
© dpa/Julian Stratenschulte
„Lage dramatisch wie noch nie“: Kliniken beklagen Milliardenverluste – jedes sechste DRK-Krankenhaus insolvent
Die deutschen Kliniken schlagen nach der Reform von Karl Lauterbach Alarm. Jedes sechste DRK-Krankenhaus ist bereits insolvent. Die Lage sei so dramatisch wie noch nie.
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Die Kliniken in Deutschland schlagen Alarm: Steigende Verluste und eine erhebliche Zunahme der Bürokratieauflagen lassen die deutschen Krankenhäuser nach Angaben ihrer Träger immer tiefer in die Krise stürzen. „Die Lage der deutschen Krankenhäuser ist so dramatisch wie noch nie“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, der „Augsburger Allgemeinen“ (Dienstag).
„Abteilungen werden geschlossen, Personal wird eingespart, Standorte werden aufgegeben, bevor sie in die Insolvenz geraten“, sagte Gaß. „Die Konsequenzen bekommen leider auch die Patientinnen und Patienten zu spüren.“ Gerade die kleineren Häuser in ländlichen Regionen unter 300 Betten bewerteten ihre Lage besonders pessimistisch.
Das gesamte Defizit der Kliniken hat laut Berechnungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft in diesen Tagen die Marke von 14 Milliarden Euro überschritten. „Inzwischen stecken laut dem Deutschen Krankenhausinstitut rund 80 Prozent der Krankenhäuser in den roten Zahlen“, sagte der Vorstandsvorsitzende. Er machte vor allem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für die sich verschärfende Krise verantwortlich. Die Kliniken würden mit der Kostenexplosion der Inflation allein gelassen und müssten nun um ihr reines finanzielles Überleben kämpfen.
„Die Schließung von Standorten und Abteilungen folgt wegen der aktuellen Gesundheitspolitik oft nicht mehr der Logik, trotz Sparmaßnahmen die Versorgung in einer Region noch sicherstellen zu können“, sagte Gaß. „Jetzt geht es oft nur noch knallhart betriebswirtschaftlich darum, wie man schnell große Verlustbringer loswerden kann.“
Bereits fast jedes sechste Krankenhaus in Trägerschaft des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) etwa ist insolvent. Wie DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt auf Anfrage der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ, Dienstagsausgabe) mitteilte, sind fünf Standorte in Rheinland-Pfalz und einer in Hessen betroffen. 38 Krankenhäuser betreibt das DRK demnach insgesamt. „Auch bei anderen Einrichtungen ist die finanzielle Lage sehr schwierig“, sagte Hasselfeldt weiter.
In Bayern und Baden-Württemberg hätten im vergangenen Jahr jeweils ein Krankenhaus schließen müssen, fuhr die DRK-Präsidentin fort. Sie kritisierte, dass es bei der Krankenhausreform keine ausreichende finanzielle Übergangsregelung gegeben habe. „Nicht einmal Kostensteigerungen aus der Inflation werden abgedeckt“, sagte Hasselfeldt. Sie befürchte, dass in den kommenden Jahren noch viele weitere Krankenhäuser von freien gemeinnützigen Trägern wie dem DRK in die Zahlungsunfähigkeit rutschen werden.
„Ausgerechnet den Häusern, die strikt gemeinwohlorientiert sind, droht als Erstes das Aus“, führte Hasselfeldt weiter aus. Denn die freien Träger müssten Überschüsse direkt wieder einsetzen und könnten nur begrenzt Rücklagen bilden. Privat und kommunal geführte Häuser hätten da mehr Sicherheit, sagte sie.
Gaß beklagt Versorgungsmangel
Der Gesundheitsminister habe diesen sogenannten kalten Strukturwandel trotz aller Warnungen billigend in Kauf genommen und in Teilen sogar bewusst verschärft. „Für die Bevölkerung bedeutet diese Politik in vielen Regionen eine schlechtere Versorgung in ihrer Nähe“, kritisierte Gaß. „Und generell erleben wir bereits jetzt den Beginn der Wartelistenmedizin.“
Zugleich verschärfe die Politik die Krise der Kliniken mit immer neuen bürokratischen Auflagen, kritisierte der Verbandschef. „Die Bürokratie allein im ärztlichen Bereich kostet Deutschland so viel wie 60.000 volle Klinikarztstellen“, sagte Gaß. „Zum Beispiel verpflichtet das neue Medizinforschungsgesetz Krankenhäuser, ärztliches Personal minutengenau einzelnen Patienten und sogenannten Leistungsgruppen zuzuordnen. Ärzte müssen also dokumentieren, wie lange sie bei welchem Patienten waren - sogar in Mehrbettzimmern. Diese Regelung ist absurd.“
Entbürokratisierung gefordert
Sowohl das ärztliche als auch das pflegerische Personal verbringe inzwischen im Schnitt jeden Tag drei Stunden seiner Arbeitszeit mit bürokratischen Vorgaben. „Mit nur einer Stunde weniger Dokumentationsaufgaben hätten wir bundesweit über 20.000 Ärzte und fast 50.000 Pflegekräfte mehr, die sich um Patienten kümmern könnten“, rechnete Gaß vor. „Das wäre ein großer Beitrag zur Lösung unseres Fachkräftemangels.“
Die Kliniken hoffen laut Gaß nach der Wahl auf eine Korrektur der Krankenhausreform und einen Wechsel in der Gesundheitspolitik. „Es klingt vielleicht abgedroschen, aber wir brauchen wirklich dringendst Entbürokratisierung“, sagte der DKG-Chef.
Die Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) war vergangenes Jahr beschlossen worden. Sie sieht unter anderem eine stärkere Spezialisierung der Krankenhäuser und eine teilweise Abkehr von der Finanzierung über Fallpauschalen vor. Lauterbach will damit die Behandlungsqualität in den Kliniken verbessern und ein unkontrolliertes Krankenhaussterben wegen finanzieller Probleme verhindern. Die Reform nimmt allerdings bewusst in Kauf, dass es künftig weniger Krankenhäuser gibt und Patienten teilweise längere Wege zur Klinik zurücklegen müssen. (KNA, AFP)
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