zum Hauptinhalt
Der Mikrochip ist so groß wie ein Reiskorn und wird zwischen Daumen und Zeigefinger unter die Haut gesetzt.

© Getty Images/iStockphoto

Mikrochips unter der Haut: Wie die Technik zum Teil des Körpers wird

Unternehmen werben mit Chip-Implantaten um Kunden, Mitarbeiter öffnen damit Türen. Manche Träger glauben: Das wird erst der Anfang sein.

Nie wieder nervös nach dem Schlüssel suchen – mit diesem Versprechen wirbt die Sparda Bank Berlin momentan um Kunden. Wer bis Ende März eine Baufinanzierung abschließt, bekommt obendrein ein NFC-Implantat. Sprich: Einen kleinen Mikrochip, groß wie ein Reiskorn, der zwischen Daumen und Zeigefinger unter die Haut gesetzt wird. Und Türen öffnen kann.

„Prinzipiell interessieren sich viele Menschen für das Thema. Es gibt bereits eine Hand voll Menschen, die unsere Aktion samt NFC-Implantat auch tatsächlich in Anspruch genommen haben“, sagt ein Sprecher. Weil eine Baufinanzierung ein längerer Entscheidungsprozess sei, erwarte die Bank, dass es weitere Anfragen geben wird. Im Januar sollen Influencer in den sozialen Netzwerken werben.

Für die Mikrochips kooperiert die Bank mit Digiwell, einem Unternehmen in Hamburg, das auf Bio-Hacking spezialisiert ist – die Optimierung des menschlichen Körpers durch Technik. Mikrochip- Implantate gibt es für 39 Euro aufwärts. Menschen speichern ihre Visitenkarte auf den winzigen Plättchen, verwenden sie, um ihr Fahrrad zu entsichern, ihre Blutwerte stets parat zu haben, das Büro zu betreten. Wer die Implantate einsetzt? Meist ein Arzt oder Piercer.

Patrick Kramer leitet das Unternehmen und trägt selbst mehrere Implantate unter der Haut. Auf einem ist sein Ehegelübde gespeichert. Aus Kramers Sicht gibt es keine Probleme – nicht mit der Gesundheit, nicht mit dem Datenschutz. „Man wird weder permanent noch sporadisch mit GPS geortet und auch nicht heimlich ausgelesen“, sagt Kramer. Stattdessen erzählt er von einer 13-jährigen Kundin, die keine Arme habe. Durch ein Implantat am Fuß könnte sie nun selbstständig Türen öffnen. Oder es gebe den erwachsenen Mann, der mit 44 an Parkinson erkrankt sei. Um wie früher aufzuschließen, zitterten seine Hände zu sehr.

Weltweit tragen schon mehr als 150 000 Menschen ein Implantat, schätzt Kramer. „Die digitale Transformation wird unter der Haut weitergehen.“ Davon ist er überzeugt. Auch das iPhone 20 würden die Menschen keineswegs mehr ausschließlich in der Hand halten müssen, um es nutzen zu können. Ob er verstehen könnte, dass manche dies befremdlich finden? Sich davor fürchten? Schon. „Stutzig haben uns anfangs aber auch das Auto und das erste Smartphone gemacht“, meint Kramer.

In Schweden wird viel mehr experimentiert

Andere probieren gern jede neue Technologie aus. Wie Jens-Peter Labus. Er gehörte zu den ersten Deutschen, die ein Online-Konto hatten. Damals vor 30 Jahren lief das über Bildschirmtext (BTX), das World Wide Web wurde gerade entwickelt. Vor zwei Jahren ließ er sich einen Chip einsetzen. Labus hatte da die globale IT von Media Markt Saturn geleitet, stolz nannte ihn das Unternehmen „Chief Cyborg Officer“. Etwa 30 Mitarbeiter taten es ihm bei einer Firmenveranstaltung zur Digitalisierung gleich. Dabei konnten die Implantate nicht einmal praktisch verwendet werden. „Das war eher ein Gag und wurde intern nie genutzt“, sagt eine Sprecherin. Sie weiß daher auch nicht, wer bei Media Saturn den Chip noch trägt und wer ihn sich womöglich wieder entfernen lassen hat.

Labus hatte gehofft, er könne das Implantat als Zugangskarte nutzen. Doch da spielte das Gebäudemanagement nicht mit. Inzwischen ist er nicht mehr im Unternehmen, sondern berät andere bei der digitalen Transformation. Den Chip trägt er immer noch. „Ich kann damit das Garagentor öffnen und so ins Haus kommen“, sagt Labus. Gerade nach dem Joggen sei das ganz praktisch.

In anderen Ländern ist die Nutzung von Implantaten viel verbreiteter. In den USA, vor allem aber in Schweden. Dort haben sich in den vier Tui-Niederlassungen schon 115 der 500 Mitarbeiter chippen lassen. Die Beschäftigten machen damit die Eingangstür oder ihren Spind auf, zahlen in der Kantine. „Es war ungefähr so, wie Löcher in die Ohren stechen“, beschrieb einer von ihnen der Deutschen Presse-Agentur das Prozedere. „Nach ein paar Sekunden war der Schmerz vorüber.“ Nun denke er kaum noch an den Fremdkörper. Außer er ist aufgeregt. Dann spiele er damit wie mit seinem Ehering. „Wir schätzen, dass zwischen 4500 und 5000 Menschen in Schweden inzwischen diese Technologie nutzen“, sagte Jowan Österlund von der Firma Biohax, die Tui mit dem Chip ausgerüstet hat. Er glaubt, dass bald die Hälfte aller Techniknutzer solch ein Implantat tragen werde.

Ein Gerät zum Einführen eines Glaszylinders, in dem sich ein Mikrochip befindet.
Ein Gerät zum Einführen eines Glaszylinders, in dem sich ein Mikrochip befindet.

© Jowan Österlund/Biohax/dpa

Gewerkschaften fürchten gläserne Bürger

Die Schwedische Bahn fand die neue Technologie ebenfalls interessant und ermöglichte es 2500 Kunden, die einen Mikrochip tragen, ihn als Ticket zu nutzen. Nach zwei Jahren wurde das Experiment wieder eingestellt. „Die Technologie funktionierte nicht reibungslos“, erklärte Stephan Ray von der Transportgesellschaft SJ. „Wir haben uns entschieden, die Sache nicht weiter zu verfolgen, weil wir glauben, dass es in ein paar Jahren sowieso keine Fahrkarten mehr geben wird.“

Der Schwede Andreas Sjostrom, Technikchef bei Capgemini Skandinavien, sorgte früher an Flughäfen für Aufsehen, da er seine Bordkarte auf einem Implantat speicherte. Möglich war das, weil die Fluglinie SAS dabei schon lange die NFC- Technik einsetzt. Doch inzwischen hat dieser den Chip wieder entfernt und rät auch davon ab. „Sie lösen kein wirkliches Problem und funktionieren nicht besonders gut“, sagt Sjostrom in einem Video auf seinem Blog. Das Hauptproblem: Die Funktionalität der meisten Chips sei begrenzt, wenn man sie für verschiedene Dinge nutzen wolle, müsse sie immer wieder neu beschreiben. So seien letztlich die Gesundheitsrisiken durch Infektionen höher als der Nutzen.

Die Gewerkschaften beobachten die Technologie beim Einsatz in Unternehmen auch skeptisch. „Es geht neben ethischen oder philosophischen Aspekten darum, welche Vorteile die Verwendung von Mikrochips den Beschäftigten überhaupt bietet und welchen Preis sie dafür am Ende zahlen“, sagte Oliver Suchy, Digitalexperte beim DGB-Bundesvorstand. „Ein bisschen mehr Bequemlichkeit steht gerade im Arbeitsleben in keinem Verhältnis zur digitalen Überwachung und der Gefahr einer analytischen Vermessung durch den Arbeitgeber.“

Die meisten Geschichten würden vielleicht noch harmlos klingen, doch am Ende sei Chipping ein weiterer Baustein auf dem Weg zum gläsernen Beschäftigten. Deshalb müsse das Implantieren eines Chips in jedem Fall freiwillig bleiben. Es brauche zudem ein „hohes Maß an Datensicherheit und Transparenz darüber, was die Technologie kann und wer die persönlichen Daten für welche Zwecke nutzt“, sagt Suchy.

Selbst das Gehirn soll optimiert werden

Trotz solcher Bedenken und der momentanen technologischen Beschränkungen glaubt Digitalberater Labus, dass in den kommenden Jahren Implantate und Biohacking immer gebräuchlicher werden. Ein Bekannter von ihm trägt schon kleine Magnete in den Fingerkuppen und kann damit Stecknadeln anheben oder elektrische Felder spüren. Das ist eine Spielerei, doch Labus erwartet, dass vor allem im Medizinbereich neue, immer kleinere Chips und Sensoren kommen, die auch unter der Haut oder gar in der Blutbahn Körperfunktionen überwachen und beispielsweise vor einem drohenden Herzinfarkt warnen könnten.

„Technologie ist akzeptiert, um einen körperlichen Normalzustand wieder herzustellen“, sagt Labus. Das beste Beispiel sind Herzschrittmacher, die seit 1958 eingesetzt werden, inzwischen sind es allein in Deutschland jedes Jahr etwa 100 000. „In der nächsten Welle werden wir Technologie auch nutzen, um körperliche Fähigkeiten zu verbessern“, sagt Labus. Faszinierend fände er einen kleinen Lautsprecher im Kiefer, der Sprachen simultan übersetzt und per Knochenschall übertrage. Noch weiter gehen Ideen von Brain-Computer-Interfaces, also direkten Schnittstellen zum Gehirn. „Dann kann man Informationen direkt aus der Cloud abrufen“, sagt Labus. Facebook oder Elon Musks Firma Neuralink arbeiten daran.

Zur Startseite