
© dpa/Philipp Schulze
Panzerwagen statt Straßenbahnen: Leopard-Hersteller KNDS plant die Zeitenwende in Görlitz
Der Rüstungskonzern KNDS verhandelt mit Alstom über die Übernahme des Standorts mit 700 Beschäftigten in Sachsen. Dort endet die Fertigung von Bahnen nach mehr als 170 Jahren.
Stand:
Zeitenwende in Ostsachsen. Für März 2026 hat der französische Alstom-Konzern das Ende des Schienenfahrzeugbaus in Görlitz angekündigt. Ein Großteil der 700 Alstom-Beschäftigten soll künftig für den deutsch-französischen Rüstungskonzern KNDS arbeiten.
KNDS, vor zehn Jahren durch die Fusion von Krauss-Maffei Wegmann und Nexter entstanden, produziert Radfahrzeuge für das Heer, ferner Aufklärungs-, Flugabwehr- und Artilleriesysteme sowie Kampfpanzer (Leopard) und Schützenpanzer (Puma). Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine erfreut sich KNDS einer Auftragsflut und benötigt zusätzliche Kapazitäten.
Vor ein paar Wochen wurde ein 950-Millionen-Euro-Vertrag über die Lieferung von 44 Leopard 2 an das litauische Heer unterschrieben. Gemeinsam mit Rheinmetall digitalisiert KNDS 10.000 Fahrzeuge der Bundeswehr für knapp zwei Milliarden Euro. Und der Haushaltsausschuss des Bundestages billigte wenige Tage vor Weihnachten 38 Rüstungsprojekte über 21 Milliarden Euro – ein Rekordvolumen. KNDS gehört zu den Auftragnehmern.
Bis zur Bundestagswahl am 23. Februar wird sich der Haushaltsausschuss voraussichtlich mit weiteren Rüstungsaufträgen befassen. Bis dahin sollte auch geklärt sein, wie es auf dem traditionsreichen Industriegelände in Görlitz, wo seit 1848 Schienenfahrzeuge montiert werden, weitergeht. KNDS jedenfalls möchte in Ostsachsen, unweit der polnischen Grenze, gepanzerte Fahrzeuge produzieren und warten.
Über die Modalitäten des Übergangs von Alstom zu KNDS verhandeln die beiden Konzern seit Monaten. „Ziel ist, eine nachhaltige Perspektive für den Standort Görlitz, insbesondere für die Industriearbeitsplätze zu schaffen“, teilte Alstom auf Anfrage mit. Mit Betriebsräten und IG Metall gebe es „einen vertrauensvollen und kontinuierlichen Austausch zum Verlauf dieser Gespräche“.

© dpa/Annette Riedl
Die Gespräche ziehen sich hin. Ursprünglich gab es den Plan, das industriepolitische Großprojekt mit verteidigungspolitischer Relevanz vom sächsischen Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Sommer 2024 und damit also ein paar Wochen vor der Landtagswahl vorzustellen. Es blieb beim Plan.
Das 330.000 Quadratmeter große Grundstück, das entspricht etwa 40 Fußballfeldern, möchte Alstom lukrativ vermarkten. Und dazu von den derzeit 700 Mitarbeitern so viele wie möglich bei KNDS unterbringen, um die Kosten für einen Stellenabbau/Sozialplan gering zu halten.
Relativ junge Belegschaft in Görlitz
Das Interesse von KNDS wiederum gilt der Hallenfläche von rund 140.000 Quadratmetern und den qualifizierten Beschäftigten. Das Durchschnittsalter der Görlitzer Alstom-Belegschaft liege um die 40 Jahre, heißt es im Betriebsrat; das sei hochattraktiv für KNDS.
Die französische Alstom hatte 2021 die kanadische Bombardier Transportation mit ein Dutzend Standorten und 9000 Mitarbeitenden in Deutschland übernommen. Managementfehler, Qualitätsdefizite und Investitionsversäumnisse hatten über die Jahre die Wettbewerbsfähigkeit der Bombardier-Standorte beschädigt. Das wirkt bis heute nach. Auch 2024, so heißt es im Unternehmen, habe Alstom in Deutschland erhebliche Verluste erwirtschaftet.
Um eine sozialverträgliche Sanierung im Konsens zu gewährleisten, vereinbarte das Unternehmen Anfang 2023 mit der IG Metall einen „Zukunftstarifvertrag“: Die Beschäftigten verzichteten auf 34 Millionen Urlaubsgeld pro Jahr, der Konzern sagte im Gegenzug Investitionen an den Standorten und sichere Arbeitsplätze zu. Die langjährige Krise der ostdeutschen Bahnindustrie schien überwunden. Das war ein Irrtum.
Auch Hennigsdorf ist betroffen
Im Frühjahr letzten Jahres kündigte die IG Metall den Vertrag, weil sich das Unternehmen angeblich nicht an Zusagen hielt. Ein paar Monate später wurde es dann offiziell: Das Werk im brandenburgischen Hennigsdorf produziert künftig keine Neufahrzeuge mehr, und Görlitz wird geschlossen oder verkauft. Ein kleiner Teil der Görlitzer Belegschaft soll in den Alstom-Standort nach Bautzen wechseln.
Die Pariser Konzernspitze ersetzte im Oktober Müslüm Yakisan, der die deutschsprachigen Länder als Präsident der sogenannten DACH-Region leitete, durch den Siemens-Energy-Manager Tim Dawidowsky. Neben dem eigentlichen Geschäft muss der neue CEO die Verhandlungen mit KNDS zum Abschluss bringen und die Konflikte mit der zunehmend verbitterten Belegschaft befrieden.
Nach Angaben der IG Metall klagen rund 1600 Alstom-Mitarbeitende auf die rückwirkende Zahlung des Urlaubsgeldes, weil der Konzern gegen den Zukunftstarifvertrag verstoßen habe; allein in Sachsen sind es 816 Klagen. „Die hohe Anzahl führt beim Arbeitsgericht Bautzen zu einem ungewöhnlich hohen Arbeitsanfall“, teilte das Gericht im Dezember mit. Das könne zu Verzögerungen auch in anderen Verfahren führen.
Die Arbeitgeberseite bestreitet die Wirksamkeit der Kündigung des Zukunftstarifvertrags und klagt dagegen vor dem Arbeitsgericht Frankfurt (Main); allein dieser Schriftsatz umfasst 180 Seiten. Am Arbeitsgericht in Kassel, auch dort sind Alstom-Beschäftigte betroffen, möchten die streitenden Parteien in einem Musterverfahren klären, ob rückwirkend Urlaubsgeld für 2024 und möglicherweise sogar für 2023 zu zahlen ist. Die Zeit drängt: Im kommenden April ist – jedenfalls unter normalen Umständen – wieder Urlaubsgeld fällig.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: