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Studie zum Standort Deutschland: „Fundament der Wirtschaft deutlich innovativer als häufig wahrgenommen“
Die deutsche Wirtschaft ist nach Ansicht von Ökonomen des gewerkschaftlichen Instituts IMK besser als ihr Ruf. Schuld an der Schwäche seien vor allem auch äußere Faktoren wie der Machtkampf zwischen den USA und China.
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Der Standort Deutschland ist besser als sein Ruf. Dass die Wirtschaft seit Jahren nicht vom Fleck kommt – das Bruttoinlandsprodukt ist seit 2019 kaum gestiegen –, liegt laut einer neuen Studie des makroökonomischen Instituts der Böckler-Stiftung (IMK) weniger an den Problemen im Inland als vielmehr an den veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Konkret sind demnach der Machtkampf zwischen den USA und China sowie die Folgen des Energiepreisschocks durch den Wegfall russischen Erdgases für die deutsche Wirtschaft relevanter als die Arbeitskosten hierzulande oder der Aufwand für den Sozialstaat.
„Wirtschaftspolitische Maßnahmen der neuen Bundesregierung müssen das berücksichtigen, wenn sie zu einem erfolgreichen Turnaround der Wirtschaft führen sollen“, schreibt das Institut.
Drei Maßnahmen schlagen die Ökonomen des gewerkschaftlichen IMK vor: eine Investitionsoffensive für die Infrastruktur, günstigere Strompreise sowie eine in der EU koordinierte Industriepolitik, die Zukunfts- und Schlüsselbranchen in der Transformation unterstützt. Auch in Deutschland und Europa habe „die Stunde der Wirtschafts- und Industriepolitik geschlagen, wenn die wichtigsten Länder der Welt darauf setzen“.
Kritik an der Zinspolitik der EZB
Die hierzulande seit Längerem geführte Debatte über hausgemachte Probleme, etwa überhöhte Sozialabgaben oder falsche Anreize für Bürgergeldempfänger, werde den „Herausforderungen durch die aggressive Industriepolitik in China und den USA“ nicht gerecht. Es gehe nur Zeit verloren, und „ein wirtschaftspolitisch falscher Druck auf Löhne und soziale Sicherung könnte auch die Binnennachfrage als wichtigen Stabilitätsanker weiter schwächen“.
Als weiteres Beispiel einer falschen Schwerpunktsetzung nennt das IMK den zu zögerlichen Zinssenkungskurs der Europäischen Zentralbank (EZB) „in einer Phase, in der die Inflationsgefahren gebannt sind“. Die deutsche Wirtschaft werde durch zu hohe Zinsen „ausgebremst“.
Bei seiner Analyse und den Schlussfolgerungen blickt das Institut zurück auf die beiden Jahrzehnte bis zur Corona-Pandemie. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (BIP) habe sich in dem Zeitraum ähnlich wie in den USA und deutlich besser als bei europäischen Partnern entwickelt. Von der Jahrtausendwende bis 2019 wuchs das BIP um rund 25 Prozent. „Das war so viel wie in den USA und spürbar mehr als in anderen westeuropäischen Ländern wie Großbritannien, Frankreich oder den Niederlanden“, schreibt das IMK.
Eine Art Agenda 2010 in neuer Verpackung, wie sie von konservativer und wirtschaftsliberaler Seite vorgeschlagen wird, würde mehr schaden als nutzen.
Sebastian Dullien, Chef des makroökonomischen Instituts der Böckler-Stiftung (IMK)
Größere Veränderungen „in der Lohnposition, der Bürokratie oder der Sozialausgaben“ habe es seitdem hierzulande nicht gegeben. Indes hätten „die USA und China ihre industrie- und handelspolitischen Aktivitäten massiv verstärkt, was speziell Deutschland mit seiner speziellen Exportstruktur trifft“.

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Alles in allem sei derzeit „das Fundament der deutschen Wirtschaft deutlich solider, innovativer und erfolgversprechender, als es häufig wahrgenommen wird“. Klagen über Bürokratie und die sich verschlechternde Infrastruktur seien zwar berechtigt. Doch einem neuen US-Ranking zufolge liege Deutschland auf dem ersten Platz unter 89 Ländern für Unternehmertum und auf dem siebten Platz nach den skandinavischen Ländern, Kanada und der Schweiz für allgemeine Lebensqualität.
„Zudem hatte die Bundesrepublik nach einer aktuellen Untersuchung des Wiener Wipo-Instituts im Jahr 2024 nach China und den Vereinigten Staaten die höchste Anzahl an Wissenschafts- und Technologieclustern“, schreibt das IMK.
In den vergangenen Jahren hätten sich „ganz neue Rahmenbedingungen ergeben, wir sind wirtschaftspolitisch in einer neuen Welt“, argumentiert IMK-Direktor Sebastian Dullien.
„Eine Art Agenda 2010 in neuer Verpackung, wie sie von konservativer und wirtschaftsliberaler Seite vorgeschlagen wird, würde mehr schaden als nutzen“, sagt der Ökonom. Das gelte auch für das Festhalten an der Schuldenbremse, „die dringend notwendige Investitionen, Wachstum und Modernisierung verhindert, obwohl Deutschland mit Abstand die niedrigste Staatsverschuldung unter den Ländern der G7 hat“.
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