
Europäische Zentralbank: Trichet hält Wort
Nach fast fünf Jahren erhöht die Europäische Zentralbank erstmals wieder den Leitzins - von 1,0 auf 1,25 Prozent. Der Präsident der Europäischen Zentralbank warnt vor einer Inflation.
Frankfurt am Main/Berlin - Die Zinswende ist da: Zum ersten Mal seit Mai 2009 hat die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag wieder an der Zinsschraube gedreht. Der wichtigste Zins im Euroraum, zu dem sich Banken bei der EZB und den nationalen Zentralbanken Geld beschaffen können, steigt um 0,25 Punkte von 1,0 Prozent auf 1,25 Prozent. Es ist zum ersten Mal seit Juni 2006, dass die EZB den Leitzins erhöht.
Damit will die Notenbank nach Angaben von EZB-Präsident Jean-Claude Trichet weitere Risiken für die Preisstabilität eindämmen. Zuletzt war die Inflationsrate im Euroraum auf 2,6 Prozent gestiegen. Die EZB sieht die Preisstabilität bei höchstens zwei Prozent gewahrt. Weitere Zinserhöhungen deutete Trichet nicht an. „Dies ist nicht der erste Schritt in einer Reihe von Zinsschritten“, sagte er am Donnerstag nach der Sitzung des EZB-Rates. Beobachter erwarten in diesem Jahr gleichwohl weitere Zinserhöhungen auf 1,75 oder sogar 2,0 Prozent.
Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute warnten die EZB davor, in rascher Folge die Zinsen weiter anzuheben. Das sei nicht nötig, da die Kapazitäten der europäischen Wirtschaft noch immer nicht ausgelastet seien, heißt es im Frühjahrsgutachten vom Donnerstag. Zumal die Lage in Europa fragil sei, „wie man nun sehen kann“, sagte Oliver Holtemöller, Konjunkturchef des hallischen Institutes IWH mit Blick auf die Krise in Portugal.
Für Deutschland bedeuteten die niedrigen Zinsen indes Gefahren für die Preisstabilität. Sollte der Aufschwung stärker verlaufen als derzeit erwartet, drohe eine Spirale aus steigenden Löhnen und Preisen, sagte Holtemöller weiter. Die Wirtschaftsforscher erwarten für dieses Jahr eine Inflationsrate von 2,4 Prozent. Bei den Tariflöhnen rechnen sie aber nur mit einem Plus von 2,0 Prozent – das bedeutet, dass die Preissteigerungen die Lohnerhöhungen aufzehren.
Die Entscheidung im EZB-Rat fiel – in Anwesenheit des scheidenden Bundesbank-Präsidenten Axel Weber – einstimmig. Trichet, der die Zinserhöhung bereits vor vier Wochen angekündigt hatte, betonte, dass die EZB in den kommenden Wochen vor allem mit Blick auf sogenannte Zweitrundeneffekte, etwa Lohnerhöhungen und andere Preissteigerungen, „äußerst wachsam“ bleiben werde. „Wir werden Zweitrundeneffekte nicht tolerieren“, sagte er.
Aber auch die unmittelbaren Gefahren für die Preisstabilität sind nach Ansicht des EZB-Präsidenten nicht zu unterschätzen. „Die Risiken zeigen nach oben, etwa durch einen höheren als erwarteten Anstieg der Energiepreise wegen der anhaltenden politischen Spannungen in Nordafrika und im Nahen Osten.“ Außerdem wies er auf den Inflationsdruck hin, der möglicherweise durch das starke Wachstum in den Schwellenländern und durch hohe Rohstoffpreise ausgelöst werde.
Trichet wies Kritik zurück, dass die Krisenländer im Euroraum, vor allem Portugal, Irland und Griechenland, unter den jetzt höheren Zinsen leiden müssten. Die Entscheidung der EZB führe zu fest verankerten Inflationserwartungen und schaffe damit Vertrauen. „Das kommt auch denen zugute, die derzeit die größten Schwierigkeiten haben.“ Außerdem müsse die EZB die Preisstabilität für 17 Euro-Länder und 331 Millionen Menschen sicherstellen, gab Trichet zu bedenken.
Die Wirtschaft im Euroraum sieht der Franzose trotz der Zinswende weiter auf gutem Weg, vor allem die Entwicklung in Deutschland bedachte er mit viel Lob. „Deutschland ist nicht mehr der kranke Mann, das ist eine gewaltige nationale Volkswirtschaft, die den USA in nichts nachsteht. Das ist gut für den gesamten Euroraum.“ Nach wie vor sei reichlich Liquidität für weiteres Wachstum und für die Schaffung neuer Arbeitsplätze vorhanden. „Und die Zinsen bleiben niedrig“, sagte Trichet. Die bislang sehr lockere Geldpolitik sei auch nach der Zinsanhebung immer noch locker. „Das stützt die Wirtschaftsentwicklung“, gab sich der EZB-Präsident überzeugt.
Der deutsche Aktienmarkt und der Euro erholten sich nach der Zinserhöhung leicht. Am Abend kostete der Euro knapp 1,43 Dollar – etwas weniger als am Vortag. An den Märkten wird bereits darauf gewettet, dass der Zielsatz für Zentralbankgeld weitersteigen wird. Am höchsten stand der Leitzins seit Beginn der Währungsunion vor elf Jahren im Herbst 2000 mit 4,75 Prozent. Mitte 2008, kurz vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise, lag er bei 4,25 Prozent.