SPD-Wirtschaftskonzept: Volle Kraft für die Kleinen
Berlins SPD geht mit neuem Wirtschaftskonzept in den Wahlkampf. Vier Monate wurde an dem 52 Seiten starken Katalog gearbeitet. Die Kammern reagieren verhalten.
- Cay Dobberke
- Ulrich Zawatka-Gerlach
Mit einem 52 Seiten starken Wirtschaftskonzept, das externe Fachleute im Auftrag der SPD schrieben, wollen die Berliner Sozialdemokraten in den Wahlkampf gehen. Das Credo des Papiers lautet: „Unideologisch, konkret und umsetzbar“. Es gehe um einen unternehmer- und arbeitnehmerfreundlichen Leitfaden für die Wirtschaftspolitik bis 2020. Vier Monate wurde an dem Katalog gearbeitet.
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit sprach bei der Vorstellung des Konzepts am Dienstagabend von einer „brauchbaren Grundlage für die zukünftige Wirtschaftspolitik“. Damit wolle die SPD ein Zeichen setzen, auch wenn es parteiintern nicht von jedem gern gesehen werde, wenn junge Unternehmer, Berater und Wissenschaftler von außen Vorschläge machten. Einleitend heißt es in dem Papier: „Wir wollen Unternehmen, die sozial, ökologisch und betriebswirtschaftlich nachhaltig wirtschaften.“ Dem Rückgrat der Stadt – den kleinen und mittelständischen Betrieben in Handwerk, Industrie und Dienstleistung – solle zum Wachstum verholfen und besonders für kleine kreative Firmen eine „bürokratiearme Zone“ geschaffen werden.
Neue Gründerzentren werden vorgeschlagen. Die Förderlandschaft brauche mehr Übersichtlichkeit. Die Außendarstellung Berlins, vor allem über das Internet, müsse vereinheitlicht werden. Der Senat wird aufgefordert, gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung Berlin Partner eine aktivere Standortpolitik zu betreiben und jene Unternehmen genauer zu identifizieren, „die wir ansiedeln wollen“. Dazu zählten auch öffentliche und nichtstaatliche Organisationen.
Neben dem Technologiepark Adlershof, dem medizinischen Campus Berlin-Buch oder dem Campus Charlottenburg am Ernst-Reuter-Platz müssten weitere „Zukunftsorte“ entwickelt werden. Als Beispiel wird der Flughafen Tegel nach der Schließung genannt. Ein Zentrum für die Kreativwirtschaft könne auf dem Tempelhofer Feld entstehen. Ein Standortvorteil seien aber auch die „hervorragende Daseinsvorsorge“ und die vielen Freiflächen, die vor ungebremster Bebauung gerettet werden müssten.
Gefordert wird außerdem, mehr ältere Arbeitnehmer zu beschäftigen und die „qualifizierte Zuwanderung aus anderen Teilen Deutschlands und dem Ausland“ zu fördern. Unter dem Titel „Kickstart Berlin“ könnten ausländische Hochschulabschlüsse im Rahmen eines dreisemestrigen Aufbaustudienprogramms „als vollwertige deutsche Abschlüsse anerkannt werden“. Die Fort- und Weiterbildung solle forciert werden, und die Jobcenter müssten ein bundesweit ausstrahlendes Modell werden.
Die Sozialdemokraten legen ein klares Bekenntnis zur Energietechnik „als industriepolitische Priorität“ ab. Dazu gehörten neue Konzepte für eine intelligente Energie- und Gebäudetechnik. Nicht nur für die Produktion, sondern auch zum Wohnen. Ein „Zukunftsenergie-Fonds“ könnte klimafreundliche Sanierungsprojekte mitfinanzieren. Als zweiter Schwerpunkt wird der weitere Ausbau Berlins zur „Modellstadt für Forschung, Heilung und Betreuung“ genannt. Dazu gehöre, neben dem Gesundheitszentrum Buch den Standort Heidestraße als „Medical City“ aufzubauen und einen „regen Gesundheitstourismus“ zu generieren.
Apropos Tourismus: Bis 2020 könnten in dieser Branche laut SPD mehrere zehntausend neue Arbeitsplätze entstehen. Die Zahl der Übernachtungen sollte auf 25 bis 30 Millionen ausgebaut werden. Dazu trage bei, Berlin als „erste Adresse für Tagungen, Kongresse und Großveranstaltungen“ zu pflegen. Die Sanierung des Internationalen Congress Centrums (ICC) dürfe sich nicht verzögern.
Der Sprecher der Industrie- und Handelskammer (IHK), Bernhard Schodrowski, sagte in einer ersten Reaktion: „Wir finden darin viele IHK-Forderungen wieder – besser spät als nie.“ Die Sozialdemokraten sprächen viele Problemfelder an, in vielen Punkten seien die nötigen Konsequenzen aber kaum ausgeführt. Beispielsweise gehe es um die geplante industrielle Nachnutzung des Flughafens Tegel, über die sich Politik und Wirtschaft im Grundsatz einig seien. Einzelheiten zum weiteren Vorgehen würden im Konzept aber nicht genannt.
Mit Unverständnis reagierten IHK und Handwerkskammer auf die Forderung, die Zwangsmitgliedschaft in den Kammern für Start-Up-Unternehmen mit maximal fünf Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von höchstens 500 000 Euro drei bis fünf Jahre auszusetzen. Der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, Jürgen Wittke, fragte, ob die Autoren in die Handwerksordnung geblickt hätten: Das erste Jahr nach der Gründung sei bereits für alle Betriebe beitragsfrei, und für das zweite Jahr würden nur 67,50 Euro fällig. IHK-Sprecher Schodrowski betonte, dass von 270 000 Mitgliedsunternehmen „zwei Drittel gar keinen Beitrag“ zahlten.
Das SPD-Konzept enthalte „viele grüne Ideen“ für die Berliner Wirtschaft, die nur von einer Regierenden Bürgermeisterin Renate Künast wirksam umgesetzt werden könnten, erklärte der Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann. Der CDU-Wirtschaftsexperte Heiko Melzer mutmaßte, dass die SPD mit ihrem Konzept vom Scherbenhaufen der bisherigen Wirtschaftspolitik ablenken wolle.