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Vor allem im Dienstleistungsbereichen dürften die Löhne und Preise kräftig steigen.

© dpa/Sina Schuldt

Update

„Jobs müssen sich rechnen, sonst fallen sie weg“: Verbände und Ökonomen kritisieren Mindestlohn-Entscheidung

Der Mindestlohn soll um 1,78 Euro steigen: Gewerkschaftsnahe Politiker wie Ökonomen sind enttäuscht. Arbeitgebern sehen darin dagegen ein Risiko für ihre Betriebe. Reaktionen auf die Angekündigung.

Stand:

Die Mindestlohnkommission empfiehlt, den gesetzlichen Mindestlohn in zwei Schritten auf 14,60 Euro im Jahr 2027 zu erhöhen. Einen entsprechenden Beschluss hat das Gremium am Freitagmorgen gefällt und verkündet. Aktuell liegt er bei 12,82 Euro. Über sechs Millionen Beschäftigten winkt mit zunächst 8,4 Prozent und dann 5,0 Prozent eine kräftige Lohnerhöhung.

Die Entscheidung hat in Politik wie Wirtschaft gespaltene Reaktionen hervorgerufen. Arbeitnehmernahen Vertretern geht der Beschluss nicht weit genug, Arbeitgeber und Verbände warnen vor den Folgen für Preise, Löhne und Arbeitsmarkt. Die Kritik im Überblick.

Wenn diese Mindestlohnkommission wieder einen Sinn haben soll, braucht sie offensichtlich einen Arschtritt des Gesetzgebers.

Ines Schwerdtner, Die Linke


Politik

Ines Schwerdtner (Die Linke): Die Vorsitzende der Linkspartei zeigte sich von der Entscheidung der Kommission enttäuscht. „Dass die Mindestlohnkommission daran scheitert, den Mindestlohn auf das europäische Mindestmaß anzuheben, ist ein Armutszeugnis“, sagte Schwerdtner. Sie forderte, künftig automatisch eine Mindestanpassung vorzunehmen. „Wenn diese Mindestlohnkommission wieder einen Sinn haben soll, braucht sie offensichtlich einen Arschtritt des Gesetzgebers.“

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Zudem ging die Linken-Politikerin die SPD scharf an. „Die SPD verkauft hier den Mindestlohn für den Koalitionsfrieden“, sagte Schwerdtner. „Damit bricht die SPD eines ihrer zentralen Wahlversprechen. Ich bin gespannt, was der heute startende SPD-Bundesparteitag in der Hinsicht bringt.“

Felix Banaszak (Grüne): Der Vorsitzende der Grünen sprach von einer „herben Enttäuschung“, dass der Mindestlohn in 2026 zunächst sogar noch unter 14 Euro bleibe. Deutschland müsse ein Lohnniveau erreichen, von dem alle Menschen leben könnten. „Alles andere würde bedeuten, dass wir Lohndumping mit Steuergeldern weiter subventionieren“, sagte er dem Tagesspiegel.

Banaszak kritisierte auch die Sozialdemokraten, die im Wahlkampf mit dem Versprechen von einem Mindestlohn von 15 Euro angetreten waren. „Jetzt regiert die SPD und der Mindestlohn bleibt bei unter 14 Euro, die Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung steigen unaufhörlich und nun gibt es sogar noch nicht einmal eine Entlastung für Verbraucherinnen bei der Stromsteuer“, sagte Banaszak und ergänzte: „Da frage ich mich wirklich, für wen die SPD aktuell Politik macht.“

Dagmar Schmidt (SPD): Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion hält das Ergebnis dagegen für ein Abbild der derzeitigen wirtschaftlichen Lage. „Es ist kein Geheimnis, dass wir uns eine höhere Anpassung gewünscht hätten“, sagte Schmidt. Das Ergebnis gelte es zu respektieren.

„Der Mindestlohn muss perspektivisch armutsfest sein und mit der Lohnentwicklung in der Breite Schritt halten“, sagte Schmidt weiter. Dafür wolle sich die SPD auch künftig einsetzen.

Der Mindestlohn ist kein Hemmschuh, sondern ein Instrument für mehr soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Stabilität.

Marcel Fratzscher, Ökonom


Ökonomen

Marcel Fratzscher (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung): Der DIW-Präsident nannte die Entscheidung der Mindestlohnkommission gegen eine Erhöhung des Mindestlohns auf ein Niveau von 15 Euro eine verpasste Chance. „Ein höherer Mindestlohn würde nicht nur Millionen Beschäftigten helfen, sondern auch die Produktivität steigern, faire Wettbewerbsbedingungen fördern und den Arbeitsmarkt attraktiver machen – angesichts des akuten Arbeitskräftemangels gerade auch für Menschen aus dem Ausland“, sagte er.

Die Angst vor Jobverlusten und einer Lohn-Preis-Spirale infolge des Mindestlohns sei empirisch unbegründet. Zudem warf er der Kommission vor, nicht die EU-Vorgabe von 60 Prozent des Medianlohns zu erfüllen, was rund 15 Euro entspräche. „Der Mindestlohn ist kein Hemmschuh, sondern ein Instrument für mehr soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Stabilität.“

Hagen Lesch (Institut der deutschen Wirtschaft): Der Tarifexperte zollt der Mindestlohnkommission Respekt, dass sie sich trotz der Versuche politischer Einflussnahme geeinigt hat. Die Erhöhung sieht er trotzdem in Teilen kritisch. „Der erste Schritt lässt sich durch die nachlaufende Orientierung am Tariflohnindex gut begründen, der zweite Schritt geht klar über dieses Kriterium hinaus“, sagte Lesch.

Die SPD ruft er auf, den Beschluss so zu akzeptieren und umzusetzen. „Ein neuerlicher Staatseingriff würde die grundgesetzlich garantierte Tarifautonomie torpedieren“, so der Ökonom. Aus seiner Sicht soll sich die Politik eher der Aufgabe zuwenden, die Sozialversicherungsbeiträge zu stabilisieren. 


Wirtschaftsverbände

Bauernverband: Der Bauernverband warnte vor gravierenden Folgen für viele Betriebe durch die weitere Erhöhung des Mindestlohns. „Dieser Mindestlohn hat das Potenzial, den Anbau von Obst, Gemüse und Wein aus Deutschland zu verdrängen“, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied. „Wir werden dem Wettbewerbsdruck innerhalb der EU nicht standhalten können, was zu einer weiteren Produktionsverlagerung ins Ausland führen wird.“ 

Die von der Mindestlohnkommission vorgeschlagene „massive Anhebung“ werde Betriebe zum Ausstieg aus arbeitsintensiven Kulturen zwingen. „Die Erzeugung in Deutschland ließe sich nur über deutliche Preissteigerungen halten.“ Es brauche dringend eine Sonderregelung für Saisonkräfte. Rukwied schlägt vor, dass sie 80 Prozent des Mindestlohns bekommen sollten. Genau den Vorschlag hat diese Woche Agrarminister Alois Rainer (CSU) unterbreitet. Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) hat den Plänen aber bereits eine Absage erteilt.

Die Erhöhung des Mindestlohns fällt nicht so katastrophal aus wie befürchtet, ist aber trotzdem eine bittere Pille für Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutschland.

Christoph Ahlhaus, Mittelstands-Vertreter

Handelsverband: Der Handelsverband Deutschland (HDE) warnt vor den Folgen für den Arbeitsmarkt. „Jobs müssen sich für Arbeitgeber in der Privatwirtschaft rechnen, sonst fallen sie weg“, sagte HDE-Präsident Alexander von Preen. Die Entscheidung setze im Einzelhandel zahlreiche Stellen aufs Spiel.

Weiter sagte er: Die Mindestlohnkommission hätte die schlechte konjunkturelle Lage der Branche sowie die drohenden Arbeitsplatzverluste stärker berücksichtigen müssen. Das Existenzminimum abzusichern sei in Deutschland „allein Aufgabe der staatlichen Sozialpolitik, nicht die der unabhängigen Mindestlohnkommission“. Die Entscheidung werde schwerwiegende Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland haben, so von Preen.

Mittelstandsverband: Der Mittelstandsverband BVMW blickt ebenfalls mit Sorge auf den Beschluss. „Die Erhöhung des Mindestlohns fällt nicht so katastrophal aus wie befürchtet, ist aber trotzdem eine bittere Pille für Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutschland. Wer ohnehin schon ums Überleben kämpft, kann sich weitere Belastungen und eine Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit einfach nicht mehr leisten“, sagte BVMW-Bundesgeschäftsführer Christoph Ahlhaus den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Zugleich begrüßte auch er, dass sich die Kommission den „politischen Einmischungsversuchen erfolgreich widersetzt“ habe.

Familienunternehmen: Die Präsidentin des Lobby-Verbandes „Die Famlienunternehmer“ begrüßte, dass die Kommission überhaupt ein Ergebnis erzielte und das einstimmig – allerdings warnte auch sie vor den Folgen für Betriebe. „13,90 Euro zum Jahresende, beziehungsweise 14,60 Euro ab 2027 sind eine kräftige Erhöhung des Mindestlohnes“, sagte Marie-Christine Ostermann. „Es ist zu befürchten, dass einigen Unternehmen turbulente Zeiten bevorstehen – zumal die Erhöhung zum Jahresanfang 2027 einen wirtschaftlichen Aufschwung voraussetzt, der aktuell noch nicht erkennbar ist.“

Die Erhöhung würde vor allem im Dienstleistungsgewerbe und bei den Verbraucherpreisen spürbar werden. Schon vorher hätten kräftige Zuschläge beim Mindestlohn „schmerzhafte Preissteigerungen“ ausgelöst. (mit Agenturen)

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