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Ländliche Regionen locken mit authentischem Italien-Urlaub. Die Urlauber werden in leerstehende Häuser einquartiert.

© Kai-Uwe Heinrich

Tourismus: Urlauber statt Leerstand

In Italien belebt authentischer Tourismus strukturschwache Regionen. Das Berliner Start-up Amavido will da jetzt mitmischen. Funktioniert das Konzept auch für deutsche Dörfer?

Wenn Dominik Calzone an das italienische Heimatdorf seines Vaters denkt, kommt ihm Langsamkeit in den Sinn und die Lust, eine Orange direkt vom Baum zu essen. An was er ebenfalls denkt: Arbeitslosigkeit, Wegzug der jungen Leute, leer stehende Häuser. „Im Süden Italiens ist außerhalb der touristische Hotspots wenig los.“ Calzones Familie lebt schon lange in Deutschland. Doch als sein Vater ein Haus in dem Dörfchen Longobardi erbte, wollte keiner der Calzones einfach so verkaufen.

Im Gespräch mit den Verwandten vor Ort entstand die Idee, das Gebäude zu sanieren, um Gäste aufzunehmen. Calzones Cousin will, sobald die Sanierung fertig ist, Wanderungen mit den Urlaubern unternehmen und ihnen zeigen, wie in Kalabrien gekocht wird. „Urlauber sollten mehr solcher Gelegenheit bekommen, bei den Einheimischen zu leben“, findet Dominik Calzone.

Das Land kennenlernen, nicht den Hotelpool

Um Angebote wie das seiner Familie zu bündeln und zu fördern, hat der 29-Jährige mit drei Mitstreitern die Plattform Amavido gegründet, ein Berliner Start-up, das Geld über eine Crowdfunding-Kampagne sammelt. Angeboten werden kleine, persönliche Unterkünfte, immer auf dem Land, nicht immer mit W-Lan. „Die Leute sollen das echte Italien kennenlernen, nicht nur den Hotelpool.“

Das Unternehmen ist jung, aber die Idee des authentischen, eingebetteten Tourismus hat in Italien Tradition: Seit den 1980er Jahren gibt es immer mehr „Alberghi diffusi“, also Unterkünfte, die sich über Ortschaften verstreuen und so Touristen und Einheimische miteinander in Kontakt bringen. Sie wohnen Tür an Tür, kein Hotelkomplex stört die gewachsene Dorfstruktur. Genutzt wird, was leer steht. Durch das Zusammenspiel mehrerer Betreiber kann die Infrastruktur besser ausgebaut werden. Zentrale Gebäude dienen als Rezeption, Essensraum oder Wellnessbereich für alle Touristen im Ort. Die nehmen dann eben nicht den Aufzug, sondern laufen zum Frühstück die Dorfstraße hinunter.

Dorfgemeinschaften als Hotels

Im besten Fall profitieren davon auch die lokale Gastronomie, der Handel und Produktionsbetriebe. Denn je mehr Menschen beteiligt sind, desto mehr Akzeptanz findet der Tourismus in den Gemeinden. 80 dieser Alberghi diffusi gibt es heute in Italien – wiederbelebte Dörfer, die Einwohnern und Urlaubern gleichermaßen Raum bieten. Manche sind sogar offiziell als Hotels anerkannt.

Amavido ist erst seit Ende 2015 online und bietet derzeit zwei Alberghi diffusi an. Hinzu kommen zehn familiengeführte Unterkünfte, weitere fünfzig werden momentan online gestellt. Amavido will auch bei der Vermarktung helfen und präsentiert Gastgeber und Regionen wie in einem Online-Reisemagazin. Ob nun das ganze Dorf mitmischt oder nur einzelne Anbieter, ist für Calzone vorerst zweitrangig. Langfristig hofft er aber, dass der Tourismus hilft, das Prinzip der „Blue Economy“ in strukturschwachen Gegenden voranzutreiben: regionale Netzwerke, in denen sich Betriebe gegenseitig unterstützen und voneinander profitieren, anstatt alles von großen auswärtigen Betrieben einzukaufen. „Der eine vermietet die Zimmer, der andere kümmert sich um die Wäsche, der Nächste baut das Gemüse an, das für die Urlauber zubereitet wird – das wäre unser Ziel.“

Würden Deutsche ihre Gäste zum Angeln mitnehmen?

In Italien könnte das funktionieren. Die weltweit verbreitete Slow-Food-Bewegung, das bewusste Genießen sorgfältig zubereiteter Produkte, stammt aus dem Bel Paese. „Slow Travel“ ergänzt das Bild. „Wir können uns das Angebot von Amavido auch für Griechenland, Spanien oder Deutschland vorstellen“, sagt Dominik Calzone. Ob die Deutschen bereit wären, ihre Gäste mit zum Angeln zu nehmen und ihnen das Geheimnis von Omas Kartoffelsuppe zu verraten?

Die Schwarzwald-Gemeinde Altensteig hoffte 2013, mit einem „Albergo diffuso“ in rund 30 unbewohnten historischen Fachwerkhäusern aus dem Dornröschenschlaf zu erwachen. Es gab Pläne mit dem Reisekonzern Tui, die nach einem Vorstandswechsel begraben wurden. Die Enttäuschung war groß. Dass es auch ohne Konzern oder Großinvestor geht, zeigen Beispiele in Italien. Dominik Calzone kann für sein Start-up dort aus dem Vollen schöpfen.

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