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Einfach mal Pause machen? Viele Jobs sind stressig. Der Bildungsurlaub würde eine Auszeit bedeuten. Doch nur wenige Arbeitnehmer nutzen diese Möglichkeit.

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Arbeitgeber sind sauer: Warum sind Yoga und Gleitschirmfliegen Bildungsurlaub?

Die Grenzen zwischen Bildungs- und Erholungsurlaub sind fließend. Wandern in Kuba, Stressabbau in der Toskana - für all das gibt es Zusatzurlaub.

Es waren schöne Reisen, die Jürgen Schulte (Name geändert) in den letzten Jahren unternommen hat. Erst wanderte er durch den Regenwald in Costa Rica und studierte dort Fauna und Flora. Zwei Jahre später verbrachte der Berliner Angestellte zehn Tage auf Kuba, traf Gewerkschaftsvertreter und besuchte Kooperativen. Am Ende war auch noch Zeit, um ein paar Tage im All-Inclusive-Hotel am Strand auszuspannen. Das Ganze kostete ihn keinen einzigen Urlaubstag: Seine Reisen waren Bildungsurlaub.

Zehn Tage Bildungsurlaub in zwei Jahren

Jeder Arbeitnehmer in Berlin kann innerhalb von zwei Jahren zehn Tage Bildungsurlaub beanspruchen, wenn er eine Vollzeitstelle hat. Teilzeitkräfte bekommen entsprechend weniger. Die Tage werden nicht auf den normalen Erholungsurlaub angerechnet. Die Kosten für den Bildungsurlaub trägt man selbst, der Arbeitgeber zahlt aber das Gehalt für diese Zeit weiter. Bildungsurlaub ist Ländersache. 14 Bundesländer bieten ihn an, nur Sachsen und Bayern machen nicht mit. Damit Seminare als Weiterbildung gebucht werden können, müssen sie von der Senatsverwaltung für Arbeit als Bildungsurlaub anerkannt worden sein. „Bildungsurlaub dient der politischen Bildung und der beruflichen Weiterbildung“, heißt es im Berliner Bildungsurlaubsgesetz aus dem Jahr 1990.

Erholung und Spaß. Dass Paragliding zur beruflichen Weiterbildung zählt, liegt zum Beispiel daran, dann man lernt, mit Angst umzugehen.
Erholung und Spaß. Dass Paragliding zur beruflichen Weiterbildung zählt, liegt zum Beispiel daran, dann man lernt, mit Angst umzugehen.

© dpa-tmn

Doch was unter politischer und beruflicher Bildung zu verstehen ist, ist ein weites Feld. Die Grenzen zwischen Bildungs- und Erholungsurlaub sind fließend. Etwa beim Gleitschirmfliegen in der Rhön. „Paragliding ist jetzt auch als Bildungsurlaub anerkannt“, freut sich der Veranstalter, die Papillon Paragliding – Rhöner Drachen- und Gleitschirmflugschulen.

Ob Yoga auf Sylt oder Stressabbau in der Toskana, das Angebot ist attraktiv und groß. Im vergangenen Jahr waren es 10 766 Veranstaltungen, die von der Senatsverwaltung für Arbeit als Bildungsurlaub anerkannt worden sind, 2972 von ihnen fanden im Ausland statt. 2019 sind es bislang 6288 anerkannte Bildungsangebote, davon 1560 außerhalb Deutschlands.

Arbeitgeber ärgern sich über "völlig konturlosen Bildungsurlaub"

Die Arbeitgeber ärgert das. „Ein völlig konturloser Bildungsurlaub für alles und jeden dient mehr der politischen Selbstdarstellung seiner Erfinder als den Beschäftigten und Unternehmen“, heißt es bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Die Senatsverwaltung für Arbeit weist das zurück. „Die Behauptung, dass viele anerkannte Kurse den Schwerpunkt in der persönlichen Freizeitgestaltung haben, entbehrt bei genauerer Betrachtung jeglicher Grundlage, wird jedoch leider noch immer vielfach kolportiert“, sagt eine Sprecherin.

Veranstaltungen könnten nur dann als berufliche Weiterbildung anerkannt werden, wenn ein Bezug zur ausgeübten Tätigkeit beziehungsweise ein Mindestnutzen für die Arbeitgeber vorliegt. Dass Paragliding zur beruflichen Weiterbildung zählt, liegt etwa daran, dass man durch das Fliegen Stressbewältigungsstrategien und einen besseren Umgang mit der Angst lernt, Teambildung und sein Selbstvertrauen stärkt, heißt es in den Kursunterlagen.

Feiern zum Abschluss: Wer in der Karibik Umweltschutz und Nachhaltigkeit studiert, kann zum Schluss Hotel- und Strandleben genießen.
Feiern zum Abschluss: Wer in der Karibik Umweltschutz und Nachhaltigkeit studiert, kann zum Schluss Hotel- und Strandleben genießen.

© IMAGO

Auch Yoga kann Bildungsurlaub sein

Die eher großzügige Anerkennungsstrategie der Berliner Verwaltung erfährt Rückendeckung durch die Justiz. Im Frühjahr entschied das Landesarbeitsgericht, dass ein Berliner Arbeitgeber einen Mitarbeiter auch für einen fünftägigen Yoga-Kurs der Volkshochschule Pankow freistellen muss. Der Gesetzgeber habe den Begriff der beruflichen Weiterbildung weit auslegen wollen, gaben die Richter zu bedenken. Dass der Yoga-Kurs, der unter Bildungsurlaub fällt, und der Yoga-Kurs, den Teilnehmer in ihrer Freizeit machen, „erhebliche Ähnlichkeiten aufweist“, störte die Richter nicht.

„Bildungsurlaub, der der beruflichen Weiterbildung dient, ist ausschließlich der beruflichen Sphäre zuzuordnen, selbst wenn die Kursinhalte teilweise auch privat genutzt werden können“, heißt es in dem Urteil (10 Sa 2076/18).

Yoga als Bildungsurlaub: Einen Kurs der Volkshochschule Pankow hat das Landesarbeitsgericht als Bildungsurlaub anerkannt.
Yoga als Bildungsurlaub: Einen Kurs der Volkshochschule Pankow hat das Landesarbeitsgericht als Bildungsurlaub anerkannt.

© dpa-tmn

„Letzlich profitieren auch die Arbeitgeber davon, wenn ihre Mitarbeiter Bildungsurlaub machen“, meint Matthias Anbuhl, der beim Deutschen Gewerkschaftsbund die Abteilung Bildungspolitik leitet. Denn die Beschäftigten seien am Ende „nicht nur schlauer, sondern auch interessierter, motivierter und leistungsfähiger“. Beim Bildungsurlaub gehe es nicht nur um die berufliche Weiterbildung, sondern um alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. „Die Lernenden sollen Kompetenzen erhalten, die ihnen Orientierung, Teilhabe, Karrierechancen und ein selbstbestimmtes und lebenswertes Arbeiten und Leben ermöglichen“, meint der Gewerkschafter.

Hinzu komme, dass viele Arbeitnehmer nur 20 Tage Erholungsurlaub haben. Dieser werde viel zu oft für die Pflege von Angehörigen oder andere Aufgaben wie etwa den Hausbau aufgezehrt. Für Anbuhl ist klar: „Für zusätzliche Bildung brauchen wir deshalb zusätzliche Zeit: Bildungszeit.“

Nur ein bis zwei Prozent der Arbeitnehmer machen Bildungsurlaub

Von zusätzlichen Angeboten für Bildungsurlaub wollen die Arbeitgeber aber nichts wissen. Von den mehr als 33 Milliarden Euro, die die Firmen pro Jahr in die berufliche Weiterbildung investieren, fließt der Großteil in Kurse, die arbeitsplatznah oder in den Arbeitsprozess integriert sind. Die Aufwendungen für staatlich anerkannten Bildungsurlaub halten sich dagegen in Grenzen. Denn gerade einmal ein bis zwei Prozent der Beschäftigten nutzen das Instrument. Von 1,47 Millionen Erwerbstätigen waren es im vergangenen Jahr in Berlin knapp 13.200 nach 16.800 Teilnehmern im Jahr zuvor.

Die Gründe: Viele Arbeitnehmer wissen nicht, dass es Bildungsurlaub gibt oder sie trauen sich nicht, ihn zu nehmen – mit Rücksicht auf die Kollegen oder den Arbeitgeber. Manchen fehlt aber auch einfach das Geld. Kein Wunder, dass den Löwenanteil der Bildungsurlauber diejenigen ausmachen, die bereits zu den Gebildeten zählen – Arbeitnehmer mit Abitur.

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