
Wirtschaft: Software aus Istanbul, Laptops aus Izmir
Das Partnerland Türkei ist für viele Technologiekonzerne ein interessanter Produktionsort – und ein immer interessanterer Markt
Istanbul - Der Döner ist auch nicht mehr das, was er mal war. Als der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan kürzlich ein Einkaufszentrum in Istanbul einweihte, blieb er beim Rundgang überrascht vor einem Döner-Imbiss stehen. Was seine Aufmerksamkeit erregte: Dort wird das Fleisch nicht wie gewohnt vom Verkäufer mit einem langen Messer vom Drehspieß geschnitten, sondern mit einem automatischen, per Fernbedienung gesteuerten Messer. Erdogan probierte die Fernbedienung gleich selbst aus.
Nicht nur der Regierungschef muss sich an technische Neuerungen in der Türkei gewöhnen. Als Repräsentant des diesjährigen Partnerlandes der Cebit werden türkische Politiker und Geschäftsleute in den kommenden Tagen wohl häufiger die Frage hören, was die Türkei, die nach wie vor mit dem Image eines rückständigen Landes zu kämpfen hat, an Hightech zu bieten habe. Eine ganze Menge, lautet die Antwort der türkischen Gäste.
92 Unternehmen aus der Türkei werden in Hannover erwartet. „Die Cebit 2011 wird türkischen ITK-Firmen eine großartige Plattform bieten, um den globalen Markt zu erreichen“, sagt Murat Yalcintas, der als Präsident der Istanbuler Handelskammer den Auftritt der Türkei mitorganisiert. Die türkische IT- und Kommunikationsbranche mit ihrem Volumen von 27 Milliarden Dollar wird nach Schätzung der Regierung in diesem Jahr um sechs Prozent wachsen, im nächsten Jahr sollen es elf Prozent sein. Noch spielen die Ausfuhren nur eine geringe Rolle. Derzeit exportiert die Türkei jährlich Hightech-Produkte im Wert von drei Milliarden Dollar, das sind weniger als drei Prozent der Gesamtausfuhren des Landes. Die Cebit ist für die türkische Branche die Gelegenheit, diesen Anteil künftig kräftig zu erhöhen.
Ansätze dafür gibt es bereits. IT-Unternehmen aus der Türkei sind in ihren Nachbarländern längst erfolgreich. Der Computerhersteller Casper will in zwei Jahren rund eine Million Geräte jährlich verkaufen, viele davon in Länder und Regionen, die im Westen oft nicht auf dem Radar von Unternehmen erscheinen: Aserbaidschan, Georgien, Bosnien, Nahost und Afrika. Gut ausgebildete Arbeitskräfte und ein niedriges Lohnniveau zählen zu den Standortvorteilen – ebenso wie die geografische Nähe zu Europa.
So sind die Türken bereits in Westeuropa angekommen: Das Elektronikunternehmen Vestel, einer der größten Hersteller von Fernsehgeräten für den europäischen Markt, hat sich nach eigenen Angaben mithilfe von Verträgen mit mehreren Sendern einen 25-prozentigen Anteil am Markt für HD-Decoder in Europa gesichert. In „Vestel City“, einem riesigen Fabrikgelände bei Izmir, das hin und wieder als Silicon Valley der Türkei bezeichnet wird, werden auch Laptops für den Export nach Europa hergestellt. Koc-Sistem, Teil des großen Koc-Konzerns, hat seine Pixage-Software für digitale Medieninhalte an den FC Liverpool und andere Spitzenclubs der englischen Premier League verkauft und will sie nun auf der Cebit einem breiteren Publikum präsentieren.
Die Türkei sieht sich aber nicht nur als Hightech-Produzenten, sondern auch als attraktiven Markt. Das Land mit mehr als 70 Millionen Menschen hat mehrere Jahre eines imposanten Wirtschaftswachstums hinter sich, das die Türkei in die Reihen der G-20 katapultiert und das Pro-Kopf- Einkommen verdoppelt hat. Die Türken haben im Schnitt nicht nur mehr Geld zur Verfügung als noch vor einigen Jahren, sie geben es auch aus. Rund 3,6 Millionen Computer wurden 2010 in der Türkei verkauft, zwölf Prozent mehr als im Jahr zuvor. Der Markt für Mobiltelefone wächst ähnlich stark. Die größten türkischen IT- Firmen sind die Mobilfunkanbieter.
Es war auch kein Zufall, dass Erdogan das vollautomatische Döner-Messer ausgerechnet in einem Einkaufszentrum entdeckte: Die Zahl der Shopping Malls in der Türkei hat sich in der vergangenen Dekade verfünffacht, derzeit liegt sie bei 300. In allen türkischen Städten finden sich die Geschäfte türkischer und ausländischer Elektronikketten. Media Markt betreibt in der Türkei 16 Filialen. Zusätzliche Bedeutung erhält die Türkei als Standort internationaler Hightech-Firmen. Microsoft lenkt von Istanbul aus seine Geschäfte in Afrika und Nahost. Der taiwanesische Konzern Foxconn begann vor kurzem in einer neuen Fabrik bei Istanbul mit der PC-Herstellung für Hewlett Packard. Das Ziel ist der Export von jährlich drei Millionen Geräten nach Nahost, Zentralasien und Afrika. Thomas Seibert