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Wirtschaft: Letzter Vorhang für Premiere

Noch steht das Kartenhaus. Premiere, der Bezahlsender der schwer angeschlagenen Kirch-Gruppe, ist auf Sendung.

Noch steht das Kartenhaus. Premiere, der Bezahlsender der schwer angeschlagenen Kirch-Gruppe, ist auf Sendung. "Wir sind noch zahlungsfähig", bekräftigt der seit Februar amtierende Senderchef Georg Kofler. Täglich wird mit Banken, Gesellschaftern und neuen Investoren verhandelt. Noch ... Seit Kirch-Media vor knapp zwei Wochen die Insolvenz beantragte, tickt auch im knallroten Premiere-Gebäude in München-Unterföhring die Pleite-Uhr. Der zur Sanierung angetretene Insolvenzexperte Wolfgang van Betteray gibt sich optimistisch und hält eine Lösung schon in der kommenden Woche für möglich. Was er nicht sagt: Es könnte auch die finale Lösung, die Insolvenz für den defizitären Bezahlsender sein. Grafik: Kirchs Bezahlfernsehen im Überblick Bekommt das Pay-TV in Deutschland eine letzte Chance? Oder fällt für das Abo-Fernsehen der letzte Vorhang, nachdem Leo Kirch sich verspekuliert hat? Medienexperten sind sich einig, dass Premiere wiederbelebt werden kann. "Mit dem bestehenden Angebot ist eine Wende kaum möglich", sagt Uwe Hasebrink, Chef des Hamburger Hans-Bredow-Instituts und Kommunikationswissenschaftler. "Aber mit neuen Verträgen, einem preiswerteren Zugang und einer gezielteren Ansprache der Abonnenten lässt sich Pay-TV in Deutschland profitabel veranstalten." Selbst wenn sich die Zahl der Abonnenten nicht wesentlich über drei Millionen steigern lasse - Premiere stagniert bei 2,4 Millionen - könne das "limitierte Potenzial bei deutlich limitierten Ausgaben pro Abonnent" genutzt werden, heißt es gewunden bei einem neuen Teilnehmer im Premiere-Poker: Bertelsmann-RTL.

Zum Thema Online Spezial: Kirch & Fußballrechte Schwerpunkt: Bundesliga nach der Kirch-Pleite Fotostrecke: Pleitewelle - Insolvenzen in Deutschland Erfahrung mit Abonnenten hätten die Gütersloher Buchclub-Profis. Genauso Rupert Murdoch, der mit mehr als zehn Millionen zahlenden Pay-TV-Kunden in Großbritannien ein Quasimonopol betreibt. Doch trotz des vorsichtigen Optimismus der möglichen Premiere-Eigner rechnet niemand mit einem schnellen Durchbruch. Hier liegt das Dilemma für Premiere. Denn der Sender braucht Geld - und zwar sofort. Täglich verliert Premiere zwei Millionen Euro, schiebt Anlaufverluste von vier Milliarden Euro vor sich her und leidet unter einer Schuldenlast von einer Milliarde Euro. Hinzu kommen hohe Außenstände bei den amerikanischen Filmstudios Fox und Dreamworks. Investoren - seien es die Banken, Rupert Murdoch, Bertelsmann-RTL, die Filmstudios, ein bisher Unbekannter oder alle zusammen - müssten noch einmal viel Geld in die Hand nehmen. Die Rede ist von einer Milliarde Euro, um überhaupt einen sanierungsfähigen Sendebetrieb aufrecht zu erhalten.

Wer immer das Kapital für den Neustart mitbringt: Die entscheidenden Weichen für die Zukunft von Premiere werden dort gestellt, wo Leo Kirchs desaströses Pay-TV-Abenteuer begann - in Hollywood. Dort kaufte der "Filmhändler" Kinoware zu Mondpreisen, die sich später nicht wieder einspielen ließen, weil mit vier Millionen Abonnenten kalkuliert wurde, die Premiere bis heute nicht hat. 80 Prozent dieser Verträge laufen bis 2008, schätzt die WestLB, die eine Aufsehen erregende Studie ("Das Kartenhaus") über Kirchs Pay-TV veröffentlichte. Doch mit der Insolvenz von Kirch-Media, der Kerngesellschaft für den Rechtehandel, mit der die meisten Hollywood-Deals vereinbart wurden, eröffnen sich für Premiere neue Chancen. Die Insolvenzverwalter haben das Recht, die Kontrakte zu ignorieren - oder neu auszuhandeln. "Was in normalen Geschäftsbeziehungen unmöglich ist, kann bei Premiere gelingen", sagt Uwe Hasebrink.

Dabei könnten den Premiere-Sanierern die strategischen Überlegungen der Studios dienlich sein. "Hollywood hat an Premiere nicht geglaubt", sagt Michael Schmittmann, Medienrechtler in der Düsseldorfer Kanzlei Price-Waterhouse-Coopers Veltins. "Die waren froh, dass es in Deutschland überhaupt einen Abnehmer wie Kirch gab." Mangels Alternative verkauften die Filmbosse an den "Nachfragemonopolisten" aus München, und der ließ sich die Preise diktieren, weil er auf die unendliche Wertschöpfung in seinem verzweigten Medienreich vertraute.

Doch richtig verdient hat am Ende niemand, weil niemand in Deutschland verstanden hat, wie man professionelles Pay-TV macht. "Erst wenn der Zuschauer nur bezahlt, was er bestellt hat, wird es für die Studios lustig", glaubt Michael Schmittmann. Keine teuren Programm-Pakete und komplizierte Settop-Boxen mehr, sondern Bibliotheken, aus denen der Zuschauer jederzeit und technisch komfortabel wählen kann. Gelinge es jetzt, ein entsprechendes Geschäftsmodell für Premiere aufzustellen, blieben auch die Studios - gegen eine Gewinnbeteiligung - am Ball. "Denn auch Hollywood ist daran interessiert, dass das Bezahlfernsehen auf dem zweitgrößten Fernsehmarkt der Welt funktioniert."

Motor für den Neustart könnten das Digitalfernsehen und ein Breitband-Kabel sein. Beide könnten zum ersten Mal flächendeckend für alle 36 Millionen Fernsehhaushalte interaktive Anwendungen wie Homeshopping oder Video-on-Demand ermöglichen. Das, was eigentlich mit Pay-TV gemeint ist und bei US-Sendern wie HBO vorgemacht wird, könnte auch in Deutschland Zuschauer anlocken - und zum Konsum motivieren. Doch bis dieser Motor anspringt, muss ein technologischer Quantensprung gelingen. Das Kabel der Telekom liegt nach dem gescheiterten Verkauf an Liberty Media brach. Und die Digitalisierung des Fernsehens soll nach Maßgabe des Gesetzgebers erst 2010 abgeschlossen sein. Acht Jahre, die die Premiere-Sanierer nicht warten können.

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