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Eine EU-Flagge in der EU-Hauptstadt Brüssel.

© IMAGO/NurPhoto

Kapitalmarktunion: Keine Deregulierung der europäischen Finanzmärkte

Die EU will die Integration der Kapitalmärkte vorantreiben. Das richtig und wichtig, darf aber nicht zu einer Aufweichung der Regeln für Banken führen.

Ein Gastbeitrag von Gerhard Schick

Vor Kurzem warben an dieser Stelle die Chefinnen und Chefs der EU-Institutionen, darunter Kommissionspräsidentin von der Leyen und EZB-Präsidentin Lagarde, für mehr Tempo bei der Integration der europäischen Kapitalmärkte. Das Ziel einer Kapitalmarktunion klingt erstmal gut, die genannten Vorschläge sind sinnvoll. Trotzdem handelt es sich dabei um eine Mogelpackung.

Denn die Autorinnen und Autoren haben etwas Entscheidendes verschwiegen: Das Projekt Kapitalmarktunion soll auch dazu genutzt werden, die Finanzmärkte in Europa zu deregulieren. Unter dem Deckmantel der Europäisierung drohen problematische Wünsche der Finanzbranche so zu Gesetzen zu werden. Das muss verhindert werden.

Die Kapitalmarktunion kann Mehrwert schaffen

Um was geht es? Während die Märkte für Waren und Dienstleistungen in Europa sehr weitgehend integriert sind, sind die Kapitalmärkte weiterhin stark fragmentiert. Dies versucht die Europäische Union mit der Integration der nationalen Kapitalmärkte seit einigen Jahren zu ändern. Sie setzt darauf, dass sich Unternehmen dann leichter über Grenzen hinweg Geld leihen können, zum Beispiel um den digitalen oder nachhaltigen Umbau zu finanzieren. Das ist gut und richtig – eine gestärkte europäische Kapitalmarktunion kann echten Mehrwert schaffen. Die vorgeschlagene Vereinheitlichung des Insolvenzrechts, die Verbesserung des Zugangs zu Finanzinformationen sowie weitere Vorschläge sind unterstützenswert.

Finanzmarktregeln sollten nicht aufgeweicht werden

Was Europa angesichts der aktuellen Krisenlage allerdings nicht braucht, ist ein weiteres Zurückschrauben von Finanzmarktregeln. Vielleicht ist das auch der Grund, warum die Autorinnen und Autoren diesen Punkt in ihrem Beitrag geflissentlich ignorierten. Doch genau dieses Zurückschrauben droht gerade als Teil des Projekts Kapitalmarktunion. Ganz im Sinne der Finanzbranche will Brüssel die Regeln für Verbriefungen von Krediten vereinfachen und Banken erlauben, dafür weniger Eigenkapital vorzuhalten.

Dabei finanzieren die meisten Banken ihre Aktivitäten schon heute mit deutlich weniger Eigenkapital als realwirtschaftliche Unternehmen. Zu welchen Folgen das geringe Vertrauen in die Kapitalkraft von Banken führen kann, sehen wir in diesen Tagen nur zu gut. Und spätestens beim Thema Verbriefungen sollten alle Alarmglocken läuten.

Verbriefungen waren Mitauslöser der Finanzkrise 2008

Mithilfe dieser Finanzprodukte können Banken Kredite von ihrer Bilanz schaffen, um mehr Spielraum für neues Geschäft zu gewinnen und Risiken abzustoßen. Dazu bündeln sie Kredite (zum Beispiel für Immobilien) und verkaufen diese als Wertpapiere weiter. Einen kleinen Anteil der Papiere behalten sie jedoch auf ihrer eigenen Bilanz. Dafür sollen die Banken in Zukunft noch weniger Eigenkapital vorhalten müssen, mit entsprechenden Konsequenzen für die Stabilität von Finanzinstituten.

Unter dem Deckmantel der Europäisierung drohen problematische Wünsche der Finanzbranche zu Gesetzen zu werden.

Gerhard Schick

Nur nochmal zur Erinnerung: Es handelt sich bei Verbriefungen um genau die problematischen Papiere, die 2008 die Bankenkrise mit ausgelöst und großen wirtschaftlichen Schaden angerichtet haben. Sie wurden nach der globalen Finanzkrise aus gutem Grund streng reguliert. Das sollte auf keinen Fall aufgeweicht werden. Doch genau diese Deregulierung der Finanzmärkte wird derzeit von der EU-Kommission mit voller Unterstützung von Deutschlands Finanzminister Lindner und seinem französischen Amtskollegen Le Maire vorangetrieben.

Statt die bestehenden Regeln für Banken aufzuweichen und der Finanzbranche nach dem Mund zu reden, sollten von der Leyen, Lindner und Co. dagegen ganz andere Themen nochmals angehen. Die heutigen Finanzmärkte sind instabil. Dies haben die kürzlichen Rettungsmaßnahmen für Banken, diesseits wie jenseits des Atlantiks, eindrücklich gezeigt. Für mehr Stabilität ist es dringend geboten, die von der Finanzlobby ausgebremsten Regulierungsvorschläge wie eine deutliche Erhöhung des Eigenkapitals von Banken und eine europäische Einlagen- und Abwicklungsbehörde neu auf die Tagesordnung zu setzen.

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