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Eine Verdi-Fahne sowie ein Plakat hängen bei einem Streik von Beschäftigten der Berliner Charité am Bettenhochhaus.

© dpa/Christoph Soeder

Teurer Streit im öffentlichen Dienst: Verdi will 10,5 Prozent mehr Geld für Beschäftigte

Am Dienstag beginnen die Verhandlungen für 2,5 Millionen Beschäftigte der Kommunen und des Bundes. Es ist der größte Tarifkonflikt in diesem Jahr.

Eine scharfe Auseinandersetzung um Geld steht an. In der Industrie haben die Tarifparteien die Vorlage der Bundesregierung genutzt und die steuer- und abgabenfreie Inflationsprämie in den Tarifabschlüssen berücksichtigt.

Ganz anders ist der Ansatz der zweitgrößten deutschen Gewerkschaft. „Wir legen keinen Wert auf die Prämie“, sagt der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke. Er positioniert sich vor den am 24. Januar beginnenden Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Kommunen und des Bundes. Verdi und Beamtenbund fordern 10,5 Prozent mehr Geld für rund 2,5 Millionen Beschäftigte.

Die Inflationsausgleichsprämie von bis zu 3000 Euro lehnt Werneke ab, weil sie zulasten der Prozente gehen würde – das war der Fall mit der Coronaprämie bei vergangenen Tarifabschlüssen. 

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Der Verdi-Vorsitzende spricht von der „fokussiertesten Forderung seit Menschendenken für den öffentlichen Dienst“ und legt damit die Latte hoch.

Tatsächlich hat es zuletzt 1974 eine ähnlich hohe Forderung gegeben, als die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) 15 Prozent aber mindestens 185 D-Mark forderte für ihre Leute. Die Ausgangslage damals wie heute: Eine Energiekrise (1974 Öl, heute Gas) hatte die Inflationsrate nach oben schießen und die Kaufkraft schwinden lassen.

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Milliarden Euro würde die Kommunen eine Tariferhöhung um einen Prozent kosten.

„Sicherung der Realeinkommen“ hat Werneke als Ziel der Tarifauseinandersetzung 2023 ausgegeben, also eine Tariferhöhung mindestens so hoch wie die Inflationsrate. Da die Inflation einkommensschwächere Haushalte besonders belastet, möchte Verdi eine Mindesterhöhung von 500 Euro pro Kopf und Monat durchsetzen.

Für die Arbeitgeber ist das undenkbar: Um 15 Prozent würden die Personalkosten steigen, wenn sich Verdi durchsetzen würde. Ein Prozent Tariferhöhung macht rund 1,3 Milliarden Euro aus, 15 Prozent wären also fast 20 Milliarden Euro, die Städte und Gemeinden mehr für Löhne und Gehälter zahlen müssten.

Rund ein Viertel der gesamten Ausgaben der Gemeinden entfallen auf das Personal. Mit 6,6 Prozent ist der Anteil beim Bund deutlich geringer. In den Bundesländern, für die erst 2024 wieder Tarifverhandlungen anstehen, betragen die Personalkosten gut 30 Prozent.

Wir appellieren an die Gewerkschaften, die schwierige Situation der kommunalen Arbeitgeber zu berücksichtigen.

Karin Welge, Verhandlungsführerin der Arbeitgeber

„Wir stehen vor der Bewältigung einer Vielzahl an Herausforderungen, die es so konzentriert bislang nicht gegeben hat“, sagt Karin Welge, die als Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) die Verhandlungen an der Seite von Bundesinnenministerin Nancy Faeser führt. „Wir appellieren an die Gewerkschaften, maßvoll zu sein und die schwierige Situation der kommunalen Arbeitgeber angemessen zu berücksichtigen.“ Welge ist Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen und gehört ebenso wie Faeser und Werneke der SPD an.

Die Kommunen und ihre Krankenhäuser, die Sparkassen und weitere kommunalen Unternehmen stünden „infolge der Auswirkungen der Corona-Pandemie sowie des Ukrainekrieges unter enormen finanziellen Druck“, argumentiert die VKA.

Die Arbeitnehmervertreter, neben Verdi sind auch der Beamtenbund (dbb) und die Gewerkschaften der Lehrer (GEW) und Polizisten (GdP) mit von der Partie, würden im Übrigen nicht die jüngere Vergangenheit berücksichtigen: Von 2012 bis 2021 seien die Tariflöhne im öffentlichen Dienst im Schnitt um 2,5 Prozent/Jahr gestiegen, die Preise aber nur um 1,4 Prozent. „Daraus ergibt sich in diesem Zeitraum eine Reallohnsteigerung von knapp elf Prozent“, merkt die VKA an. Soll heißen: Die Beschäftigten könnten auch einmal mit einem Reallohnverlust leben.

Verdi-Chef Frank Werneke führt auf Seiten der Gewerkschaften die Verhandlungen.
Verdi-Chef Frank Werneke führt auf Seiten der Gewerkschaften die Verhandlungen.

© dpa/Jens Kalaene

Werneke rechnet anders: Die Preise würden 2022 und 2023 insgesamt um rund 17 Prozent steigen, die Tarifeinkommen erhöhten sich 2022 aber nur um 1,8 Prozent. Zwar gleichen die staatlichen Hilfen einen Teil der Inflationsrate aus, doch die Forderung nach 10,5 Prozent beziehungsweise 500 Euro pro Kopf und Monat finden die Gewerkschaften angemessen.

eit dem Jahr 2000 seien die Einkommen der Beschäftigten bei Bund und Kommunen um 59 Prozent gestiegen, in der Gesamtwirtschaft betrug das Plus aber 63 Prozent und in der Metallindustrie sogar 70 Prozent. Werneke reklamiert also Aufholbedarf – auch wegen der Situation auf dem Arbeitsmarkt: 360.000 Stellen im öffentlichen Dienst sind nicht besetzt. Nimmt man die Kitas hinzu, fehlen nach Verdi-Angaben sogar 530.000.

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„Der öffentliche Dienst ist auf Verschleiß gefahren worden“, sagt Werneke. Die Situation in vielen Bereichen sei „mehr als dramatisch“. In Bau- und Wirtschaftsämtern sowie bei Straßenmeistereien seien 15 Prozent der Stellen nicht besetzt, nennt Verdi einige Beispiele. Anfang der 1990er Jahre zählte der öffentliche Dienst 6,7 Millionen Beschäftigte, dann ging es runter auf 4,5 Millionen (2008).

Seitdem hat sich der Trend gedreht, auch weil es mehr Aufgaben gibt, etwa in der Betreuung von Kindern und Alten. Inzwischen sind es wieder gut 5,1 Millionen Mitarbeitende. „Die größte Gefahr für die Demokratie, für den Zusammenhalt unseres Gemeinwesens und auch für unseren Wohlstand ist ein kaputt gesparter, nicht funktionsfähiger öffentlicher Dienst“, sagt Ulrich Silberbach, Chef des Beamtenbundes. 

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„Allein am Verhandlungstisch werden wir unsere Forderung nicht durchsetzen können“, appelliert der Verdi-Vorsitzende Werneke an die Warnstreikbereitschaft der Gewerkschaftsmitglieder in Krankenhäusern und bei Müllabfuhren, in Sparkassen, Kitas und Verkehrsbetrieben. Bei der größten deutschen Müllabfuhr, der Berliner Stadtreinigung, hätten „sehr viele ihre Streikbereitschaft bekundet“, teilt Verdi mit.

Werneke vor der Wiederwahl

Werneke, seit 2018 im Amt, will auf dem Bundeskongress der Dienstleistungsgewerkschaft im September zum ersten Mal wiedergewählt werden. Für ein gutes Ergebnis braucht er einen guten Tarifabschluss. Und den wird Werneke seinen Parteifreundinnen Welge und Faeser nicht ohne die Unterstützung der Straße abringen. Vor der entscheidenden Verhandlungsrunde am 27. März müssen sich die Bürgerinnen und Bürger deshalb auf Warnstreiks und eingeschränkte öffentliche Dienstleistungen einstellen.

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