zum Hauptinhalt
Christiane Benner führt seit 2023 die IG Metall.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Klima-Ideen des CDU-Kanzlerkandidaten: IG-Metall-Chefin nennt Äußerungen von Merz „gefährlich“

Die größte deutsche Gewerkschaft warnt die Union: Ohne massive öffentliche Investitionen ist die Deindustrialisierung nicht zu stoppen – und ein Kurswechsel beim Klimaschutz wäre gefährlich.

Stand:

Frau Benner, welche Beziehung hat die IG Metall zu Friedrich Merz?
Eine professionelle, wie sich das gehört für die größte Gewerkschaft und den Vorsitzenden der aktuell umfragestärksten Partei. Seine Äußerungen über grünen Stahl haben uns indes etwas irritiert. Er hat die Dekarbonisierung der Industrie mithilfe von Wasserstoff infrage gestellt – das fand ich falsch. Aber er hat seine Aussage inzwischen ja korrigiert.

Er hat auf den Mangel an Wasserstoff hingewiesen.
Es kam aber rüber wie eine Ablehnung von Dekarbonisierungsprozessen, und das kann einen negativen Kreislauf in Gang setzen. Wir wissen um die Herausforderungen in diesem Bereich und ja, wir brauchen Zwischenschritte, bis es ausreichend erneuerbare Energie und dann auch grünen Wasserstoff gibt. Aber er ist entscheidend für grünen Stahl und die industrielle Produktion.

Befürworten Sie Wasserstoff auf der Basis von Erdgas?
Ja. Aber nochmal: Wir dürfen nicht in eine Backlash-Diskussion kommen, deshalb sind solche Äußerungen gefährlich. Wenn wir versuchen, den Wandel zu verlangsamen oder sogar anzuhalten, gefährdet das den Industriestandort und Arbeitsplätze.

Ohne Investitionen in die Infrastruktur und ohne einen wettbewerbsfähigen Industriestrompreis geht es richtig bergab.

Christiane Benner

Der Industriestandort erodiert bereits.
Deshalb brauchen wir dringend bezahlbare Energie für Industrie und Privatverbraucher und eine Strategie für den Bau von mindestens 20 Gaskraftwerken, die für eine Übergangszeit unverzichtbar sind.

Sollte für den Übergang der Verbrennungsmotor auch nach 2035 gebaut werden dürfen?
Was bringt das? Mir hat noch niemand erklären können, wie sich ein Schwenk um 180 Grad positiv auswirken soll. Ich halte vielmehr die Debatte für brandgefährlich, weil sich die Autohersteller und die Zulieferer mit ihren milliardenschweren Investitionen auf 2035 eingestellt haben. Wenn wir uns von dem Ziel verabschieden, gänzlich neu planen müssen, Prozesse und Finanzierung rückabwickeln müssen, gefährdet das die Autoproduktion in Deutschland dramatisch.

Ihrer Meinung nach wird ohne massive öffentliche Investitionen die Dekarbonisierung nicht gelingen. Die Union will aber die Steuern massiv senken.
Das ist das Gegenteil von dem, was wir brauchen. Die Union kann das auch nicht durchhalten. Es gibt CDU-Ministerpräsidenten, die wissen ganz genau, dass es ohne industriepolitische Aktivitäten enorme Arbeitsplatzverluste gibt. Ohne Investitionen in die Infrastruktur und ohne einen wettbewerbsfähigen Industriestrompreis geht es richtig bergab.

Wir müssen Künstliche Intelligenz stärker in die Industriekerne bekommen und dadurch die Produktivität steigern.

Christiane Benner

Warum sollte eine konservative Regierung das tun, was die Ampel nicht hingekriegt hat?
Weil der Druck immer größer wird, auch wegen der Sorgen um die Arbeitsplätze. Eine Volkspartei wie die Union muss ein Interesse haben an einer breiten industriellen Basis. Hier arbeiten schließlich mehr als neun Millionen zumeist gut bezahlte Menschen.

Konsumlaune und Investitionsbereitschaft sind derzeit so schlecht wie lange nicht mehr.
Es liegt ein Mehltau über dem Land, und wir verpassen es, Zukunftsfelder zu besetzen. Wir müssen Künstliche Intelligenz stärker in die Industriekerne bekommen und dadurch die Produktivität steigern, um nur ein Beispiel zu nennen. Sehr gute Handlungsempfehlungen zeigt der Draghi-Report auf: Bereiche identifizieren, in denen Europa stark ist oder stark werden kann, und diese Bereiche dann pushen. Das erwarten wir auch von der neuen Bundesregierung.  

Deshalb die Demonstrationen am 15. März?
Wir lassen die Politik nicht vom Haken und rufen zu unserem bundesweiten Aktionstag auf unter dem Motto „Dein Arbeitsplatz, unsere Industrie, unsere Zukunft“. In fünf Großstädten erwarten wir dazu mehrere zehntausend Teilnehmende.

Zuvor werden ein paar hunderttausend IG Metall-Mitglieder am 23. Februar die AfD gewählt haben.
Gewerkschaftsmitglieder spiegeln die Gesellschaft wider. Viele haben den Eindruck, dass vieles nicht funktioniert im Land: Es gibt Probleme, einen Kitaplatz zu bekommen, in der Schule fällt Unterricht aus, die Krankenkasse wird immer teurer, aber ein Facharzttermin bekomme ich trotzdem nicht, Wohnungen fehlen oder sind nicht zu bezahlen. Dafür hat die AfD keine Lösungen, das ist klar. Klar ist aber auch: Eine gute Politik macht den Alltag der Menschen einfacher – das ist das beste Mittel gegen Rechtsextremisten.  

Welche Mittel setzt die IG Metall ein?
Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz und fordern Perspektiven in den Unternehmen. Wo Strategien erkennbar sind und wo Mitbestimmung die Unternehmenskultur bestimmt und die Belegschaften einbezieht, haben die Leute weniger Angst vor Veränderung. Frust entsteht aus dem Gefühl der Hilflosigkeit: „Es passiert etwas mit uns und unseren Arbeitsplätzen, auf das wir keinen Einfluss haben.“ Wie es anders funktioniert, haben wir bei VW gezeigt. Aufgrund der starken Beteiligung der Beschäftigten konnten wir gemeinsam eine Lösung finden.

Werksschließungen konnte die IG Metall bei VW verhindern.

© Hendrik Schmidt/dpa

Die Lösung kostet 35.000 Arbeitsplätze, ein Viertel der Belegschaft verliert bis 2030 den Job.
Jetzt geht es doch erstmal darum, dass das Management liefert. Bei Digitalisierung, Batterien, neuen Fertigungsverfahren und neuen bezahlbaren Modellen für die E-Mobilität. Dann werden wir sehen, wie viele Arbeitsplätze am Ende tatsächlich wegfallen. An den niedrigeren Zulassungszahlen von Tesla sieht man, wie schnell sich Prognosen und Märkte verändern können.

Es gibt bei VW keine Werkschließungen, keine Kündigungen und das monatliche Einkommen sinkt nicht. Es stimmt aber auch: Der Kompromiss ist schmerzhaft und durch die niedrigeren Stückzahlen müssen wir jetzt durch das Tal einer Kapazitätsanpassung.

Und am Ende des Tals?
Geht es wieder aufwärts. Wenn VW es hinbekommt, wettbewerbsfähiger zu werden, wieder zu skalieren, also mehr Autos zu verkaufen, erschwingliche Modelle zu entwickeln und die Auslastung zu erhöhen, dann wächst auch wieder die Belegschaft.

In der Region Zwickau-Chemnitz sind 20.000 Arbeitsplätzen gefährdet. Glauben Sie wirklich, dass diese Jobs irgendwann wiederkommen?
Es geht hier nicht um glauben. Mit industriepolitischen Maßnahmen und durch Innovationen können und müssen alternative Beschäftigungsfelder entstehen. Aber dafür braucht es den politischen Willen, damit die Zulieferstrukturen und Arbeitsplätze erhalten bleiben! Es gibt doch keinen Automatismus, dass sich die Befürchtungen realisieren. Zumal VW in Zwickau das Thema Recycling voranbringen wird. Aufgrund des Mangels bei Rohstoffen ist das ein Zukunftsfeld.

Zwickau ist aber besonders betroffen, weil Modelle von dort nach Wolfsburg verlagert werden. Der ostdeutsche Standort wird rasiert, damit es in Wolfsburg nicht so weh tut.
Nein, das stimmt nicht. Die Einschnitte treffen alle Werke. Unser Ziel war, eine möglichst solidarische Verteilung der Lasten zu erreichen. Wolfsburg verliert zum Beispiel die Fertigung des Golfs, der künftig in Mexiko gebaut wird.

Was sagt das über den Standort Deutschland, wenn der Golf künftig aus Mittelamerika kommt?
Es ist normal, dass global aufgestellte Unternehmen die Fertigung von Modellen auf die Standorte verteilen. So ist beispielsweise auch der Polo nach Südafrika gegangen. Und wir reden über den Golf mit Verbrennungsmotor, der elektrische Golf wird ab 2029 in Wolfsburg gebaut.

Die Nachfrage nach Elektroautos ist 2024 erheblich zurückgegangen.

© dpa/Jan Woitas

Bedarf es eines weiteren staatlichen Impulses auf dem trägen E-Auto-Markt?
Da verweise ich ausnahmsweise auf Markus Söder, der eine steuerliche Förderung für Autokäufer mit kleineren Einkommen angeregt hat. Wichtig für den Markt ist Klarheit so schnell wie möglich nach der Bundestagswahl, damit die Kaufzurückhaltung endet.

Die deutschen Autohersteller verlieren massiv Boden auf dem größten Automarkt der Welt, in China. Lässt sich der Trend umkehren?
Es wird harte Arbeit, die Marktanteile zurückzugewinnen. Die chinesischen Anbieter sind – dank staatlicher Subventionen – harte Wettbewerber geworden. Gerade bei der Digitalisierung und den Batterien. Hier müssen deutsche Hersteller dringend aufholen und noch näher an die chinesischen Kundenbedürfnisse ran.

Gleichzeitig drängen chinesische Anbieter auf den europäischen Markt.
Deren Marktanteil in Europa ist unter ein Prozent. Und in Deutschland schätzen Autofahrer Sicherheit, Zuverlässigkeit und Service, wenn das Auto einmal liegen bleibt. Das können die Chinesen nicht bieten. Trotzdem sollten wir regulatorisch anders agieren.

Sie befürworten Zölle?
Nein. Chinesische Hersteller bauen derzeit in Ungarn und Polen Produktionen auf, ohne eine Mindestquote an lokaler Wertschöpfung. Die werden enorm gefördert und verbauen dann Teile und Komponenten aus Asien – das ist irre und das sollte die EU nicht zulassen. Local Content, wie das die chinesische Politik von ausländischen Herstellern verlangt, muss auch in der EU gelten. Das würde vor allem unsere Zulieferer stärken.

Die Industrie steckt in der Krise, und die Industriegewerkschaft Metall könnte in diesem Jahr erstmals unter die Marke von zwei Millionen Mitglieder fallen. Wie stoppen Sie den Trend?
Wir haben einen klaren Kurs, um Industrie und Arbeitsplätze zu sichern. Und wir modernisieren die IG Metall. Es gibt Erfolge: Bei jungen Leuten ist die Mitgliederentwicklung positiv. In den vergangenen Tarifverhandlungen haben wir eine Erhöhung der Ausbildungsentgelte um 140 Euro im Monat durchgesetzt. Grundsätzlich trauen die Beschäftigten der IG Metall etwas zu, und das zurecht, wie wir bei VW gezeigt haben. Dort sind übrigens mehr als 100 Ingenieurinnen und Ingenieure allein an einem Tag der IG Metall beigetreten. Wir haben große Potenziale, und die werden wir heben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })