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Tradition seit 1666. Damastproduktion in der Oberlausitz.

© imago/Rainer Weisflog

Textilhersteller warnen: „Von Fabrikschließungen erholen wir uns nicht“

Textilverbands-Chefin Ingeborg Neumann über die Krise der Modeproduzenten und die Zukunft des Handels.

Von Jonas Bickelmann

Ingeborg Neumann, 63, ist Präsidentin des Gesamtverbands „textil+mode“, der deutsche Hersteller vertritt. Ihr Unternehmen Peppermint Holding beschäftigt etwa 650 Menschen.

Frau Neumann, schon im Mai sagten Sie, dass die Wirtschaft am Abgrund stehe. Wie geht es Ihrer Branche jetzt?
Viele unserer Unternehmen sind inzwischen im freien Fall. Der Winter-Lockdown bis Mitte Februar geht unseren Unternehmen an die Existenz. Ein Fünftel der Unternehmen befürchtet, dass sie die Krise nicht überstehen.

Was ist anders als im Frühjahr?
Die Eigenkapital-Reserven sind aufgebraucht. Die Unternehmen haben, wo immer sie konnten, ihre Kosten reduziert, ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt, ihre Prozessketten optimiert. Sie haben sich bei der KfW und ihren Hausbanken so schnell wie möglich Liquidität geholt – immer mit dem Versprechen im Ohr, dass es keinen zweiten Lockdown wie im Frühjahr geben würde. Aber dann kam der zweite harte Lockdown für den Einzelhandel mitten im sonst umsatzstarken Weihnachts- und Neujahrsgeschäft.

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Die Hersteller sind im November mit einem Umsatzminus von 22 Prozent in den Jahresendspurt gegangen, da waren die Läden aber noch offen. Jetzt rutschen wir jeden Monat weiter ins Minus. Unsere mittelständische Modeindustrie steht vor einem Scherbenhaufen. Denn wenn die Händler nichts verkaufen dürfen, ordern sie auch keine neue Ware bei uns, das hat für uns schon jetzt Folgen bis weit ins übernächste Jahr.

Die Politik will Unternehmen helfen, die durch den Lockdown verursachten Ausfälle finanziell abzufangen. Wie gut klappt das gerade?
Die Überbrückungshilfen III sind ein wichtiger Schritt, Beantragung und Auszahlung sollen jetzt einfacher und schneller werden. Die Hilfen sollen gerade größeren Mittelständlern helfen, dazu gehören viele der deutschen Textilunternehmen. Das war längst überfällig.

Ingeborg Neumann
Ingeborg Neumann

© Thomas Imo/photothek.net

Textilhändler sollen jetzt die Wertverluste für Saisonware über die staatlichen Hilfen größtenteils wieder zurückbekommen. Eine gute Idee?
Eine gute Idee, aber man hat uns als heimische Industrie vergessen.

Was heißt das?
Die Regelung soll für den Einzelhandel gelten und nicht für die Hersteller. Dabei verliert unsere Saisonware genauso an Wert, wenn der Handel sie nicht verkaufen darf. Außerdem gibt es diverse Vertragskonstellationen mit dem Handel, in denen wir als Hersteller das Verkaufsrisiko tragen. Die Ware wird an die Händler geliefert, bleibt aber im Eigentum der Hersteller oder wir haben sogenannte Shop-in Shop-Modelle.

Die Hersteller werden also benachteiligt?
Ja, die Ware im Laden gehört in diesen Fällen uns als Hersteller, wir tragen also das Risiko, wenn sie nicht verkauft wird. Und zurzeit kann sie ja nicht verkauft werden, weil die Läden geschlossen bleiben müssen. Deshalb müssen wir auch die Möglichkeit bekommen, den Wertverlust der Saisonware geltend zu machen.

Die Politik sah das anscheinend anders.
Wir sind darüber in intensiven Gesprächen. Das Wirtschaftsministerium hat das Problem erkannt. Hersteller und Handel müssen bei der Saisonware gleichbehandelt werden.

Gerade die deutschen Hersteller verkaufen viel im Laden und nicht im Internet. 70 Prozent bei Kleidung, bei Schuhen sind es sogar vier Fünftel.
Ja, und das hat sich über viele Jahr so eingespielt. Gerade werthaltige Mode kaufen die Kunden lieber im Laden, weil man sie anprobieren möchte, das Kleidungsstück sehen und anfassen will. Unsere Modeunternehmen waren schon vor Corona mit E-Commerce und Online-Stores digital aufgestellt. Trotzdem gleicht das Online-Geschäft den Lockdown im Einzelhandel nicht ansatzsweise aus.

Wann müssen Geschäfte wieder öffnen?
Für uns ist jeder Tag, an dem die Geschäfte wieder öffnen dürfen, überlebenswichtig. Deswegen sagen wir: so schnell wie möglich. Was möglich ist, müssen Bund und Länder ausloten. Das Schlimmste für uns alle wäre ein dritter Lockdown. Wir müssen jetzt aus dieser schwierigen Phase herauskommen, um mit einer entsprechenden Aufbruchstimmung Richtung Frühjahr auch wieder die Lust auf Mode zu wecken.

In zehn Jahren, werden wir da überhaupt noch in Kleiderläden einkaufen?
Ja, auf alle Fälle. Ich vergleiche das ganz gerne mit dem Kino. Wir können uns ja einen Film auch zuhause ansehen. Trotzdem gehen wir ins Kino, weil wir raus gehen wollen, das gemeinschaftliche Erlebnis suchen, uns mit Leuten treffen. Das suchen ja auch E-Commerce-Anbieter, wenn sie in den stationären Handel gehen. Die Geschäfte der Zukunft werden aber anders aussehen und sich noch enger mit den Online-Vertriebskanälen verzahnen. Wir brauchen den Einzelhandel auch, um attraktive Innenstädte zu haben.

Das Wirtschaftsministerium will innovative Produktionsverfahren mit 160 Millionen Euro fördern. Viele Menschen wollen eine Atemmaske, die sie waschen und wieder tragen können. Aber Alltagsmasken schützen nicht so gut wie FFP2-Masken. Hat die Industrie waschbare Alternativen?
Unsere Textilindustrie in Deutschland ist hochinnovativ, deshalb ist es gut, dass wir hier mit Forschung und Entwicklung voran gehen. Dabei gibt es schon heute etliche sehr gute Masken, die wieder verwendbar sind, aber eben nicht FFP2-Masken, die aus Vliesstoff hergestellt werden.

Im Übrigen kommen viele der Vliesstoffe für die FFP2-Masken aus heimischer Produktion. Hier haben unsere Vliesstoffhersteller ihre Produktionskapazitäten seit Ausbruch der Corona-Krise deutlich ausgebaut. Schon im Frühjahr ist außerdem rund ein Drittel unserer Modemarken kurzfristig in die Produktion von Alltagsmasken eingestiegen, als der Weltmarkt mit Ausbruch der Pandemie leergefegt war.

Weltweit sind viele Bereiche der Wirtschaft heruntergefahren. Wie wirkt sich das auf die deutschen Textilproduzenten aus? Sie selbst produzieren in Sachsen, Tschechien und in Rumänien.
Wir haben momentan keine Probleme, das hat sich eingespielt. Von unseren Zulieferern ist keiner im Lockdown. Im Frühjahr haben wir natürlich Ware auf Vorrat bestellt, wie viele andere auch. Natürlich mussten auch wir mit einzelnen Produktionsstätten teilweise in Kurzarbeit gehen, sonst lief alles weiter. Aber wir müssen extrem vorsichtig sein, denn wir wissen ja nicht, was jetzt noch kommt.

Zuletzt gab es Forderungen, die Industrie stärker zurückzufahren. Was würde es für die Branche bedeuten, wenn auch Fabriken geschlossen werden sollten, um Corona-Ansteckungen zu verhindern?
Das wäre der Super-GAU. Leute, die darüber nachdenken, wissen nicht, was es bedeutet, die gesamte Wirtschaft runterzufahren. Bis wir die Prozesse wieder hochgefahren haben, dauert es ewig. Unsere Industrie hat umfangreiche Corona-Schutzmaßnahmen und Hygiene-Pläne etabliert. Wenn ich in unsere Fabriken schaue, dann haben alle Beschäftigten ausreichend Abstand. Den halten sie auch in den Pausen ein, auf den Gängen tragen sie Mund-Nasen-Schutz. Wir machen Corona-Tests, lassen Fieber messen. Wir haben ungefähr 650 Mitarbeiter und hatten kaum Coronafälle, die Notfall-Pläne haben funktioniert. Fabrikschließungen wären volkswirtschaftlich ein Schock, von dem wir uns nicht erholen würden. Der jetzige Weg ist richtig.

Gerade sind die Lager der Textilhändler übervoll. Sie hoffen darauf, dass die Konsumlust wieder anspringt. Aber geht die mit Nachhaltigkeit zusammen?
Ja, wenn Sie sich an Werthaltigkeit und Qualität orientieren, wie unsere deutschen Modemarken. Wenn ich in meinen Kleiderschrank schaue, weiß ich auch, dass ich zu viel habe. Aber ich versuche immer, meine Kleidung wieder in den Umlauf zu bringen. Nach dem Prinzip: One in, one out. Wenn ich mir etwas Neues kaufe, dann gebe ich etwas ab. Das geht aber nur, wenn die Qualität gut ist und man seine Kleidung pflegt. Der Trend ist klar: Wir brauchen mehr Produkte, die wieder in den Kreislauf kommen und die Ressourcen schonen.

Gehen die Zeiten von Fast Fashion, also der Wegwerfmode, zu Ende?
Das hängt nicht nur von unseren Entwicklungen und Produkten ab, sondern auch davon, ob sie gekauft werden. In Umfragen sagen wir alle gern, dass wir unseren ökologischen Fußabdruck verringern wollen; unsere Kaufentscheidungen sprechen dann aber eine andere Sprache. Meine Überzeugung ist, dass bewusster Konsum auch Spaß machen darf und Spaß machen soll. Über unseren Planeten und unsere Zukunft nachzudenken, heißt ja nicht, seine Lebensfreude zu verlieren.

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