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Frank Werneke ist Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit 1,9 Millionen Mitgliedern.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Verdi will keinen „neoliberalen Zauber“: Nächste Regierung muss Kommunen retten

Dienstleistungsgewerkschaft fordert 200-Milliarden-Programm allein für die Kommunen. Schuldenbremse als Standortrisiko. Mindestlohn sollte bereits 2026 auf 15 Euro steigen.

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Frank Werneke stellt sich auf schwierige Zeiten ein. In Vorfreude auf den künftigen Bundeskanzler Friedrich Merz „laufen Verbandsvertreter voller Adrenalin“ durch Berlin und bereiteten einen Angriff auf den Sozialstaat vor.

Dabei sei in der Krise „kein neoliberaler Zauber aus Steuersenkungen und Deregulierung gefragt, sondern eine Investitionsoffensive“. Allein für die Kommunen fordert die Dienstleistungsgewerkschaft ein Investitionsprogramm von 200 Milliarden Euro.

Mit 1,86 Millionen Mitgliedern ist Verdi die größte Gewerkschaft nach der IG Metall (2,1 Millionen). 2023 sank die Mitgliederzahl um knapp 33.000 Mitgliedern, in diesem Jahr sollen es wieder mehr werden, wozu der Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst beitragen könnte. „In der vergangenen Woche gab es 6000 Eintritte“, berichtete Werneke am Montagabend.

Kommende Woche setzt Verdi die Verhandlungen mit den Kommunen und dem Bund fort, doch mit einem neuen Tarifvertrag ist frühestens Ende März zu rechnen. In der ersten Märzhälfte drohen den Bürgerinnen und Bürger zunehmend Streiks, betroffen sein wird auch der Verkehrsbereich, womöglich die Flughäfen.

Mit einem Festhalten an der Schuldenbremse, für Werneke ein „Standortrisiko“, werde die nächste Bundesregierung die Herausforderungen nicht bewältigen. Handlungsbedarf sieht die Gewerkschaft neben der Stärkung der Kommunen in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Pflegeversicherung. Die Debatte über die Wirtschaftskrise habe eine Schlagseite zugunsten der Industrie, klagte Werneke.

Das Gesundheitswesen, mit rund sechs Millionen Beschäftigten und einem Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Leistung von elf Prozent von herausragender Bedeutung, sei „unterbelichtet“, sagte der Verdi-Chef. Er befürchte „reihenweise Insolvenzen“ vor allem von kommunalen Krankenhäusern.

Die ganze Diskussion um Flucht und Migration bewegt sich in eine völlig falsche Richtung, die AfD gibt den Takt vor.

Frank Werneke, Verdi-Vorsitzender

Das Thema Gesundheit vermisst Werneke im Wahlkampf ebenso wie die Zukunft der Rente oder Konzepte gegen die Wohnungsnot respektive zur Mietenbegrenzung. Stattdessen befassten sich die Parteien mit Migration. „Die ganze Diskussion um Flucht und Migration bewegt sich in eine völlig falsche Richtung, die AfD gibt den Takt vor“, sagte Werneke.

Zu seiner Gewerkschaft gehörten viele Menschen mit Migrationsgeschichte, die etwa für Zustelldienste oder in der Pflege arbeiteten. „Viele haben Angst vor Abschiebung“, sagte der Verdi-Vorsitzende.

186
Milliarden Euro beträgt der Investitionsstau der Kommunen

Um das Land zu modernisieren, hätten Wirtschaftsforschungsinstitut den Investitionsbedarf für die nächsten zehn Jahre mit 600 Milliarden Euro beziffert; ohne die Ausgaben für die Aufrüstung der Bundeswehr. Der Investitionsstau in den Kommunen betrage 186 Milliarden Euro, im vergangenen Jahr habe das Defizit der Kommunen 15 Milliarden Euro erreicht, der Schuldenberg werde höher.

Städte und Gemeinden setzten nun bei freiwilligen Leistungen an: Gebühren oder Eintrittsgelder würden erhöht oder Angebote, zum Beispiel im ÖPNV, reduziert. „Besonders verheerend“ sei die Lage in Baden-Württemberg, wo 87 Prozent der Städte einen negativen Haushalt vorwiesen, berichtete die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle.

Zur Finanznot komme der Personalmangel. 570.000 Stellen seien im öffentlichen Dienst nicht besetzt. Besonders hoch ist Verdi zufolge der Arbeitskräftebedarf in den Ämtern für Einwanderung und Ausländerangelegenheiten. In Großstädten seien in diesen Behörden bis zu 30 Prozent der Stellen nicht besetzt, Anträge könnten nicht bearbeitet werden.

15 Euro Mindestlohn 2026

Für die im kommenden Juni anstehende Entscheidung der Mindestlohnkommission über die Erhöhung des Stundensatzes 2026 und 2027 erwartet Verdi einen Sprung von derzeit 12,82 auf 15 Euro. „Wir gehen davon aus, dass wir dieses Mal einvernehmlich schaffen, den Mindestlohn zügig auf 15 Euro zu steigern“, sagte Andrea Kocsis, die Verdi in der Mindestlohnkommission vertritt.

Die Kommission habe sich in ihrer neuen Geschäftsordnung auch auf die Berücksichtigung der EU-Mindestlohnrichtlinie verständigt, wonach schon heute der Mindestlohn „deutlich über 14 Euro müsste“.

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