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Auch Lebensmittelpreise steigen, wenn die Energie knapp ist.

© Joe Raedle/Getty Images/AFP

Metall plus 84 Prozent, Chemie plus 50 Prozent: Die Inflation ist gekommen, um zu bleiben

Die EU-Kommission rechnet mit einer Rekordinflation. Mehrere Wirtschaftsforschungsinstitute gehen davon aus, dass die Preise noch lange hoch bleiben werden.

Die Zahlen sind ernüchternd. Die EU-Kommission rechnet bei der Inflation im Euro-Raum in diesem Jahr mit einem Rekordwert. Im Jahresdurchschnitt wird die Teuerung voraussichtlich 7,6 Prozent erreichen, heißt es in der Sommer-Konjunkturprognose der Brüsseler Behörde am Donnerstag. Grund dafür seien vor allem die hohen Energiepreise. Erwartet wird, dass die Teuerungsrate im kommenden Jahr schrittweise wieder sinken wird. Aber auch 2023 werde sich die Inflation bei etwa 4 Prozent einpendeln.

Eine kleine Entwarnung gibt es in Sachen Wachstum. Das wird 2022 im Euro-Raum mit 2,6 Prozent im Vergleich zur Prognose aus dem Frühjahr weitgehend stabil bleiben. Für das kommende Jahr korrigierte die Kommission ihre Vorhersage jedoch deutlich nach unten. Sie geht 2023 von einem Wachstum von nur noch 1,4 Prozent aus. Die Zahlen für die gesamte EU bewegen sich in Sachen Wachstum und Inflation auf einem ähnlichen Niveau wie für den Euro-Raum.

Der Auslöser für diese negative Entwicklung wird von EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Paolo Gentiloni am Donnerstag in Brüssel klar benannt: „Russlands grundlose Invasion der Ukraine sendet weiter Schockwellen durch die Weltwirtschaft.“ Dadurch würden die Energie- und Getreideversorgung durcheinandergebracht. In der Folge stiegen die Preise und das Vertrauen leide, betonte der Italiener.

„Der rasche Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise nährt den globalen Inflationsdruck und untergräbt die Kaufkraft der Haushalte“, heißt es in einer Erklärung der EU-Kommission. Damit nicht genug. Die Verlangsamung des Wachstums in den USA und die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der strikten Null-Covid-Politik Chinas verschärfe auch die wirtschaftliche Situation in Europa.

Auch der Gas-Preisdeckel ist eine Option

Schwierig sind die Prognosen in Bezug auf Deutschland. Grund dafür ist die hohe Abhängigkeit des Landes von russischen Gaslieferungen. Ein plötzlicher Lieferstopp berge ein „erhebliches Abwärtsrisiko“, da dies die „Aktivität in wichtigen Industriesektoren stark beeinträchtigen könnte“, heißt es im dem Bericht der EU-Kommission. Erwartet wird für 2022 eine Teuerungsrate von 7,9 Prozent und für 2023 von 4,8 Prozent. Die Prognose für das Wirtschaftswachstum liegt bei 1,4 Prozent für 2022 und bei 1,3 Prozent für das kommende Jahr. Zu schaffen machten der deutschen Wirtschaft nach Ansicht der EU-Kommission die Lieferengpässe durch die Corona-Pandemie und der Exportrückgang in Folge des Krieges in der Ukraine.

Um die Folgen der Inflation abzufedern, prüft die EU-Kommission, wie die Verbraucher im Notfall entlastet werden könnten. EU-Wirtschaftskommissar Gentiloni bekräftigte, dass die Kommission auch Gas-Preisdeckel „in einer Notfalllage auf den Tisch legen wird“. Das würde bedeuten, dass Deutschland die Gaspreise für Verbraucher und Industrie massiv subventionieren müsste.

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Inzwischen kursiert auch der Entwurf für einen Notfallplan der EU-Kommission. Vorgeschlagen wird darin, dass öffentliche Gebäude, Büros und kommerzielle Gebäude ab Herbst bis maximal 19 Grad beheizt werden sollen. „Jetzt handeln kann die Auswirkungen einer plötzlichen Versorgungsunterbrechung um ein Drittel reduzieren“, heißt es in dem Papier. Es gebe mittlerweile ein „erhebliches Risiko“, dass Russland in diesem Jahr Gaslieferungen nach Europa stoppt. Ziel sei es, Industrien zu schützen, die für die Lieferketten und die Wettbewerbsfähigkeit besonders wichtig sind. Auch Haushalte werden dazu aufgerufen, freiwillig weniger zu verbrauchen.

Großhandelspreise steigen langsamer

Ein leichtes Signal der Entspannung gab es am Donnerstag beim Blick auf die Großhandelspreise. Deren Anstieg hat sich im Juni den zweiten Monat in Folge leicht abgeschwächt – betrug aber immer noch 21,2 Prozent im Vorjahresvergleich, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Preistreiber waren auch im Großhandel erneut Mineralölerzeugnisse, Rohstoffen wie Getreide und Saatgut und Lebensmittel wie Milch und Eier. Der Großhandelspreisindex ist ein Frühindikator: Er zeigt die Preisentwicklung in vorgelagerten Bereichen an, die sich dann später in den Verbraucherpreisen niederschlägt. Im März und April hatte es je einen Rekordanstieg der Großhandelspreise gegeben.

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Volkswirte rund um den Globus erwarten bis in die Mitte dieses Jahrzehnts eine hohe Inflation. Im laufenden Jahr rechnen 663 vom Münchner Ifo-Institut und dem Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik befragte Ökonomen im Schnitt mit einer Teuerungsrate von 7,7 Prozent. Für 2023 und 2026 liegen die Schätzungen bei weltweit durchschnittlich 6,2 beziehungsweise 4,5 Prozent, wie das Ifo-Institut mitteilte. „Die Inflation ist weltweit gekommen, um zu bleiben“, sagte Ökonom Niklas Potrafke.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch eine Prognose des Verbands der Forschenden Arzneimittelhersteller (VFA), über die das „Handelsblatt“ berichtete. Die Ökonomen gehen etwa davon aus, dass der Gaspreis von derzeit rund 160 Euro pro Megawattstunden in den nächsten Monaten auf 178 Euro steigen wird. Das wäre das 18-fache des Preises vor der Coronakrise. 2024 wird jedoch wieder ein Rückgang auf etwa 78 Euro erwartet.

Beim Ölpreis sei die Spitze schon fast erreicht, der Rückgang werde allerdings auch nur moderat ausfallen. Besonders stark wirken sich die hohen Energiepreise den Berechnungen zufolge auf die Metallindustrie aus. Anfang 2023 werden dort um 84 Prozent höhere Preise erwartet, in der Chemieindustrie soll es ein Plus von 50 Prozent geben. Bei Nahrungsmitteln 30 Prozent.

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