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Nukleartechnik: Siemens wagt sich in ein heißes Geschäft

Der Konzern will zusammen mit Rosatom Kernkraftwerke bauen. Die Partner haben einen Markt von einer Billion Euro im Visier.

Berlin - Es ging alles ganz schnell. Erst vor vier Wochen hatte Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin dem deutschen Technologiekonzern Siemens Gespräche mit dem staatlichen russischen Nuklearunternehmen Rosatom über eine Partnerschaft angeboten. Nach nur 30 Tagen war es am Dienstagabend so weit: Beide Seiten unterzeichneten in Berlin eine Absichtserklärung. Siemens-Chef Peter Löscher zeigte sich überzeugt, dass die endgültigen Verhandlungen mit Rosatom über die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens bereits im Mai abgeschlossen werden können.

Beide Partner haben einen großen Markt im Visier: Prognosen gingen davon aus, dass bis zum Jahr 2030 weltweit rund 400 Kraftwerke neu gebaut würden mit einem Investitionsvolumen von mehr als 1000 Milliarden Euro, sagte Löscher. „In diesem Markt wollen wir eine führende Rolle spielen.“

Siemens vollzieht mit dem Wiedereinstieg in die Nukleartechnik eine strategische Wende. Ende der 1990er Jahre war der Konzern unter Heinrich von Pierer im Wesentlichen aus dem Reaktorbau ausgestiegen und hatte den entsprechenden Geschäftszweig mehrheitlich an den französischen Staatskonzern Areva abgegeben. Das restliche Drittel, das Siemens noch an der gemeinsamen Tochter Areva Nuclear Power (NP) hält, will Löscher nun an die Franzosen verkaufen, die bei NP ohnehin das sagen hatten. Dass Siemens keinen unternehmerischen Einfluss nehmen konnte, passte dem Konzern nicht. Deutlich war dieses Problem beim Bau des finnischen Reaktors Olkiluoto geworden. Verzögerungen bei dem Projekt haben Siemens bereits viel Geld gekostet.

Löscher will, dass Siemens von der Renaissance der Nukleartechnik weltweit profitiert und ist überzeugt, dass die Kernenergie für die versorgungssichere Energieerzeugung unverzichtbar ist. Sie werde in einem nachhaltigen Energiemix eine wichtige Rolle bei der CO2-armen Stromerzeugung spielen.

Noch verhandelt Siemens aber mit Areva über die Konditionen des Ausstiegs. Dabei spielt nicht nur der Preis eine Rolle. Der Wert des 34-prozentigen Siemens-Anteils an Areva NP wird auf zwei Milliarden Euro taxiert. Laut Areva-Chefin Anne Lauvergeon geht es dabei auch um die Sperrklausel, die Siemens acht Jahre lang konkurrierende Aktivitäten untersagt. Siemens-Chef Löscher lehnte es am Dienstagabend ab, etwas zu den Verhandlungen mit Areva zu sagen. Es sei auch zu früh, sich über Details der Zusammenarbeit mit Rosatom zu äußern. Diese würden nun in einem nächsten Schritt verhandelt. Auch finanzielle Details nannten die beiden Unternehmen nicht. Nur so viel: Rosatom soll eine Mehrheit von 50 Prozent plus einer Aktie an dem Gemeinschaftsunternehmen halten. Rosatom-Chef Sergej Kirienko sprach von einer „vollwertigen Partnerschaft“.

Zu konkreten Projekte, die als erstes angegangen werden könnten, wollte sich Löscher noch nicht äußern. Ziel des Gemeinschaftsunternehmen sei es, die Entwicklung der russischen Druckwasserreaktortechnologie voranzutreiben. Darüber hinaus soll das gemeinsame Unternehmen neue Kernkraftwerke bauen und vertreiben, bestehende modernisieren und ihre Leistung steigern sowie alte Anlagen stilllegen. Beide Seiten streben nach eigenen Worten eine langjährige Zusammenarbeit an und sehen sich gegenseitig als gute Ergänzung. Löscher verwies darauf, dass Siemens bereits seit mehr als 20 Jahren in Projekten mit Rosatom zusammen arbeite.

Siemens verfügt über langjährige Erfahrung beim konventionellen Teil von Kernkraftwerken sowie im Bau von großen Anlagen. In einem Fünftel der weltweiten Kernkraftwerke stecke Leittechnik von Siemens, sagte Löscher. Doch mit dem nuklearen, dem heißen Teil der Kraftwerke, hat Siemens derzeit nichts zu tun.

Rosatom ist dagegen das einzige Unternehmen weltweit, das die komplette Wertschöpfungskette in der Nuklearenergieerzeugung abdeckt: von der Urangewinnung über die Anreicherung, die Fertigung von Brennstäben bis hin zum Bau und Betrieb von Anlagen. Nach Angaben eines Rosatom-Sprechers hat das Unternehmen bei der Urananreicherung einen weltweiten Marktanteil von 40 Prozent, bei der Fertigung von Brennstäben einen Anteil von 17 Prozent. Derzeit betreibt Rosatom 31 Kraftwerke in Russland und eines in Armenien. Zwölf Anlagen befinden sich aktuell noch im Bau, davon sieben in Russland und fünf im Ausland.

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