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Angst um die Stabilität. Großanleger haben viele Milliarden aus afrikanischen und asiatischen Boomstaaten abgezogen. Foto: Reuter

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Wirtschaft: Revolte der Investoren

Unruhen in Nordafrika und Arabien setzen Emerging-Market-Fonds zu

Jasmin-Revolution in Tunesien, Umsturz in Ägypten, Hoffnung auf einen Wandel in Libyen, Proteste in Bahrain, im Jemen, selbst in China. Was politisch bejubelt wird, hat an den Märkten für große Unruhe gesorgt. Aus Angst um die Stabilität der Schwellenländer zogen Anleger in den vergangenen Wochen viele Milliarden aus afrikanischen und asiatischen Boomstaaten ab. Nähert sich der Hype um die Emerging Markets einem Ende – oder fassen die Investoren nach der Korrektur neuen Mut?

Vorerst sprechen die Fakten eine klare Sprache: Der chinesische Hang Seng China Enterprises notiert auf einem Level, das er schon 2007 erreicht hatte. Der indische BSE, im November noch bei 21 000 Punkten, sackte auf 17 500 Punkte ab. Der ägyptische EGX, der Mitte Januar bei 1050 Punkten notierte, schrumpfte auf jetzt gut 770 Punkte, das ist ein Minus von fast 30 Prozent. Zwei Wochen blieb die Kairoer Börse im Februar komplett geschlossen, nachdem an zwei Tagen Ende Januar rund 12 Milliarden Dollar an Aktienwerten verpufft waren. Investoren kamen nicht mehr an ihr Geld, Fonds mit hohem Ägypten-Anteil waren auf Eis gelegt, da sie keine Kurse mehr berechnen konnten. Der Ölpreis explodierte. Hinzu kam: Die Rating-Agentur Moody’s stufte die Kreditwürdigkeit des Landes, auf das die Investoren nach Südafrika die größten wirtschaftlichen Hoffnungen setzen, herab und senkte den Ausblick auf „negativ“.

Lange galten fast alle Emerging Markets, angetrieben auch vom Marketing der Banken, als vielversprechende Anlageregion. Doch seit 2010 zeigt das Bild Kratzer: Der gewaltige Rohstoffhunger, auf Industriemetalle, Öl oder Agrarrohstoffe hat die Preise explodieren lassen – und damit auch Inflation und neue Armutsrisiken in die Länder importiert. Viele Schwellenländer versuchen, mit Zinserhöhungen gegenzusteuern: Indien setzte die Leitzinsen binnen Jahresfrist sieben Mal auf nun 6,5 Prozent herauf. Auch China drehte mehrfach an den Sätzen. Doch dies wird nicht nur die Inflation, sondern auch das Wachstum in den Emerging Markets deckeln. Die politischen Unruhen und die Sorge um eine Ausweitung der Konflikte, um die Sicherheit des arabischen Öls und seiner Transportwege im Suezkanal oder im Persischen Golf beschleunigten die Verkäufe der Investoren weiter.

Auch die Türkei, wirtschaftlicher Hoffnungsträger an der Ostflanke der EU und finanzpolitisches Scharnier zwischen arabischen Investoren, Asien und Europa, konnte sich der neuen Skepsis nicht entziehen. Der führende Index ISE 100, der sich zwischen 2008 und 2010 nahezu verdreifacht hatte, brach von 72 000 auf 59 000 Punkte ein. Dass gerade Geldgeber aus arabischen Krisenregionen und aus Nachbarländern, in denen der Demokratiefunke noch zünden könnte, in der Türkei investiert hatten, vertrieb viele Anleger. Allerdings: Von den großen Ratingagenturen wird erwartet, dass sie der Türkei mittelfristig den Status „Investmentgrade“ geben. Dies könnte weitere Gelder ins Land locken. Noch zögern sie wegen des satten Leistungsbilanzdefizits, einer relativ hohen Inflation und vieler politischer Fragezeichen vor den Wahlen im Sommer, wie HSBC vermutet.

„Die Kapitalströme in die 30 größten Schwellenländer werden in den nächsten zwei Jahren auf ihren Rekordwerten bleiben“, glaubt Markus Jäger, Emerging- Markets-Experte bei DB Research. Das bedeutet: Etwa 900 Milliarden Dollar sollen nach Meinung der Deutschen Bank 2011 und 2012 in die Schwellenländer fließen, aufgeteilt auf direkte Investitionen sowie auf Aktieninvestments. Die Hauptargumente für ein Investment blieben dabei unverändert: Attraktive Zinsen verbunden mit Chancen auf eine (weitere) Aufwertung der Währungen, geringere Schulden als in Europa oder den USA und eine junge, zunehmend konsumstarke Bevölkerung. Ähnlich sehen dies Morgan Stanley und Crédit Suisse, die nach den Abverkäufen nun wieder Einstiegschancen wittern und damit rechnen, dass der Index MSCI Emerging Markets 2011 um ein Drittel steigen wird. Beide Häuser haben neue Index-Produkte herausgebracht.

Auch die Deutsche Bank bietet ein neues Investment-Vehikel an: Allerdings setzt der „db x-trackers MSCI Emerging Market Short Daily Index ETF“ als erster börsennotierter Indexfonds auf fallende Märkte in den aufstrebenden Volkswirtschaften. Dabei kann der Anleger entweder direkt von weiter sinkenden Kursen quer über alle Emerging Markets profitieren, umgekehrt aber auch seine bestehenden Investments dort absichern.

Ein Blick auf die Wertentwicklung großer Emerging-Market-Fonds zeigt, dass viele Depots mit Schwellenländeranteil, abhängig natürlich vom Einstiegszeitpunkt, wenig Anlass zur Freude bieten. Bis zu zwölf Prozent notieren die großen Fonds seit Januar im Minus. Auch längerfristig sind die meisten Produkte den Erwartungen nicht gerecht geworden.

Nicht alle Marktexperten teilen den Optimismus von Morgan Stanley, Crédit Suisse und Deutscher Bank. „Solange die Anleiherenditen in den USA und Europa weiter steigen und der Inflationsdruck in den Schwellenländern anhält, wird der Kapitalstrom in die Emerging Markets negativ bleiben“, befürchtet Maarten-Jan Bakkum, Global Emerging Markets-Stratege bei ING. Die seit Oktober 2010 eingetrübte Wertentwicklung der Schwellenländer könne noch eine Weile anhalten. Bakkum befürchtet, dass das Inflationsproblem hartnäckig ist, die Krisen im Nahen Osten weiter für Druck auf die Ölpreise sorgen und die Wachstumerwartungen zurückgenommen werden.

Auch Lilian Co, die sieben Jahre lang den Fonds Baring China managte und dessen Wert in dieser Zeit versechzigfachte, rät zur Vorsicht in den Emerging Markets. 2011 werde ein Jahr, in dem ein Investment in den entwickelten Ländern erfolgreicher sei, prognostiziert die Asien-Expertin, die sich mit einem eigenen Fonds (Strategic China Panda Fund) selbstständig gemacht hat. Asien bleibe aber langfristig eine der attraktivsten Anlageregionen. Aktuell spreche jedoch der Anstieg der Immobilien- und der Rohstoffpreise und die real zweistellige Inflation gegen größere Investments. Ein Übergreifen des revolutionären Gedankens aus Nordafrika nach China, wie es vergangene Woche zu beobachten war, sieht Co nicht.

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