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Krankenpfleger über Systemrelevanz: "Lieber Ihr, als wir“ – das schien die eigentliche Aussage zu sein"
Ludwig Montag ist Krankenpfleger - und wütend. Er findet den Applaus für seinen Berufsstand heuchlerisch und fordert mehr als eine einmalige Prämie.
Stand:
Herr Montag, wie empfinden Sie die Debatte über Systemrelevanz?
Ich halte die Debatte über Systemrelevanz für gleichermaßen überfällig wie heuchlerisch. Überfällig deshalb, weil wir Pflegenden mit Covid-19 eine gesellschaftlich und politisch breite Basis haben, um auf längst überfällige Missstände und Probleme hinzuweisen.
Und warum heuchlerisch?
Die vordergründig kommunizierte Wertschätzung wurde, um der Systemrelevanz Genüge zu tun, in Wahrheit dazu genutzt, im März die Pflegepersonaluntergrenzenverordnung auszusetzen und erst zum August teilweise wieder zu aktivieren. Vollständig gültig ist sie bis heute nicht.
Was heißt das?
Die Verordnung wurde ausgesetzt, um Pflegende bei Covid-19-Patienten einsetzen zu können und von bisher durch die Verordnung geschützten Stationen abzuziehen, und die dann unterbesetzten Stationen weiterhin nutzen zu können. Zum anderen, um eventuelle quarantänebedingte Ausfälle innerhalb des Pflegepersonals nicht mit geschlossenen Stationen beantworten zu müssen. Lieber schlechte Pflege und offene Stationen als keine. Das führt aber dazu, dass die ohnehin kritische Personalsituation in den Krankenhäusern jederzeit eskalieren kann.
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Für Krankenpfleger soll es nun zumindest eine Prämie geben.
Die finanzielle Anerkennung durch eine Prämienzahlung bleibt nur wenigen Pflegenden vorbehalten. Und die Probleme durch Krankheitsausfälle, Materialmangel und eventuelle Quarantäne der Kolleginnen und Kollegen teilen sich Pflegende weiterhin bundesweit. Das dauerhafte Risiko, sich selbst zu infizieren, ebenfalls.
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Sie freuen sich also nicht darüber.
Eine Prämie, die die in der Pflege auch ohne Corona bereits kritische und oft gefährliche Arbeitsbelastung honoriert, ist schön und gut. Doch als dauerhaftes Zeichen von Anerkennung reicht sie nicht aus. Die jetzt hochakuten Probleme sind die Konsequenz der jahrzehntelangen politischen Ignoranz gegenüber Pflegenden. Nun ist es an der Zeit, Entgeltkonzepte und Managementprozesse zu entwickeln, die langfristig tragfähig sind und sowohl die aktuell Pflegenden im Beruf halten, als auch neue Kolleginnen und Kollegen akquirieren. Die Zeiten, in denen eine Packung Merci und zehn Euro als Anerkennung durch den Arbeitgeber gereicht haben, sind vorbei, schon lange.
Wie nehmen Sie die Hilfen für das Gesundheitswesen im Vergleich zu anderen Wirtschaftshilfen wahr?
Gegen die milliardenschwere Rettung der Lufthansa und ein 130 Milliarden-Konjunkturpaket wirken die 2,2 Milliarden Euro, die eine bundesweite Prämie von 1500 Euro für Pflegende gekostet hätte, geradezu lächerlich gering. Wer in der Lage ist, mit Milliarden Autokäufe zu fördern, sollte ebenfalls in der Lage sein, für ein stabiles gesundheitliches Versorgungsnetz zu sorgen. Und sich nicht trotz fehlender Schutzkittel, unzureichend schützender Masken und einem bundesweiten Mangel an Desinfektionsmitteln vor die Kameras stellen und darüber zu schwadronieren, dass die Krise bisher doch gut lief. Wer sich aufgrund fehlender Schutzausrüstung bei der Ausübung seines - mit Applaus honorierten - Jobs ansteckt und unter Umständen noch Monate mit den Nachwirkungen der Infektion zu kämpfen hat, dem hilft eine derartige Aussage nicht.
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Wird sich wegen Corona Bezahlung und Prestige der Pflege ändern?
Ich hoffe darauf und arbeite persönlich darauf hin, doch wirklich daran glauben kann ich nicht. Zu oft wurde qualitative Verbesserungen versprochen, zu oft kam mangels politisch schlagkräftiger pflegerischer Lobby nicht mehr als ein fauler Kompromiss heraus. Meist jedoch nicht einmal das. Zu groß ist das Interesse, es sich nicht mit Pflegekasse, Krankenkassen, Ärztekammern und Apothekerverbänden zu verscherzen, dass die leidtragende Berufsgruppe immer die ist, die am wenigsten Gewicht hat: Die Pflege. In die gleiche Kerbe schlug der Applaus.
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Inwiefern?
„Lieber Ihr, als wir“ – das schien die eigentliche Aussage hinter der vordergründigen Anerkennung zu sein. Von einer primär philanthropischen Grundhaltung Pflegender ausgehend, wurde applaudiert. Doch in der Öffentlichkeit hat sich von den Klatschenden niemand zu einer veränderten Grundhaltung gegenüber Pflegenden bekannt. Von gesellschaftlicher Anerkennung oder gar Änderungsinitiative sehe ich, abgesehen von mitleidigen Blicken bei Erwähnung meines Berufes auch nichts.
Warum twittern Sie über Ihren Beruf?
Mit meiner Familie kann ich zwar über Missstände reden, aber das ändert nichts. Veränderung erfordert Stimmgewalt, was Kraft und Arbeit erfordert. Twitter ist für mich ein Werkzeug, um zum einen gleichgesinnte Kolleginnen und Kollegen zu erreichen, Kräfte zu bündeln. Zum anderen sehe ich es als Sprachrohr, um berufsfremden Personen einen Einblick in meinen Beruf zu geben, der über das Anreichen von Medikamenten hinausgeht. Pflege ist mehr. Wie viel mehr – dafür gilt es, ein Bewusstsein zu schaffen.
Das Interview führte Marie Rövekamp
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