
Stefan Blaschak: „Wir können auch die coolen Hunde sein“
Der Chef des 250 Jahre alten Spirituosen-Herstellers Berentzen, Stefan Blaschak, spricht mit dem Tagesspiegel über Flatrate-Partys, russischen Wodka und Heuschrecken.
Herr Blaschak, wie viel Hochprozentiges trinken Sie pro Tag?
Das ist sehr überschaubar. Mein Beruf bringt es mit sich, dass ich ab und zu neue Produkte verkoste. Da nippe ich in unserer Laborküche am Glas, kann aber natürlich nicht jede Probe auch trinken. Spirituosen genieße ich aber gerne zu besonderen Anlässen.
Im Schnitt trinkt der Deutsche pro Kopf 5,4 Liter Hochprozentiges im Jahr – und die Konsumenten werden immer jünger. Ist Ihr Geschäft schwieriger geworden, seit die Zahl der jugendlichen Komasäufer und Flatrate-Partys steigt?
Wir nehmen das natürlich ernst. Die Familien dürfen aber nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Ich bin selbst Vater, und wir sprechen auch über dieses Thema zu Hause. Die Familie muss genauso aufklären wie die Hersteller, die verpflichtet sind, über die Risiken des Alkoholkonsums zu informieren. Aber mit strengeren, gesetzlichen Regularien erreicht man nichts. Im Übrigen: Die Russen trinken im Schnitt 20 Liter Hochprozentiges pro Jahr. Deutschland liegt da nur im Mittelfeld.
Lässt sich ein Fruchtlikör mit ziemlich eingestaubtem Image mit der gleichen Leichtigkeit vermarkten wie, sagen wir, ein iPod oder ein Handy?
Wir haben uns intensiv mit dem Markt beschäftigt und mit der Frage: Wer trinkt uns eigentlich? Dabei haben wir Berentzen den Staub von den Schultern geklopft und festgestellt, dass die Zielgruppe der 250 Jahre alten Marke jung geblieben ist: über 18, junge Familien, Paare, die zusammengezogen sind, Singles. Diese Konsumenten wollen wir erreichen. Wir holen sozusagen den Berentzen-Hof und den Apfelbaum – den es übrigens tatsächlich gibt – ins 21. Jahrhundert und in die Stadt. Berentzen ist nicht provinziell, wir können auch die coolen Hunde sein.
Die Botschaft ist im Nachtleben aber noch nicht angekommen, da wird Jägermeister oder Red Bull getrunken.
Auf dem deutschen Markt ist das so, weil Berentzen hier den Vertrieb vor allem über den Lebensmitteleinzelhandel organisiert. Die Konsumanlässe haben sich auch geändert. In anderen Märkten, in Tschechien, in den USA zum Beispiel, gehen wir auch andere Wege. Dort wird die Marke in den Bars direkt eingeführt. In Deutschland machen wir Ähnliches mit neuen Produkten – B2 oder Bcidr. Das geht aber nur behutsam, nicht mit Gewalt.
Was macht Jägermeister besser?
Während sich bei Berentzen wechselnde Marketingköpfe verzettelt haben, hat man bei Jägermeister mit Geduld und Kontinuität auf allen Ebenen des Marktes Zielgruppen bedient, vom Kegelclub bis zur hippen Lounge. Das ist ein langer Weg, für den man Ressourcen braucht und Erträge erwirtschaften muss. Daran arbeiten wir jetzt auch, mit langem Atem.
Warum werden so klingende Namen wie Bommerlunder, Doornkaat oder Stonsdorfer, die alle zur Berentzen-Gruppe gehören, nicht wiederbelebt?
Nicht alle Namen kann man national aufstellen. Das ist ähnlich wie auf dem Biermarkt. Manche Marken sind von Nord bis Süd stark, manche nur lokal. Mit Hansen-Rum sind wir zum Beispiel in Skandinavien eine große Nummer. Aber er ist nichts für den Süden. Strothmann ist rund um Minden in Westfalen der absolute Marktführer, Doornkaat ist im Norden sehr stark. Man kann noch so viel tun, um diese Marken auch im Süden zu positionieren, dort sind die Trinkgewohnheiten einfach anders.
Im Ausland hat Berentzen vier Kernländer im Blick: USA, Russland, Tschechien und die Niederlande. Warum gerade diese? Wird hier am meisten getrunken?
Nein, das ist sehr unterschiedlich. Der US-Markt ist der weltweit größte Fruchtmarkt. Dort wollen wir größer einsteigen. Einer unserer wichtigsten Auslandsmärkte ist Tschechien mit einem hohen Wodka-Marktanteil, danach die Niederlande, wo wir vor allem Berentzen Fruchtige und Puschkin-Wodka absetzen. In Russland aktivieren wir gerade eine alte russische Wodka-Marke: Rasputin.
Klingt abenteuerlich: Niedersachsen, die auf dem russischen Wodka-Markt erfolgreich sein wollen.
Wir können als Niedersachsen – und ich als Berliner – natürlich wenig allein in Russland ausrichten. Wodka ist einem harten Verdrängungswettbewerb ausgesetzt. Hinzu kommt, dass man in Russland nicht mehr dafür werben darf. Aber wir wollten einen echten russischen Wodka – es gibt ja nicht mehr viele, manche haben nur noch einen russischen Namen. Deshalb haben wir eine Produktion und Mitarbeiter vor Ort, die den Markt und die Konsumgewohnheiten kennen. Tatsache ist, dass die Russen im Durchschnitt 20 Liter Spirituosen pro Jahr trinken – und 90 Prozent davon ist Wodka.
Wie viel davon soll aus dem Hause Berentzen stammen?
Wir sind gerade erst gestartet. Anfang Dezember haben wir die ersten 100 000 Flaschen Rasputin in Russland produziert. 2011 werden wir sicher ein Vielfaches davon verkaufen.
Und nach China wollen Sie auch?
Wir sind schon da. Zuerst war ich auch skeptisch: Reis- und Pflaumenschnaps haben die Chinesen doch selbst. Trotzdem verkauft sich unser Berentzen Plum gut. Auch weil die Vermarktung vor Ort kreativ ist. Für die Chinesen gibt es keine Probleme, Probleme werden gelöst. Man muss nur sehr nah dran sein, sonst werden sie auf eine Art und Weise gelöst, wie man es als Europäer nicht so gerne hat.
Was trinken die Chinesen gerne?
Viel Reisschnaps. Aber sie mögen es auch fruchtig. Produkte aus Deutschland haben einen sehr guten Ruf. Wir schmunzeln darüber, aber unser Berentzen-Apfelbaum als Sinnbild für Natur und Qualität kommt in China gut an. Wir wollen deshalb in dem Land investieren und können uns vorstellen, dass China perspektivisch einer unserer Kernmärkte wird.
Zurück auf den Boden der Zahlen: Wie hoch ist die Exportquote von Berentzen?
Wir haben ein Ziel: Jede zweite Markenflasche soll im Ausland verkauft werden. Aktuell liegen wir bei 25 Prozent, die Hälfte des Weges haben wir also geschafft. Ich rechne 2011 mit einem zweistelligen Wachstum in unserem Auslandsgeschäft. Wir mussten das Unternehmen nach dem Verkauf zunächst stabilisieren und werden nun profitabel wachsen. In der Finanzkrise war die Zusammenarbeit mit den Banken nicht einfach, heute stehen sie Schlange. Das ist für ein eigenständiges, börsennotiertes Unternehmen wichtig. 2010 werden wir über und unter dem Strich besser abschneiden als im Vorjahr. Wir stärken auch unser Marketing-Team und stellen neue Leute ein.
Sie betonen Ihre Eigenständigkeit, dabei gehört Berentzen einer Heuschrecke, dem Finanzinvestor Aurelius. Man wirft ihm vor, Berentzen auszuschlachten.
Berentzen gäbe es nicht mehr, wenn Aurelius nicht eingestiegen wäre. Finanzinvestoren sind wichtig für die deutsche Wirtschaft, weil sie auch in Krisenzeiten da sind. Wenn die Banken ihrer Aufgabe nicht gerecht werden können, ist es gut, dass es Finanzinvestoren wie Aurelius gibt. Berentzen war nicht mehr wettbewerbsfähig. 200 von 700 Stellen sind weggefallen, weil wir unter anderem die Spirituosenfertigung zusammengefasst und die Vertriebs- und Marketingabteilung mit 50 Mitarbeitern ausgelagert haben.
Muss man so hart mit 250 Jahre alten Traditionen brechen, um zu bestehen?
Wir hatten nur zwei Alternativen: Die Strukturen verändern, um im Wettbewerb zu bleiben. Oder mit Berentzen in die Insolvenz gehen. Der Anzug, den die Familieneigentümer hinterlassen hatten, war zu groß. Wir waren zu langsam. Das Motto „Das haben wir immer schon so gemacht“ wollten wir nicht mehr.
Ausgerechnet jetzt, da Berentzen wieder wachsen will, gibt es Spekulationen, dass Aurelius Sie wieder verkaufen könnte.
Wir sind ein börsennotiertes Unternehmen mit Aktionären – und ein Aktionär ist Aurelius mit ungefähr 54 Prozent. Aurelius kann frei entscheiden.
Rund sieben Jahre sind branchenüblich für einen Finanzinvestor.
Das muss Aurelius entscheiden. Über das operative Geschäft entscheidet der Vorstand. Viele Wettbewerber staunen jetzt über unsere Ergebnisse – und vor kurzem hätten sie noch keinen Cent für uns bezahlt.
Bekannte deutsche Markenhersteller, an denen Aurelius beteiligt war, sind zusammengebrochen: Westfalia, Einhorn, Pohland. Macht Sie das nicht nervös?
Nein, ich kann nicht das Geschäft von Aurelius beurteilen. Ich habe unsere Resultate im Blick. Wir können es aus eigener Kraft. Alles andere lese ich in der Zeitung.
Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer.
Zur Person
DER MANAGER
Der gebürtige Berliner Stefan Blaschak (41) ist seit 2008 Vorstandschef der Berentzen-Gruppe. Nach Stationen bei Philip Morris und Coca-Cola war der Diplomkaufmann als Geschäftsführer von Leerdammer Deutschland und im Vorstand der Hochland AG tätig. 2004 wurde Blaschak stellvertretender Vorstandsvorsitzender von Kamps.
DAS UNTERNEHMEN
Berentzen mit Sitz im niedersächsischen Haselünne war 250 Jahre lang in Familienbesitz. Nach Turbulenzen im Eigentümerkreis und hohen Verlusten wurde der Hersteller von Spirituosen und alkoholfreien Getränken 2008 vom Finanzinvestor Aurelius übernommen. Berentzen erzielte zuletzt mit knapp 500 Mitarbeitern einen Gewinn von 3,8 Millionen Euro.