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Unternehmen kürzen Arbeitszeit: Russlands Wirtschaft kommt offenbar ins Stocken
Die russische Wirtschaft spürt zunehmend die Folgen des Ukrainekrieges. Insidern zufolge werden Lohnkosten gesenkt, um Massenentlassungen zu verhindern. In der Kohleindustrie drohen Insolvenzen.
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Von der Eisenbahn über Autobauer bis hin zu Metall- und Kohleproduzenten zeigen sich in der russischen Wirtschaft zunehmend Spuren des Ukrainekriegs und der westlichen Sanktionen. Angesichts stagnierender Binnennachfrage und wegbrechender Exporte kürzen Industriekonzerne die Arbeitszeit, wie Insider aus mehreren Branchen der Nachrichtenagentur Reuters sagten. Ziel sei es, mit unbezahlten freien Tagen die Lohnkosten zu senken, ohne dass es zu Massenentlassungen komme.
Während die Arbeitslosigkeit dank der Kriegswirtschaft noch immer auf einem Rekordtief von 2,1 Prozent liegt, haben sich die Lohnrückstände binnen Jahresfrist mehr als verdreifacht. Sie stiegen einer staatlichen Statistik zufolge bis Ende August auf 1,64 Milliarden Rubel.
Zementnachfrage auf Corona-Niveau
Russlands größter Zementhersteller Cemros hat wegen eines Abschwungs in der Bauindustrie und gestiegener Importe auf eine Vier-Tage-Woche umgestellt. „Das ist eine notwendige Anti-Krisen-Maßnahme“, sagte ein Cemros-Sprecher. „Ziel ist es, alle unsere Mitarbeiter zu halten.“
Während die Zementnachfrage wegen rückläufigen Wohnungsbaus gesunken sei, drängten Importe aus Ländern wie China, dem Iran und Belarus in den russischen Markt. Der Konzern rechnet für dieses Jahr mit einem Zementverbrauch unter 60 Millionen Tonnen, so wenig wie zuletzt während der Covid-Pandemie.
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Nach Daten des Zentrums für makroökonomische Analyse und kurzfristige Prognosen sind die nicht mit dem Militär verbundenen Wirtschaftssektoren seit Jahresbeginn um 5,4 Prozent geschrumpft. Das Institut prognostiziert eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums im laufenden Jahr auf 0,7 bis 1,0 Prozent. Die Forscher sind damit skeptischer als das Wirtschaftsministerium, das ein Wachstum von 1,0 Prozent erwartet.
Nach einem Rückgang im Jahr des russischen Großangriffs auf die Ukraine 2022 legte die Wirtschaft zwar in den Folgejahren stark zu. Nominal liegt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) jedoch mit 2,2 Billionen Dollar auf dem Niveau von 2013. Der russische Präsident Wladimir Putin hat erklärt, die Regierung bremse die Wirtschaft gezielt, um die Inflation unter Kontrolle zu halten. Sie ist ebenfalls zum Problem geworden und wird in diesem Jahr bei 6,8 Prozent erwartet.
Staatsbahn als Gradmesser der Wirtschaft
Die Russischen Eisenbahnen (RZD) haben Personal in der Zentralverwaltung gebeten, drei unbezahlte Urlaubstage im Monat zu nehmen, wie Insider berichteten. Die Staatsbahn gilt aufgrund ihrer maßgeblichen Rolle im Güterverkehr als Gradmesser der Wirtschaft. Ökonomen zufolge sinken die Einnahmen des Konzerns, da die Transporte von Rohstoffen zurückgehen. Die RZD lehnten eine Stellungnahme ab.
Die Autobauer GAZ, Kamaz und Avtovaz führten eine Vier-Tage-Woche ein. Bei Avtovaz bestätigte die Gewerkschaft diesen Schritt, während das Unternehmen eine Stellungnahme ablehnte. Eine GAZ-Sprecherin sagte, das Unternehmen sei im Oktober zur Fünf-Tage-Woche zurückgekehrt. Kamaz teilte mit, die Situation habe sich nicht geändert, ohne dies auszuführen.

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Der weltgrößte Rohdiamantenproduzent Alrosa kürzte das Gehaltsbudget für die nicht unmittelbar im Bergbau beschäftigte Belegschaft um zehn Prozent, teils durch eine kürzere Arbeitswoche. Das Unternehmen teilte mit, man habe versucht, Entlassungen zu minimieren, nannte aber keine Zahl.
Insolvenzwelle in der Kohlebranche befürchtet
Die bedeutende russische Kohlebranche mit ihren 150.000 Beschäftigten wird nach Angaben von Behördenvertretern vom Exportrückgang schwer getroffen. Vizeregierungschef Alexander Nowak warnte Putin im April, 30 Unternehmen mit zusammen 15.000 Beschäftigten seien von der Insolvenz bedroht. In der Kohleregion Kusbass haben nach Angaben örtlicher Funktionäre 18 von 151 Unternehmen den Betrieb eingestellt.
Im ersten Halbjahr seien 19.000 Kohlearbeiter entlassen worden, sagte der Manager Alexander Kotow vom Beratungsunternehmen NEFT Research. Der Kohlekonzern Mechel meldete im August steigende Verluste und setzte Förderung in einem seiner Bergwerke aus. „Die Löhne wurden überall gekürzt, wirklich überall im Kusbass“, sagte ein Bergmann der Nachrichtenagentur Reuters, der lediglich seinen Vornamen Wladimir nennen wollte. „Es wird gesagt: Das ist die Krise, Kohle ist nicht gefragt.“
Auch in Russlands großer Stahlindustrie gibt es Krisenzeichen. Russland erwägt ein Moratorium für Insolvenzen in der Metallindustrie, wie aus einem Protokoll der Regierungskommission für Finanzstabilität vom 28. August hervorgeht. „In der Metallindustrie findet ein stiller Abbau statt“, sagte ein Brancheninsider und machte dafür hohe Zinsen, einen starken Rubel und eine schwache Nachfrage im In- und Ausland verantwortlich. Fast alle metallverarbeitenden Betriebe würden Personal außerhalb der Kernbelegschaft reduzieren. (Reuters)
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