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Monatelang hat GDL-Chef Claus Weselsky den Arbeitskampf vorbereitet.

© dpa

Streiks der Lokführer bei der GDL: Ein Gewerkschaftsboss kämpft ums Überleben

Was lange währt, wird gar nicht gut: Die Lokführergewerkschaft GDL legt die Bahn lahm. Das hat auch mit ihrem ehrgeizigen Chef Weselsky zu tun. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Alfons Frese

Endlich, möchte man fast sagen. Fast ein Jahr lang haben die Deutsche Bahn und die Lokführergewerkschaft GDL ihre Unfähigkeit zur Problemlösung demonstriert. Die Konsequenz des Scheiterns der Sozialpartnerschaft bei der Bahn ist nun ein Arbeitskampf. Ausgerechnet jetzt, wo es so langsam aufwärts geht und sich wieder mehr Leute in die Züge trauen.

Streiks kommen immer unpassend und scheinen unverhältnismäßig, wenn ein paar tausende Streikende Hunderttausende betreffen, die in diesem Fall nicht vom Fleck kommen. Doch das haben wir auszuhalten als Teil der demokratischen Kultur; Verteilungskonflikte müssen manchmal auf die Spitze getrieben werden, bevor eine Lösung möglich ist.

Im Kern des Konflikts steht die Tarifeinheit

Im Streit zwischen der GDL und dem Staatskonzern geht es aber nur vordergründig um Geld und verbesserte Arbeitsbedingungen. Wir erleben vielmehr eine Art End- oder auch Höhepunkt einer Auseinandersetzung, die vor zehn Jahren begann. Damals forderten DGB und Arbeitgeberverbände gemeinsam die Politik auf, das Prinzip der Tarifeinheit, wonach in einem Betrieb ein Tarifvertrag gilt, erstmals gesetzlich festzuschreiben. Hintergrund der Initiative: Sparten oder Berufsgewerkschaften der Piloten, Ärzte und Lokführer waren sehr erfolgreich in das Tarifgeschäft eingestiegen und hatten aufgrund der strategischen Rolle ihrer kleinen aber feinen Mitglieder überdurchschnittliche Einkommenserhöhungen durchgesetzt.

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Wenn Ärzte im Krankenhaus aber deutlich mehr verdienen oder Piloten der Lufthansa, dann bleibt weniger Verteilungsmasse übrig für die Krankenpfleger und Flugbegleiterinnen. Das unterminiert die gewerkschaftliche Solidarität. Die Arbeitgeber wiederum sahen die friedliche Verbänderepublik Deutschland im Streikchaos versinken, wenn Feuerwehrleute, IT-Kräfte, Rettungssanitäter und andere ihren Berufsegoismus auslebten.

Angela Merkel verstand die Argumentation und die SPD sowieso, und so regelte die große Koalition 2015 die Tarifeinheit: Wenn in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften aktiv sind und dort Tarifverträge für identische Beschäftigtengruppen abschließen, dann gilt nur noch der Tarif der größten Gewerkschaft; der kleineren wird die Geschäftsgrundlage entzogen.

Martin Seiler, Personalvorstand der Deutschen Bahn, hat den Konflikt nicht friedlich lösen können.
Martin Seiler, Personalvorstand der Deutschen Bahn, hat den Konflikt nicht friedlich lösen können.

© dpa

Klingt kompliziert und ist kompliziert. Unter anderem auch deshalb, weil ein Arbeitgeber nicht weiß, wie viele Mitglieder eine Gewerkschaft hat. Bislang ist das Gesetz nicht angewendet worden, denn die drei bei der Lufthansa tätigen Gewerkschaften kommen sich ebenso wenig in die Quere wie die Ärztegewerkschaft Marburger Bund und Verdi. Bei der Bahn wiederum funktionierte über die Jahre ein Friedensabkommen - bis zum vergangenen Herbst. Erst schloss die Bahn einen Corona-Spartarif mit der großen Eisenbahnverkehrsgewerkschaft EVG, dann scheiterte eine Schlichtung mit der GDL, sodass die Bahn zum 1. Januar die Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes ankündigte.

Weselsky im Existenzkampf

GDL-Chef Claus Weselsky sieht sich seitdem in einem Überlebenskampf, in dem der bevorstehende Arbeitskampf ein Instrument ist, um mehr Mitglieder zu bekommen. Denn das ist die Gefahr der Tarifeinheit: Die kleine Gewerkschaft kann von der großen kaputtgemacht werden. Die EVG aber zählt fünf Mal so viele Mitglieder wie die GDL, und der Verdacht liegt nahe, dass Bahn und EVG in diesem Jahr das Ende der querulantischen GDL einläuten wollen. Das macht diesen Arbeitskampf aus Sicht von Weselsky zum Existenzkampf. Und das verschafft ihm die materielle Unterstützung seines Dachverbandes, des Beamtenbundes, der einst vergeblich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Tarifeinheit geklagt hatte.

Die Bundesregierung kommt ins Spiel

Mit viel Polemik gegen die EVG und Attacken auf den "Wasserkopf" bei der Bahn und die verquere Schienenpolitik der Bundesregierung hat Weselsky seine Leute mobilisiert. Der ehemals als Lokführer bei der Reichsbahn tätige GDL-Vorsitzende hat Courage und ist dazu ein Stratege, dem das Bahn-Management ziemlich hilflos gegenübersteht. Wer jedoch in den Arbeitskampf zieht, der sollte eine Vorstellung haben vom Friedensabkommen, das irgendwann fällig ist. Ein für beide Seiten gesichtswahrender Kompromiss ist derzeit kaum vorstellbar und wird den Konfliktparteien ohne Hilfe eines Dritten nicht gelingen.

Der Eigentümer der Bahn wird sich einschalten müssen, das gehört zum Kalkül Weselskys: Kurz vor der Bundestagswahl hat die Bundesregierung kein Interesse an einem wochenlangen Scharmützel, das die Bahnfahrer nervt. Und so wird es am Ende einen teuren Frieden geben: Die Bahn zahlt den Lokführern mehr als bislang angeboten und wird dann aber auch den Tarifvertrag mit der EVG nachbessern müssen. Und das bei einem Schuldenstand von 32 Milliarden Euro. Traurig aber wahr: Für die nicht funktionierende Sozialpartnerschaft im Staatskonzern zahlt am Ende der Steuerzahler.

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