergeben: Niedrigere Energiepreise, Bürokratieabbau, Anreize für Produktion und Investition im Inland sowie eine Reform der Schuldenbremse seien demnach die wichtigsten Stellschrauben zur Überwindung der Krise.

Ebenso wie Vassiliadis erwartet auch BDI-Präsident Leibinger schwierige Bedingungen im US-Geschäft. Wenn Präsident Donald Trump die angekündigten Zölle tatsächlich einführte, könnte die exportorientierte deutsche Wirtschaft sogar um 0,5 Prozent schrumpfen, fürchtet der Spitzenverband.

„Es gilt, eine kluge Balance zwischen Entschlossenheit und Flexibilität zu finden und die eigene Position strategisch neu auszurichten“, sagte Leibinger. Deutschland und die EU benötigten „strategisch wichtige Kompetenzen, die unser Partner nur bei uns findet“.

Leibinger hatte Anfang des Jahres Siegfried Russwurm an der Spitze des Industrieverbandes abgelöst. Der Maschinenbauingenieur ist ein Sohn Berthold Leibingers, der den schwäbischen Mittelständler Trumpf zu einem weltweit tätigen Hightech-Konzern ausgebaut hatte. Peter Leibinger leitet den Aufsichtsrat des Unternehmens.

„Deutschland steht an einem Scheideweg“, sagte der neue Industriepräsident. Die Wirtschaft habe eine starke Basis und benötige aber „eine Bundesregierung, die mit Entschlossenheit, Stärke und Zutrauen die Entscheidungen trifft, die Deutschland als Industriestandort wieder auf Erfolg ausrichten“.

Dazu gehört für Vassiliadis zwingend eine Reform der Schuldenbremse, um die Zukunftsinvestitionen zu stemmen. „Viele Konzerne beneiden den deutschen Staat um unsere Schuldenquote und das Rating“, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende. „Warum setzen wir es nicht zur Zukunftssicherung ein?“

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