Wirtschaft: Maria Ida Josefine Rippler
(Geb. 1907)||„Sommerfrische, Franzi oft gesehen = tat weh!“
Stand:
„Sommerfrische, Franzi oft gesehen = tat weh!“ Sie war herrschsüchtig, auf liebreizende Art und Weise. Eine Prinzessin im bürgerlichen Gewand, die schon früh auf Händen getragen wurde, von ihrem Vater, ihres Hüftleidens wegen. „Hinkepote“ wurde sie von den Kindern gerufen. Und um so sorgsamer von den Eltern geschont: „Maria kann das ja nicht, sie hat das schlimme linke Bein“.
Im Alter von fünf Jahren wurde sie zum ersten Mal operiert, vergeblich; sie lag mit zwölf fast ein Jahr im Gipsbett, und musste dann wieder mühsam humpeln lernen. Aber sie ließ sich nicht klein kriegen, schon gar nicht durch die Späße ihrer Schulkameraden auf der Katholischen Klosterschule.
„Ich ging am Stock“, trug sie mit vierzehn in ihr Tagebuch ein, „und saß auf einem Kissen. Beides versteckten die Kinder oft, so dass ich nicht wusste, wie ich nach Hause kommen sollte.“
Jede weitere Operation verweigerte sie, obwohl die Ärzte ihr den Rollstuhl prophezeiten, aber sie traute sich und nicht ihnen.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das galizische Bielitz wieder polnisch, aber die Familie blieb, denn der Vater hatte eine gute Stelle als Färbereileiter in der Tuchfabrik. Maria lernte Buchhalterin, und mit buchhalterischer Lakonie schrieb sie auch ihre Tagebucheinträge: „Sommerfrische, Franzi oft gesehen = tat weh!“
Ihre erste Liebe: Franz. Aber als der dann nach Krakau ging, studieren, ließ er nichts mehr von sich hören. Sie trauerte ihm nicht allzu lange nach. Denn beim Tennis lernte sie Rudi kennen. Doch der war Österreicher, und das passte dem Vater nicht. „Ein mittelloser Filou!“
Aber Maria setzte ihren Kopf durch: die heimliche Verlobung mit 22, im Zigeunerwald und vier Jahre später die Heirat. Von Kindern rieten ihr die Ärzte ab, aber es blieb ohnehin zu wenig Zeit, denn kaum zwei Jahre später starb Rudi an Syphilis. „Am 1. 9. 35 wurde ich 28 Jahre alt und sah mein Leben bereits zu Ende.“
Doch Maria wurde geheilt. In der Kur lernte sie Erich Rippler kennen, dessen rechtes Bein leicht verkürzt war.
Maria verliebte sich gern, und sie wurde gern geliebt, trotz ihres Hüftleidens und eines kleinen Augenfehlers, der sie schielen ließ. Ihre scheinbare Hilflosigkeit weckte sogar bei jenen Männern Beschützerinstinkte, die sich selbst kaum beschützen konnten.
Doch sie kamen vorerst nicht zusammen, Maria und Erich, denn die Mutter wurde schwerkrank, und die Familie zog nach Gleiwitz, weil das ihr letzter Wunsch war: in Deutschland begraben zu werden.
Mit der neuen Frau des Vaters kam Maria nicht zurecht. Also kaufte der Vater ihr 1941 ein Wäschegeschäft in Berlin Mariendorf. Zwei Jahre später ging das Geschäft mitsamt Wohnung in Flammen auf. Sie zog zu ihrer Schwester nach Küstrin, begann eine Affäre mit einem vermeintlich ledigen Ortsgruppenleiter, setzte einen Detektiv auf ihn an, und verabschiedete ihn umgehend, als sie erfuhr, dass er verheiratet war.
Von Erich hatte sie aufgrund der Kriegswirren lange nichts gehört. 1947 nahm sie den Briefwechsel wieder auf, und entschloss sich, endlich Fakten zu schaffen: „An meinem 40. Geburtstag schwarz über die Zonengrenze zu Erich. Unterwegs von Russen geschnappt. Ausgerissen und am anderen Tag in Berlin heil mit Rucksack angekommen.“
Nach einer Woche waren sie verlobt. Und noch einmal überquerte sie schwarz die Grenze: Um ihren Vater persönlich über die Verlobung zu unterrichten. Sie sah ihn nie wieder.
Maria führte eine glückliche Ehe mit Erich, trotz der unterschiedlichen Temperamente. Sie Buchhalterin, er Kunst- und Porzellanmaler, ein wenig versponnen, wie Künstler so sind.
Sie hatte sich von ihm ein Aquarell des Märchenbrunnens gewünscht. Wie er da im Park saß und malte, kam eine Frau auf ihn zu, eine reiche Amerikanerin, und wollte es kaufen. Er lehnte ab, es war ja ein Geburtstagsgeschenk. Auf die Idee, ein zweites zu malen kam er erst gar nicht. So einzig war sie für ihn.
„Das wäre damals sehr, sehr viel Geld für uns gewesen“, erinnerte sie, „denn er war zwar im Verband der Bildenden Künstler, bekam aber nie eine Ausstellung, weil er nur Landschaften und Blumen malte, aber keine Arbeiter.“
Ein sehr sanftmütiger Mensch, aber „das muss man an meiner Seite wohl auch sein.“ Fünf Jahre nach seinem Tod, kurz nach ihrer Pensionierung zog sie in den Westen – sie war das Schlangestehen leid. Noch im gleichen Sommer verliebte sie sich neu, in Walter Schulz, dessen Blumenfenster es ihr angetan hatte.
Acht glückliche Jahre. Und eigentlich wollte sie an seiner Seite begraben liegen, aber als dann die Mauer fiel, war die erste Wahl Weißensee, wo auf dem Grabstein ihres Mannes Erich bereits ihr Name stand.
Doch ihr blieb noch viel Zeit. Und auch wenn sie in den letzten fünfzehn Jahren das Haus nicht mehr verlassen konnte, so scharte sie doch eine große Entourage um sich. Sie war beliebt als Gesprächspartnerin, als Seelsorgerin, als Kartenlegerin.
Und sie genoss es, sich von ihren häuslichen Helfern verwöhnen zu lassen. Gern auch mit einem Gläschen Sekt, „ich hab ja sonst nichts“.
Mit kulinarischer Bedächtigkeit stellte sie die Speisepläne auf, kontrollierte jede Handbewegung bei der Zubereitung, und wies jeden noch so sanften Vorwurf, ein zu strenges Regiment zu führen, barsch zurück: „Das hält mich am Leben.“
In den letzten Jahren war sie bettlägrig, aber sie wollte partout nicht ins Pflegeheim. Also zitierte sie alle an ihr Bett. Den Zahnarzt, den Hausarzt, die Freunde und natürlich die Friseuse, denn sie legte zeitlebens großen Wert auf ein adrettes Äußeres.
Als sie eines nachmittags kurz von allen allein gelassen wurde, nutzte sie diskret die Gelegenheit und schlief ein.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: