
© dpa/Saifurahman Safi
„Kettensäge an den Schutz der Umwelt“: EU-Kommission will Lieferkettengesetz aufweichen und verschieben
Die EU will mit Firmen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung in ihren Lieferketten weniger und später in die Pflicht nehmen. Arbeitergeber jubeln, Oxfam und Co. sind entsetzt.
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Im Sommer feierten Unterstützer die Verabschiedung des EU-Lieferkettengesetzes als Paradigmenwechsel im Kampf gegen Ausbeutung und Umweltverschmutzung. Bei vielen macht sich nun bittere Enttäuschung breit.
Die Europäische Kommission will die Anwendung des Gesetzes um ein Jahr verschieben und die Auflagen für Unternehmen deutlich abschwächen. Das teilte die Kommission am Mittwoch mit.
Eine Verschiebung des Stichtags für die Regeln auf Juni 2028 werde „Unternehmen mehr Zeit geben, sich auf die neuen Auflagen vorzubereiten“, so die EU-Kommission am Mittwoch. Brüssel reagiert damit auf massiven Druck aus der Wirtschaft, die über zu hohe bürokratische Auflagen klagt. Firmen und Wirtschaftsverbände laufen schon seit Jahren gegen verpflichtende Standards Sturm – mit Erfolg.
Sorgfaltspflichten nur noch für direkte Zulieferer
Eigentlich will die EU mit dem Gesetz Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten ab Mitte des Jahres 2027 für Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung in ihren Lieferketten in die Pflicht nehmen. Die Kommission schlägt nun vor, den ersten Stichtag für die Umsetzung um ein Jahr auf den 26. Juni 2028 zu verschieben. Ein Jahr später, 2029, soll das Gesetz anschließend voll greifen.
Bisher hatte Ursula von der Leyen immer betont, geplant sei lediglich eine „Vereinfachung“ der Berichtspflichten für Firmen. In der „Substanz“ solle sich nichts ändern. Das gilt jetzt offenbar nicht mehr.
Die betroffenen Firmen sollen zudem nicht mehr in ihrer gesamten Lieferkette die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards sicherstellen müssen, sondern nur noch bei ihren direkten Zulieferern. Ein Nachweis dafür würde den Vorschlägen zufolge nicht mehr jährlich, sondern nur noch alle fünf Jahre fällig. Die Kommission will zudem eine EU-weite zivilrechtliche Haftung für Verstöße gegen die Vorgaben einschränken.
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Menschenrechtsorganisationen kritisieren Verwässerung
Vor allem diese Anpassung sehen Menschenrechtsorganisationen besonders kritisch. „Der Wegfall von zivilrechtlicher Haftung bedeutet ein Verlust der hart erkämpften Klagemöglichkeit für Betroffene, die endlich die jahrelange Verletzung grundlegender Menschenrechte hätten einklagen können“, sagte Franziska Humbert, Rechtsanwältin und Expertin für Wirtschaft und Menschenrechte bei Oxfam. Dadurch hätten Betroffene etwa Schadenersatzforderungen gegenüber Firmen für erlittene Gesundheitsschäden durch Pestizideinsatz auf Bananenplantagen vor Gericht geltend machen können.
Aus ihrer Sicht legt Ursula von der Leyen „die Kettensäge an den Schutz von Umwelt und Menschenrechten“. Humbert ist überzeugt: Ohne verbindliche Sorgfaltspflichten übernehmen Firmen keine Verantwortung.
Andere Fürsprecher des Gesetzes, etwa Vertreter der Initiative Lieferkettengesetz, einem Bündnis aus 90 Menschenrechtsorganisationen, Umweltverbänden oder Gewerkschaften, gehen nicht so weit. Hier geht man davon aus, dass die Mehrheit der deutschen Unternehmen verantwortungsvoll handelten und die gesetzliche Verankerung von Sorgfaltspflichten befürworten. Seit 2013 gilt zudem schon in Deutschland ein entsprechendes Gesetz – das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Mit den Anforderungen dieses Gesetzes kämen Firmen hierzulande bereits gut zurecht.
Arbeitergeber loben Vorstoß
Auf Arbeitgeberseite freut man sich trotzdem über die Ankündigung aus Brüssel. „Mit dem heutigen Tag macht die Europäische Kommission ihre Ankündigungen zum Bürokratierückbau endlich wahr“, sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Er nannte es einen ersten Schritt, unnötige Hürden aus dem Weg zu räumen und verspricht sich eine Entlastung vor allem für den Mittelstand und die Behörden. „Es ist nicht nachhaltig, Unternehmen mit telefonbuchdicken, überkomplexen Pflichten zu überfordern und Milliardenkosten zu verursachen“.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat eine „beispiellose Anstrengung“ für den Abbau von Regeln versprochen. Neben dem Lieferkettengesetz will die Kommission auch Vorgaben für die Nachhaltigkeits-Berichtserstattung um zwei Jahre verschieben und neu verhandeln. Nach Kommissionsangaben sollen 80 Prozent der bislang betroffenen Unternehmen ausgenommen werden.
Zudem will Brüssel zahlreiche Firmen von einer Abgabe auf CO₂-Emissionen von Importen ausnehmen, weil sie nach Einschätzung der Kommission nur geringe CO₂-Emissionen haben. Das soll den Plänen zufolge für alle Unternehmen gelten, die weniger als 50 Tonnen Stahl, Aluminium, Zement oder Düngemittel in die EU importieren. (mit AFP)
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