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Wirtschaft: Pharma-Polizei soll die Industrie kontrollieren

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) legt sich mit den Pharmakonzernen an. Sie fordert eine "Arzneimittel-Polizei" nach dem Vorbild der Niederlande.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) legt sich mit den Pharmakonzernen an. Sie fordert eine "Arzneimittel-Polizei" nach dem Vorbild der Niederlande. Diese soll illegale Praktiken der Industrie aufdecken. Mit ihren Plänen zu einer Gesundheitsreform 2003, die Schmidt am Donnerstag in Berlin vorlegte, will sie zudem den Wechsel von der gesetzlichen in die private Krankenversicherung erschweren und so die Einnahmebasis der Kassen stärken.

Im Zuge einer geplanten Gesundheitsreform 2003 will die Ministerin schärfer gegen die Pharmaindustrie vorgehen. Das Ministerium bestätigte Zeitungsberichte, nach denen Schmidt überlegt, Arzneimittel-Inspekteure wie in den Niederlanden einzuführen. Seit drei Jahren nehmen dort Kontrolleure die Marketing-Aktivitäten der Pharmafirmen unter die Lupe und ermitteln gegen illegale Praktiken. Die holländischen Pharma-Polizisten haben die gleichen Befugnisse wie ein Staatsanwalt. Es sei nicht hinzunehmen, sagte Schmidt, dass die forschenden Pharmahersteller doppelt so viel Geld in das Marketing steckten wie in die Forschung.

Einige Unternehmen der Branche waren in jüngster Zeit in die Schlagzeilen geraten, weil sie etwa an Krankenhausärzte Schmiergelder zahlten oder diese zu teuren Reisen einluden. Der Geschäftsführer des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Henning Fahrenkamp, verurteilte die Einführung von Inspekteuren als "erneute Gängelung der Pharmaindustrie".

Ein weiterer Streitpunkt der Ministerin mit den Pharmafirmen ist die verbreitete Rabattpraxis. Um Marktanteile zu gewinnen, gewähren Arzneihersteller Apotheken oft Nachlässe oder geben Medikamente kostenlos ab. Die Apotheken wiederum können die kostenlose Arzneimittel gegenüber den Kassen abrechnen. Um mehr Transparenz auf dem Arzneimarkt zu schaffen, fordert die Ministerin ein Institut, das Kosten und Nutzen von Medikamenten bewertet. Es solle "die Spreu vom Weizen trennen".

Zehn Prozent mehr Nutzen bei einem Medikament rechtfertige nicht eine Preissteigerung um 300 Prozent, sagte Schmidt. Steigende Arzneimittelkosten sind verantwortlich für die Finanzprobleme im Gesundheitswesen. So wuchsen 2001 die Ausgaben um elf Prozent auf 22,4 Milliarden Euro. Die "starren und überholten Strukturen aus dem vorletzten Jahrhundert" in der Arzneimittelversorgung müssten überwunden werden, sagte Ulla Schmidt weiter. Dazu gehören etwa die Vertriebswege. So plant Schmidt, den Versandhandel von Medikamenten zuzulassen - ein Dauerstreitpunkt mit den rund 22 000 Apothekern bundesweit, die ihre Monopolstellung gefährdet sehen.

Zudem kündigte Schmidt an, die Arzneimittel-Preisverordnung zu überarbeiten. Mit dieser schreibt der Staat den Apotheken die Handelsspannen vor. Den Krankenkassen will Ulla Schmidt eine aktivere Rolle zukommen lassen. Sie sollen zusätzliche Direktverträge mit Kliniken und Ärzten abschließen können, die besonders hohe Qualität erbringen. Am Prinzip der freien Arzwahl will Schmidt aber festhalten. In den Niederlanden sind solche Direktverträge bereits seit 1992 möglich. In der Frage der Finanzierung der Krankenkassen geht Ulla Schmidt bei ihren Plänen für eine Gesundheitsreform nach der Bundestagswahl auf Konfrontationskurs mit einem Kreis SPD-naher Wissenschaftler. So lehnt sie es ab, dass Versicherte künftig auch für Miet- und Zinseinnahmen Kassenbeiträge zahlen. "Dies geht zu Lasten unterer und mittlerer Einkommen", sagte Schmidt. Ein Expertenkreis rund um den Kölner Gesundheitsökonomen Karl Lauterbach hatte sich unter anderem für eine Belastung der Nebeneinkünfte ausgesprochen. Die Ministerin will dagegen den Wechsel von der gesetzlichen in die private Kasse erschweren. Für jüngere Menschen will sie die Versicherungspflichtgrenze von derzeit 3375 Euro im Monat hoch setzen. Diese Grenze bestimmt, ab welcher Einkommenshöhe ein Wechsel erlaubt ist.

Schmidt will, dass "gut verdienende junge Menschen, die am Anfang ihres Berufslebens stehen, länger in der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben". Im Jahr 2001 sind nach Angaben der Ministerin mehr als 200 000 Personen in die private Versicherung gewechselt. Den gesetzlichen Kassen ging so eine Milliarde Euro an Beiträgen verloren. Die Forderung der Grünen, die so genannte Beitragsbemessungsgrenze und damit die Höchstbeiträge für gut Verdienende anzuheben, lehnte Schmidt ab. Die freiwillig Versicherten zahlten "schon jetzt hohe Beiträge". Bis zur Beitragsbemessungsgrenze von 3375 Euro zahlen die Versicherten einen prozentualen Beitrag ihres Einkommens. Jenseits dieser Grenze steigt er nicht weiter, egal wie hoch das Einkommen ist.

ce

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