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Nicht stabil.

© dpa

Wirtschaft: Verfassungsbeschwerde gegen die Energiewende

Ein Unternehmen wehrt sich gegen die Pflicht, im Notfall das Stromnetz stabil zu halten.

Berlin - Die Energiewende muss gelingen – zur Not auch auf Kosten unbeteiligter Dritter. Wenn etwa in Norddeutschland der Windstrom die Netze an ihre Kapazitätsgrenzen treibt, können die Leitungsbetreiber Kraftwerke vom Netz nehmen, auch solche von Industriebetrieben. Die Folge: Produktionsausfälle, die niemand ersetzt. Dagegen wehrt sich jetzt erstmals ein Unternehmen.

Ein norddeutscher Industriebetrieb, der zu den größten seiner Branche in Europa zählt, hat vor Weihnachten Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht. Das Unternehmen sieht seine Eigentumsrechte verletzt. Es steht stellvertretend für hunderte Firmen vor allem aus der Chemie- und Papierindustrie, denen durch solche Eingriffe Schäden in Millionenhöhe entstehen können.

Wenn das eigene Kraftwerk vom Netzbetreiber „abgeregelt“ werde, drohe „im schlimmsten Fall die Komplettabschaltung der gesamten Produktion“, sagte Gernot-Rüdiger Engel von der Kanzlei Luther dem „Handelsblatt“. Er vertritt das klagende Unternehmen. „Solche drastischen Eingriffe mit existenzgefährdenden Folgen drohen jedem Industrieunternehmen in Deutschland, das ein eigenes Kraftwerk mit einer bestimmten Leistung betreibt“, sagt Engel. Jedes zweite deutsche Industrieunternehmen produziert selber Strom oder plant eine entsprechende Anlage.

Das Problem fügt sich ein in die Mängelliste der Energiewende: Wind- und Sonnenstrom werden produziert, wenn niemand sie braucht, der Netzausbau hinkt dem Bedarf hinterher, und Versorger nehmen Kraftwerke vom Netz, weil diese sich wegen des wachsenden Anteils von Strom aus erneuerbaren Quellen nicht mehr rentieren. Das alles macht das System teuer und instabil. Da drängt sich der Rückgriff auf den Kraftwerkspark von Chemie- und Papierfabriken aus Sicht der Politik geradezu auf. Das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) lässt nicht nur zu, dass Kraftwerke zwangsweise abgeschaltet werden. Es ermöglicht auch, Industrieunternehmen zu verpflichten, ihren Strom ins Netz einzuspeisen. Der fehlt dann für den Produktionsprozess.

Wann und wie oft bereits in den Betrieb von eigenen Kraftwerken der Industrie eingegriffen wurde, ist unklar. „Wir kennen die Kraftwerke, in deren Betrieb wir eingreifen, nicht im Einzelnen“, räumt einer der vier Übertragungsnetzbetreiber ein. Klar sei jedoch, dass „hier Kollateralschäden entstehen, für die niemand aufkommt“. Und das Gefährdungspotenzial steigt: Seit einem Jahr ist ein Novelle des EnWG in Kraft, die den Kreis der betroffenen Betriebe ausgeweitet hat. „Wir werden für die Fehler bei der Umsetzung der Energiewende ungefragt in Mithaftung genommen“, klagt der Vertreter eines Branchenverbandes. Klaus Stratmann (HB)

Klaus Stratmann (HB)

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