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Der französische Präsident Emmanuel Macron wendet sich während einer Fernsehübertragung aus dem Elysee-Palast an die Nation.

© dpa/LUDOVIC MARIN

Kollaps der französischen Regierung: Fünf Gründe, die gegen eine Staatsschuldenkrise in Europa sprechen

Stimmen mehren sich, die nach den krachend gescheiterten Haushaltsverhandlungen vor einer nächsten Schuldenkrise in Europa warnen. Doch die Situation in Frankreich ist heute eine ganz andere als zu Beginn der 2010er Jahre.

Marcel Fratzscher
Ein Gastbeitrag von Marcel Fratzscher

Stand:

Nach dem Kollaps der französischen Regierung über den Haushalt werden nun die Stimmen lauter, die vor der nächsten Staatsschuldenkrise in Europa warnen. Vor allem in Deutschland fühlen sich manche in ihren langjährigen Warnungen bestätigt, dass die Staatsverschuldung in Europa zu hoch und die nächste Schuldenkrise nur eine Frage der Zeit sei.

Diese Behauptungen dürften jedoch kaum mehr als Panikmache sein, denn die Situation in Frankreich hat heute kaum noch etwas mit der in Europa zu Beginn der 2010er Jahre gemein.

Es gibt fünf grundlegende Unterschiede zwischen dem heutigen Frankreich und dem Europa vor zehn bis 15 Jahren.

Erstens ist die wirtschaftliche Lage in Frankreich heute deutlich besser als damals in Südeuropa. Europa wurde von der globalen Finanzkrise 2008-2009 schwer getroffen, viele Länder erlebten eine tiefe Rezession und Massenarbeitslosigkeit. Zwar wurden auch in den letzten Jahren viele Länder in Europa von der Pandemie und der Energiekrise hart getroffen, die meisten von ihnen – auch Frankreich – haben diese Krisen jedoch recht gut überstanden.

Frankreich ist es in den letzten Jahren gut gelungen, ausländische Investitionen anzuziehen, Innovationen zu fördern und Menschen in Arbeit zu bringen. Strukturell ist Frankreich weniger anfällig und besser aufgestellt als Deutschland, da die Industrie eine geringere Rolle spielt und die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern aus Russland wesentlich geringer ist.

Ein zweiter Unterschied ist die deutlich höhere Finanzstabilität, die heute in ganz Europa und insbesondere in Frankreich herrscht. Die Banken haben in den letzten zehn Jahren Risiken abgebaut und ihr Eigenkapital erhöht. Der Mechanismus der globalen Finanzkrise und der europäischen Schuldenkrise ist heute so nicht mehr gegeben.

Zinszahlungen für Staatsschulden nicht ungewöhnlich hoch

Drittens ist die Staatsschuldenquote – das Verhältnis der Staatsschulden zur Wirtschaftsleistung – kein guter Indikator für die Nachhaltigkeit von Staatsschulden. Auch wenn sie in manchen europäischen Ländern heute höher ist als noch vor zehn Jahren. Relevanter sind die Zinszahlungen im Verhältnis zu den Steuereinnahmen.

Und hier steht Frankreich, wie die meisten anderen europäischen Länder, deutlich besser da als vor zehn Jahren. Damals war die Zinslast um einiges höher, heute dagegen haben wir mehr als zehn Jahre extrem niedriger und zum Teil gar negativer Realzinsen erlebt. Die durchschnittliche Laufzeit der Staatsanleihen wurde verlängert. All dies bedeutet, dass die Zinszahlungen für die Staatsschulden trotz einer höheren Staatsschuldenquote nicht ungewöhnlich hoch sind.

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Der vierte und vielleicht wichtigste Grund: Frankreich hat exzellente staatliche Institutionen. Es sollte kein Zweifel daran bestehen, dass Frankreichs Institutionen in der Lage sind, Reformen schnell und erfolgreich umzusetzen, wenn es eine handlungsfähige Regierung gibt. Und hier liegt wohl die größte Gefahr: Eine politische Lähmung über viele Monate oder Jahre ist der wahrscheinlichste Mechanismus, der Frankreich und seine Staatsschulden in eine Schieflage bringen könnte.

Fünftens ist Europa heute viel besser auf Finanz- und Staatsschuldenkrisen vorbereitet. Es gibt klare Mechanismen, um mit Spekulationen und mit Finanzinstabilität umzugehen. Insbesondere die Europäische Zentralbank (EZB) hat seit der berühmten „Whatever It Takes“- Rede von Mario Draghi im Juli 2012 deutlich gemacht, dass sie Spekulationen und Finanzinstabilität nicht toleriert, sondern notfalls unbegrenzt eingreifen wird. Die EZB hat ihre Instrumente seit 2012 immer wieder angepasst und es besteht heute an den Finanzmärkten kein Zweifel mehr, dass die EZB zu ihrem Wort steht.

Drei Dinge sind jetzt entscheidend

Für alle, die von diesen Argumenten nicht überzeugt sind, gibt es noch ein letztes Argument: Investoren und Finanzmärkte sind von diesen Argumenten überzeugt und erwarten keine größeren Probleme bei der Finanzierung der Staatsschulden in Europa. Die Finanzmärkte waren in den letzten Wochen recht ruhig, der Dax hat sogar ein neues Allzeithoch erreicht.

Wenn es ernsthafte Zweifel an der Nachhaltigkeit der Staatsschulden gäbe, dann würden wir dies in den Preisen und Renditen der Staatsschulden sehr viel deutlicher sehen – denn Finanzakteure könnten sehr viel Geld verlieren, wenn sie mit ihrem Vertrauen in Frankreich falsch liegen.

All dies bedeutet jedoch nicht, dass sich Frankreich und Europa entspannt zurücklehnen können. Für Frankreich sind nun drei Dinge entscheidend: Es gilt die politische Lähmung zu beenden und durch eine neue Regierung den Haushalt für 2025 zu verabschieden, sodass die Defizite glaubwürdig abgebaut werden können.

Zweitens muss es – wie es in Deutschland und anderswo vonnöten ist – gelingen, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen und dem Land Wachstumsimpulse und damit Hoffnung und Optimismus zu geben.

Und drittens müssten sich Frankreich und Deutschland mit den europäischen Partnern für die Bedrohungen durch Donald Trump und China, als auch für die geopolitischen Konflikte wappnen. Es gibt also viel zu tun, Sorgen um eine Staatsschuldenkrise in Europa oder Frankreich gehören nicht zu unseren dringendsten Sorgen.

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