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Mit Warnstreiks wird Verdi in den nächsten Wochen Druck auf die Arbeitgeber machen.

© picture alliance/dpa/Hendrik Schmidt

Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst beginnt: Gewerkschaft kämpft für mehr freie Tage und mehr Geld

Am Freitag beginnt die größte Tarifauseinandersetzung in diesem Jahr. Trotz Wirtschaftskrise fordert Verdi acht Prozent mehr Geld für drei Millionen Beschäftigte.

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Mitten im Bundestagswahlkampf beginnt ein Tarifkonflikt, der so viele Wählerinnen und Wähler und dazu Politiker betrifft wie kein zweiter: Für mehr als drei Millionen Angestellte, Beamte und Pensionäre des öffentlichen Dienstes der Kommunen und des Bundes fordern Verdi und Beamtenbund monatlich acht Prozent mehr Geld, mindestens aber 350 Euro. Ferner möchten die Gewerkschaften drei zusätzliche freie Tage im Jahr. Am 24. Januar beginnen die Verhandlungen, erste Warnstreiks stehen im Februar an.

Acht Prozent höhere Gehälter für 2,5 Millionen Angestellte der Kommunen kosten etwas mehr als zehn Milliarden Euro. Zuzüglich der drei freien Tage wären es fast 15 Milliarden Euro, rechnet die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) vor. „Das ist schlicht nicht zu stemmen und passt nicht in die Zeit“, sagt Karin Welge (SPD), Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen, die für die VKA die Verhandlungen führt. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) vertritt den Bund.

Der Bund beschäftigt nur 154.000 Tarifangestellte. Überträgt die Bundesregierung den Tarifabschluss auf die Nicht-Tarifbeschäftigten, 371.000 Bundesbeamte sowie 189.000 Pensionäre, dann belastet eine Erhöhung der Einkommen und Pensionen um ein Prozent den Bundeshaushalt mit 391 Millionen Euro. Die Kommunen dagegen veranschlagen für ein Prozent 1,33 Milliarden Euro.

72
Prozent. Um so viel sind die Tarifeinkommen im öffentlichen Dienst seit dem Jahr 2000 gestiegen.

In der Regel begründen Gewerkschaften ihre Tarifforderung mit dem verteilungsneutralen Spielraum, der sich aus Preissteigerungsrate und gesamtwirtschaftlichen Produktivitätswachstum ergibt. Da dieser Wert aktuell nur um die 2,5 Prozent liegt und damit erheblich unterhalb der aufgerufenen acht Prozent, greift Verdi-Chef Frank Werneke zu anderen Erklärungen.

Obgleich die Tarifeinkommen im öffentlichen Dienst seit 2015 etwas stärker gestiegen sind als in der Wirtschaft insgesamt, gebe es noch immer Nachholbedarf: Die Tarifvergütungen bei Bund und Kommunen sind seit 2000 um 72 Prozent, in der Gesamtwirtschaft dagegen um 76,7 Prozent gestiegen, rechnet Werneke vor.

Die Lücke müsse geschlossen werden, damit der öffentliche Dienst im Wettbewerb um die Fachkräfte mithalten könne, argumentiert Verdi. 550.000 Stellen seien derzeit nicht besetzt, darunter 115.000 in der Alten- und Krankenpflege, jeweils 100.000 in Schulen und Kitas und 110.000 in den Kommunalverwaltungen.

Schließlich bemühen die Gewerkschaften – neben Verdi und Beamtenbund sind GEW (für den Erziehungs- und Bildungsbereich) und GdP (Polizei) an den Tarifverhandlungen beteiligt – die Ökonomie: Höhere Einkommen der Beschäftigten stärkten die Binnennachfrage, die wiederum die Wirtschaft aus der Rezession ziehen müsse.

Eine andere Rechnung machen die Arbeitgeber auf. „Jeder Euro, der für höhere Gehälter ausgegeben werden muss, fehlt an anderer Stelle, beispielsweise für wichtige Investitionen in die Daseinsvorsorge“, sagt VKA-Präsidentin Welge. Verdi stellt den kommunalen Investitionsstau von 186 Milliarden Euro ebenso wenig infrage wie das voraussichtliche Defizit der Kommunen in diesem Jahr über 13 Milliarden Euro.

Die letzte Tariferhöhung vereinbarten Nancy Faeser, Frank Werneke und Karin Welge (von links) im April 2023.

© dpa/Sven Käuler

Aber: „Wir werden nicht zulassen, dass die Beschäftigten die Leidtragenden einer vermurksten Politik sind“, sagt Werneke zu der Finanznot. Viele Entscheidungen auf Bundes- oder Landesebene belasteten die Kommunen, zum Beispiel Migration, Krankenhäuser oder den Nahverkehr betreffend, doch die Finanzausstattung sei mit den Aufgaben nicht mitgewachsen.

Teuerster Tarifvertrag aller Zeiten

Ein besonderer Aufwand für die Arbeitgeber ist der Tarifvertrag aus dem Frühjahr 2023: Inklusive einmaliger Inflationsprämie mussten die Kommunen rund 17 Milliarden Euro zusätzlich für ihr Personal ausgeben; der bislang teuerste Tarifvertrag im öffentlichen Dienst. Damals hatten die Gewerkschaften nach mageren Coronajahren und angesichts der hohen Inflationsrate 10,5 Prozent gefordert, 2,5 Prozent mehr als jetzt.

Acht Prozent für alle und zusätzliche Zuschläge für Schichtarbeiter und Wochenendbeschäftigte ruft Verdi auf. Die Arbeitgeber dagegen möchten Führungspositionen besser bezahlen, da der öffentliche Dienst bei der Besetzung von Spitzenjobs „finanziell mit der Privatwirtschaft kaum mithalten kann“, wie Welge sagt.

Noch weiter auseinander liegen die Positionen bei der Arbeitszeit. „Für eine weitere Reduzierung fehlen die Leute, und die Arbeitsverdichtung und -belastung nimmt zu“, argumentiert die VKA-Präsidentin. Verdi möchte die Beschäftigten mit drei zusätzlichen freien Tagen im Jahr entlasten, gleichsam als Ausgleich für die hohe Arbeitsverdichtung. Die Tarifparteien stehen hier vor einem Henne-Ei-Problem.

Neues Zeitkonto für Beschäftigte

Womöglich bietet das „Meine Zeit Konto“ einen Lösungsweg: Nach den Vorstellungen der Gewerkschaften könnten freie Tage, Teile von Entgelterhöhungen oder Sonderzahlungen und Zuschläge auf das Konto gebucht und bei Bedarf für eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit, freie Tage oder längere Freistellungsphasen genutzt werden. Eine schöne Idee – die seit vielen Jahren immer mal wieder auf dem Verhandlungstisch landet.

Doch wer darf wann und unter welchen Umständen auf das Konto zugreifen, ohne dass der betriebliche oder behördliche Ablauf gestört ist? Die betriebliche Umsetzung zeigt die Grenzen der Idee auf. Es gibt das Bedürfnis nach mehr individueller Zeitsouveränität, das wissen auch die Arbeitgeber, doch prinzipiell zahlen sie eher höhere Gehälter, als ihrerseits auf die Festlegung von Arbeitszeiten zu verzichten.

In drei bislang vereinbarten Verhandlungen bis Ende März streben VKA und Verdi eine Lösung an.

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