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US-Techwerte ziehen wieder an: Ist der „DeepSeek-Schock“ doch nicht so groß?
Die chinesische KI-Anwendung ist kosteneffizienter als die amerikanische Konkurrenz. Doch die App hat auch viele Probleme. Eine Übersicht über Chancen und Herausforderungen.
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Seit der Veröffentlichung von ChatGPT Ende 2022 hat keine andere Künstliche Intelligenz (KI) für so viel Wirbel gesorgt wie „R1“ von DeepSeek. Das Programm des chinesischen Startups ist den Angaben zufolge so leistungsfähig wie westliche Konkurrenten, benötigt aber deutlich weniger Rechenpower und war auch wesentlich billiger in der Entwicklung. Innerhalb eines Tages stürzten die Kurse von US-Techunternehmer. Der von KI abhängige Chiphersteller Nvidia verbuchte gar den größten Tagesverlust in Geschichte der Wall Street.
Doch nach dem anfänglichen Hype ziehen die US-Werte wieder an und mehr Nüchternheit Einzug in die Debatte. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum DeepSeek-Schock.
Wie gut ist die DeepSeek-KI, und warum?
Nobelpreisträger Demis Hassabis, Gründer und Chef von Googles KI-Tochter DeepMind, bezeichnete die Ergebnisse der DeepSeek-KI in einem Zeitungsinterview als beeindruckend. „Dahinter steht das beste Team aus China, das ich bis jetzt gesehen habe.“ DeepSeek benutzt eine im Vergleich zu ChatGPT deutlich kleinere Datenbasis und setzt auf das sogenannte Reasoning.
Der KI-Experte Jonas Geiping vom Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme beschreibt das als inneren Monolog, in dessen Verlauf verschiedene Möglichkeiten abgewogen werden, bevor sich das Programm für eine Antwort entscheidet. Paul Röttger, Postdoktorand an der Universita Commerciale Luigi Bocconi in Mailand, sieht die Stärke dieser Technologie bei der Lösung komplexer Probleme, über die auch Menschen länger nachdenken müssen.
Wie reagieren westliche KI-Firmen?
Im Westen wird DeepSeek als Weckruf gewertet. „Die USA müssen das Tempo anziehen und die anderen bei den Innovationen überflügeln“, schreibt Alexandr Wang, der Chef von Scale AI, in einem Beitrag auf dem Kurznachrichtendienst X. Gleichzeitig fordert er eine weitere Verschärfung der Chip-Exporte nach China, um die Führungsposition der USA zu behaupten. Sam Altman, der Chef des ChatGPT-Entwicklers OpenAI, sieht überlegene Rechenpower weiterhin als Schlüssel zum Erfolg seiner Firma.
Welchen Kostenvorteil hat DeepSeek?
DeepSeek beziffert die Kosten für das Training der KI „V3“, den Vorgänger von „R1“, auf weniger als sechs Millionen Dollar statt der sonst üblichen mehr als 100 Millionen. Analysten des Vermögensverwalters Bernstein betonen jedoch, dass sich dieser Wert lediglich auf die Kosten für die Rechenpower beziehe. Die gesamten Entwicklungskosten lägen deutlich höher.
Außerdem nutzt DeepSeek nach eigenen Angaben für sein Programm vergleichsweise wenige und speziell für den chinesischen Markt zugeschnittene, abgespeckte Prozessoren des Weltmarktführers Nvidia. Das drückt die Kosten für die Nutzung der KI. Um sich dies erlauben zu können, würden jeweils nur diejenigen Programmteile aktiviert, die zur Lösung einer Aufgabe notwendig sind, erläutert Shams Afzal, Geschäftsführer des Vermögensverwalters Carnegie Investment Counsel. „Das ist etwas ganz anderes als die KI von Meta, Google und OpenAI, die vom Start weg auf Hochtouren laufen.“
Daher kalkuliert DeepSeek mit einer Gebühr von umgerechnet 2,12 Euro je eine Million „Token“, eine Einheit für verarbeitete Daten. OpenAI verlangt hierfür fast das 30-Fache. Ob DeepSeek diese Kampfpreise halten kann, wenn es sich am Markt etabliert hat, ist fraglich. Ebenso, ob die US-Konkurrenz dem Preisdruck nicht nachgeben muss.
Droht jetzt ein KI-Preiskrieg?
In China ist der Preiskampf in jedem Fall schon voll im Gang. Im vergangenen Jahr hatten Großkonzerne wie Alibaba, Baidu oder Tencent die Gebühren für die Nutzung ihrer jeweiligen KI drastisch gesenkt. Damit reagierten sie auf die Veröffentlichung einer früheren Version der DeepSeek-Software. Unklar ist, inwiefern dieser Konkurrenzdruck sich auch auf westlichen Märkten ausdrücken wird.
Warum bleiben US-Konzerne bei ihren Milliardeninvestitionen in KI-Chips?
Kurz vor der DeepSeek-Premiere hatte US-Präsident Donald Trump das Projekt „Stargate“ vorgestellt, in dessen Rahmen in den kommenden Jahren insgesamt bis zu 500 Milliarden Dollar in den Ausbau der KI-Infrastruktur fließen sollen. Da DeepSeek mit deutlich weniger Rechenpower auskomme, stelle sich die Frage, ob diese Investitionen im bisherigen Umfang notwendig seien, sagt Analyst Ben Barringer vom Anlageberater Quilter Cheviot.
Die Facebook-Mutter Meta und der Software-Konzern Microsoft verteidigen ihre milliardenschweren Ausgaben. Meta-Chef Mark Zuckerberg sieht in überlegener Rechenleistung langfristig einen strategischen Vorteil. Microsoft bezeichnet den kräftigen Ausbau der Infrastruktur als weiterhin notwendig, weil die Verbreitung von KI-Anwendungen den Bedarf exponentiell in die Höhe treibe.
Wie sieht es mit Datenschutz bei DeepSeek aus?
In Italien ist die DeepSeek-App auf Anordnung der dortigen Behörden aus den App Stores von Apple und Google vorerst verschwunden. Die Datenschützer wollen von der chinesischen Firma Informationen über deren Umgang mit den Informationen der Nutzer. Wegen möglicher Datenschutz-Verstöße hatte Italien vor einigen Jahren auch den Zugang zu ChatGPT zeitweise blockiert. Parallel dazu entdeckte eine Cybersicherheitsfirma ein Datenleck bei DeepSeek, das den Angaben zufolge aber nach weniger als einer Stunde wieder gestopft wurde.
Auch deutsche Datenschutzbehörden wollen die chinesische KI-Anwendung prüfen. „Es scheint bei DeepSeek datenschutzrechtlich an so ziemlich allem zu fehlen“, sagte Dieter Kugelmann, Datenschutzbeauftragter in Rheinland-Pfalz „Tagesspiegel Background“. Kugelmann ist zudem Co-Vorsitzender des Arbeitskreises KI der Datenschutzkonferenz.
Welche weitere Kritik gibt es an DeepSeek?
Nach Einschätzung von David Sacks, der die KI-Politik des US-Präsidenten Donald Trump koordiniert, gibt es Hinweise darauf, dass DeepSeek US-Programme wie ChatGPT genutzt hat, um seine eigene KI zu trainieren. Westliche Firmen würden daher in den kommenden Monaten Maßnahmen ergreifen, um diese im Fachjargon „Knowledge Distillation“ genannte Praxis zu verhindern.
„Destillation“ sei in der KI-Branche gang und gäbe, betont Naveen Rao, KI-Experte der Softwarefirma Databricks. Es sei vergleichbar mit der Automobil-Industrie, wo Hersteller Konkurrenzmodelle ankauften, um sie zu zerlegen und zu studieren. „Wir alle versuchen, brave Bürger zu sein, aber gleichzeitig stehen wir im Wettbewerb.“
Gleichzeitig zensiert die chinesische App politische Themen wie erwartet ganz im Sinne der Parteilinie der kommunistischen Partei Chinas. Fragen zu Taiwan, Xi Jinping, dem wirtschaftlichen Abschwung in China und dem Tian’anmen-Massaker beantwortet sie gar nicht. Freilich gibt es keine Übersicht über die Zensuralgorithmen, doch es ist davon auszugehen, dass auch bei vielen anderen sensiblen Themen heftig zensiert wird. Auch das reduziert den Nutzwert für Anwender in westlichen Ländern erheblich.
Was wissen wir über die Firma DeepSeek?
Offiziellen chinesischen Unterlagen zufolge wird das Startup DeepSeek von Liang Wenfeng kontrolliert, dem Mitgründer des Hedgefonds High-Flyer. Der Fonds hatte im März 2023 angekündigt, einen neuen Anlauf zur Entwicklung einer künstlichen Super-Intelligenz nehmen zu wollen. Eine solche Artificial General Intelligence (AGI) kann komplexe Aufgaben ohne jedes menschliche Zutun erledigen. Es ist unklar, wie nah DeepSeek diesem Ziel gekommen ist. Ein Börsengang der Firma steht Wenfeng zufolge derzeit nicht zur Debatte. (Trf, Reuters)
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