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Die Digitalisierung erfasst immer mehr Lebensbereiche. Ist das gut?

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Unser digitalisiertes Leben: Wie sozial ist digital?

Fast jeder Lebensbereich wandelt sich im Zuge der Digitalisierung. Immer mehr Menschen glauben: Nicht nur zum Guten. Haben sie Recht? Eine Übersicht.

Für die einen ist sie ein Versprechen von einer besseren Arbeit, Gesundheit, mehr Möglichkeiten. Alles, was man will, ist bloß einen Wisch entfernt. Die gegenteilige Vision sieht finster aus. Maschinen statt Menschen. Städte ohne Geschäfte. Permanent auf den Bildschirm starrend, wird die Seele krank und kränker. Egal um welchen Lebensbereich es geht, die Debatte über die Chancen und Risiken der Digitalisierung polarisiert enorm.

Zuletzt zeigte sich dies bei den politischen Reden am 1. Mai. „Wir müssen keine Angst vor dieser Entwicklung haben“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Justizministerin und Parteikollegin Katarina Barley warnte hingegen vor der Entstehung eines neuen Prekariats durch die Digitalisierung. Werden künftig immer mehr Klickarbeiter von Cent zu Cent jobben? Ohne soziale Absicherung? Werden Millionen Arbeitsplätze verschwinden oder wird es so sein, dass alle weniger schuften und zufriedener sind? Wird das Bildungssystem gerechter? Können Krankheiten schneller entdeckt, Pflegebedürftige besser behandelt werden oder aber vereinsamen die Menschen zu Hause, weil sie kaum noch zu ihrem vertrauten Arzt gehen. Kurzum: Wie sozial ist digital?

Die Deutschen werden diesbezüglich immer skeptischer. Nur noch 32 Prozent der Bundesbürger glauben an den Fortschritt, sind optimistisch eingestellt. Das ergab vor Kurzem eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach. 1967 meinten noch 56 Prozent, dass die Menschheit einer immer besseren Zukunft entgegengehe. 1972 waren es sogar 60 Prozent, die so dachten. Auch wenn die kompletten Auswirkungen des Strukturwandels noch nicht absehbar sind, lassen sich auch nach heutigem Wissensstand bereits einige Aussagen machen. Und so werden im Folgenden fünf Lebensbereiche danach analysiert, ob die Digitalisierung dem Menschen nützt – oder ob sich Ungleichheiten und gesellschaftliche Probleme dadurch eher verstärken könnten.

Bildung - wichtig bleibt das Elternhaus

Mit fünf Milliarden Euro sollen die deutschen Schulen in den nächsten Jahren digitalisiert werden. Das Geld ist unter anderem für schnelles Internet, elektronische Tafeln, Fortbildungen und Online-Programme gedacht. Diese versprechen, dass Schülerinnen und Schüler spezifischer lernen können, in ihrem ganz eigenen Tempo. Für Endgeräte wie Tablets und Laptops soll jede Schule im Schnitt etwa 25000 Euro erhalten. Zunächst war dafür kein Geld vorgesehen, woraufhin FDP-Politiker Jens Brandenburg kritisierte: „Der Zugang zu digitaler Bildung darf nicht von der Herkunft oder vom Geldbeutel der Eltern abhängen!“

Selbst die beschlossene Summe wird nicht reichen, um Geräte für jedes Kind zu kaufen. Deshalb werden laut der Bertelsmann-Stiftung eigene zum Einsatz kommen müssen. Ralph Müller-Eiselt von der Stiftung warnt außerdem: „Fast alle Zwölfjährigen besitzen heute schon ein eigenes Smartphone, gravierend hingegen sind die Unterschiede bei den Mobilfunkverträgen.“ Nicht alle Eltern könnten oder wollten eine Internetflatrate bezahlen, sei es aus finanziellen oder aus erzieherischen Gründen. „Deshalb braucht es für den Unterricht zuallererst freies, stabiles und schnelles W-Lan für alle“, sagt er.

Wenn demnächst Kosten für das digitale Lernen auf Eltern zukommen, könnte das für ärmere Familien zu einem Problem werden. Schon jetzt hängt der Bildungserfolg in Deutschland sehr stark vom Zuhause ab. Für die künftigen Karrierechancen wird es dann noch verstärkt einen Unterschied machen, welche digitalen Kompetenzen die Eltern haben und was für Regeln sie aufstellen. „Etwas zugespitzt: Kinder aus bildungsbürgerlichen Elternhäusern würden sich die Vorteile individuellen Lernens zunutze machen, während die anderen von fragwürdigen Apps auf ihrem Smartphone vom Lernen abgehalten werden“, sagt Ralph Müller-Eiselt.

Verwaltung - ganz ohne Menschen geht es nicht

Den Gang zum Amt empfinden viele Menschen als die reinste Zumutung. Terminprobleme, Warteschlangen, unfreundliche Mitarbeiter. Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger möchte ihre Behördengänge daher online erledigen. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Digitalverbands Bitkom. Besonders wenn es um Dienstleistungen für Familien geht, wünschen sich die Deutschen eine schnellere, digitale Verwaltung. Mehr als 60 Prozent der Befragten würden das Kindergeld und einen Kitaplatz gern online beantragen, vier von zehn das Elterngeld. Drei Viertel würden auf diese Weise gern ihren Wohnsitz an- oder ummelden. In Berlin dürfte der Wunsch noch größer sein – bei wochenlangem Warten auf notwendige Dokumente und Gelder.

Deutschland hinkt etlichen europäischen Ländern hinterher, vor allem Finnland, Estland und Dänemark. Bis 2022, so der Plan der Bundesregierung, sollen 575 Verwaltungsdienstleistungen digitalisiert werden. Kritische soziale Fragen sind jedoch: Welchen Zugang haben Nicht-PC-Besitzer? Wie wird die Privatsphäre der Menschen geschützt, sodass sie nicht zu gläsernen Bürgern werden? Was passiert, wenn das persönliche Gespräch fehlt?

Auch wenn Arbeitsämter und Jobcenter nicht den besten Ruf haben, sei der direkte Kontakt mit den Menschen aus ihrer Sicht wichtig. Nicht nur zur Kontrolle, sondern auch, um einen Teil der Gesellschaft nicht zu verlieren. Bernd Becking, Chef der regionalen Arbeitsagentur, sagte kürzlich: Wenn Jugendliche ohne den Pflichtgang zum Amt abtauchen würden, habe er keine hundert Sozialpädagogen, die bei ihnen anklingeln.

Arbeit - neue Regeln werden wichtig

In regelmäßigen Abständen wird vorausgesagt, wie viele Jobs die Digitalisierung in Zukunft vernichten wird. Von der OECD hieß es zuletzt: In Deutschland ist fast jeder fünfte Arbeitsplatz bedroht. Vor allem Geringqualifizierte haben Grund, sich zu sorgen, weil Maschinen ihre Aufgaben am einfachsten übernehmen können. Gleichzeitig betonen Wissenschaftler und Politiker, dass etliche neue Jobs entstehen werden. Diese lassen sich aber vor allem an den beiden Extremen der Einkommensskala finden. Plakativ ausgedrückt: Wenigen sehr gut verdienenden Gründern und Programmierern stehen schlecht bezahlte und nicht abgesicherte Logistikarbeiter bei Amazon und Foodora-Fahrer gegenüber. Die soziale Spaltung könnte sich also weiter verstärken.

Die These, dass viele Tätigkeiten nicht verschwinden, sondern bloß anders werden, hat ebenfalls ihre Tücken. Der Mehrheit fehlt es laut der OECD an notwendigen IT-Kenntnissen oder sogar genügend Computererfahrung. Aus Sicht der Gewerkschaft ist es deswegen enorm wichtig, dass die Beschäftigten schon jetzt vernünftig weitergebildet werden. „Wenn dieser Kulturwandel nicht gelingt, besteht die große Gefahr, dass viele Menschen digital angehängt werden“, meint Oliver Suchy vom DGB.

Eine andere Diskussion dreht sich um die zunehmende Flexibilisierung der Arbeit – zeitlich wie räumlich. Selbstbestimmtes Arbeiten kann gerade das Leben von jungen Eltern und pflegenden Kindern sehr erleichtern. Permanente Erreichbarkeit macht allerdings auch krank, was Studien bereits zeigen. Für eine soziale Entwicklung braucht es laut Suchy „neben neuen Rechtsansprüchen auf mobiles Arbeiten auch klare Regeln gegen Entgrenzung und Digitalstress.“

Gesundheit - Chancen gerade auf dem Land

Die Gesundheitsdaten von Patientinnen und Patienten sollten künftig nicht mehr in einzelnen Akten verwaltet werden, sondern zentral und elektronisch. So erhalten Ärztinnen und Ärzte sämtliche Informationen zu ihrem Gegenüber und könnten Beschwerden damit schneller und besser behandeln. Nach dem Willen von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sollen alle gesetzlichen Kassen bis 2021 eine Patientenakte anbieten.

Mehr als 90 Prozent der Deutschen würden inzwischen eine elektronische Gesundheitsakte nutzen. Dies ergab eine repräsentative Online-Befragung des Meinungsforschungsinstituts Toluna im Auftrag der Krankenkasse pronova BKK. Bedenken haben sie hinsichtlich der Sicherheit ihrer Daten. Was, wenn Angaben zu Depressionen oder Krankheiten in die falschen Hände gelangen? Was, wenn Versicherungen die Daten nutzen, um das Verhalten von Menschen zu steuern? Manche Entwicklungen deuten bereits an: Tut jemand etwas für seine Gesundheit, wird er belohnt. Hat jemand mal keine Zeit für sein Work-out, wird vielleicht irgendwann die Prämie erhöht. Dies würde zu Diskriminierung und Zwang führen.

Generell hat E-Health in ländlichen Gebieten, wo Ärzte fehlen, großes Potenzial. Per Videochat können jene versorgt werden, die nicht aus dem Haus können oder niemanden in der Nähe haben, der sie untersucht. Was viele bei diesem Trend ängstigt: Behandlungen aus der Ferne könnten eher zu Fehldiagnosen führen. Und: Für ältere Menschen, die vielleicht alleine leben, ist der Arzt eine wichtige Bezugsperson. Verlieren sie diese, verlieren sie auch jemanden, mit dem sie hin und wieder reden können.

Sozialleben - vernetzt aber ohne echten Kontakt?

Noch nie waren so viele Menschen über soziale Netzwerke und Apps miteinander verbunden wie heute. Familienmitglieder, die alle verstreut wohnen, haben ihre WhatsApp-Gruppe. Alte Schulkollegen sehen sich noch hin und wieder bei Facebook oder Instagram. Wer nach einem anderen Menschen sucht, kann sich bei Tinder oder Parship anmelden. Trotzdem fühlen sich viele Menschen einsam.

Brian Primack von der University of Pittsburgh veröffentlichte eine Studie, die er unter rund 1800 Amerikanern zwischen 19 und 32 durchgeführt hat. Ein Ergebnis war, dass jene, die am Tag mehr als zwei Stunden mit sozialen Medien verbrachten, eine doppelt so hohe Anfälligkeit für Gefühle von Isolation hatten wie solche, die sie weniger als 30 Minuten nutzten. Aus der Sozialpsychologie ist außerdem bekannt, dass soziale Vergleiche dem Menschen nicht guttun, das Selbstbewusstsein schädigt. Plattformen wie Instagram, wo das Leben der anderen immer viel schöner aussieht, birgt da Risiken.

Auch außerhalb des privaten Lebens droht der zwischenmenschliche Kontakt zu schwinden. Supermärkte lassen Käufer ihre Waren einscannen, am Flughafen ist der Online-Check-in der Normalfall. In den ersten Restaurants bestellt man nicht mehr am Tresen, sondern an Computern im Eingangsbereich. Bei der Kundenhotline nervt es noch, dass sich menschliche Dienstleistungen auflösen. Es kann aber auch beängstigend sein, wenn Maschinen zunehmend menschliche Dienstleistungen ersetzen. Vor allem in sozialen Bereichen wie der Pflege. In Japan werden Senioren in Altenheimen bereits von Robotern umsorgt, um Personal einzusparen. In Deutschland werden die ersten Roboter getestet.

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