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Karstadt-Mitarbeiter protestieren: "Wir werden schon lange hingehalten"

Die Karstadt-Mitarbeiter protestieren mit Mahnwachen und Unterschriftenlisten gegen die drohende Insolvenze des Karstadt-Mutterkonzerns Arcandor. Sie hoffen auf ein gutes Ende. Eine Reportage aus Berlin.

Berlin - „Geschlafen hat hier keiner gut, wir sind alle sehr angespannt“, sagt Uwe-Gerhard Ruhm. Seit knapp 35 Jahren arbeitet er bei Karstadt am Hermannplatz und verkauft Elektroartikel. An diesem Montag steht er auf der Straße und sammelt Unterschriften. Wie Tausende seiner Kollegen im gesamten Bundesgebiet. Mit Mahnwachen und Unterschriftsaktionen kämpfen sie für ihre Arbeitsplätze.

Auch am Hermannplatz verhüllen riesige schwarze Stoffvorhänge die Schaufensterscheiben. Außen prangen Aufkleber. „Tag der Entscheidung“ steht darauf und der Slogan, den sie auf den Demos der letzten Tage der Politik entgegengehalten haben: „Es geht um 56 000 Arbeitsplätze“.

Vor den drei Eingängen stehen Mitarbeiter des Kaufhauses. 430 Beschäftigte gibt es bei Karstadt am Hermannplatz. 1400 waren es früher, erzählt Fachverkäufer Ruhm. „Bis in die frühen 80er Jahre hinein gab es noch eine eigene Konditorei, eine eigene Metzgerei und vieles mehr in diesem Haus“, erinnert er sich an bessere Zeiten.

Auch die Kunden wünschen sich bessere Zeiten zurück. Deshalb unterschreiben sie – wie die rundliche Frau im roten Anorak: „Ich bin Stammkundin hier“, sagt sie. „Das Haus darf einfach nicht pleitegehen. Was soll denn dann aus dem Bezirk werden?“

Eine kleine Vorstellung, wie es nach Meinung der Karstadt-Belegschaft dann aussehen könnte, geben die verhüllten Schaufenster. „Dann sehen die Leute mal, wie trist und öde es wirkt, wenn keine Waren mehr angeboten werden“, meint Ruhm. Was passieren werde, könne man in der Karl-Marx-Straße sehen, wo das Hertie-Kaufhaus verschwunden ist und sich südlich der langen Hauptstraße ein Ramschladen nach dem nächsten breitmacht. Ruhm stellt sich wieder hinter seinen Stand. Eigentlich war Montag sein freier Tag, den er in seinem Häuschen in Mecklenburg verbringen wollte. Doch wie könnte er dort ruhig sitzen, am Tag der Entscheidung?

Vor der Karstadt-Filiale in Tempelhof dasselbe Bild. Auch hier sammeln die Mitarbeiter eifrig Unterschriften, es geht schließlich um den Erhalt von 300 Jobs. Die Aktion ist ein Erfolg, berichtet Andrea Kirchmeier: „Die Kunden kommen von allein auf uns zu.“ Seit dem frühen Morgen steht die 44-Jährige mit dem Klemmbrett in der Hand vor dem Haupteingang am Tempelhofer Damm. Rund 9000 Unterschriften haben die Mitarbeiter seit gut einer Woche allein in Tempelhof zusammengetragen und am Morgen zur Sammelstelle ins KaDeWe gebracht. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagt Jarek Diete. Er ist seit 1992 im Betrieb, hat seine Lehre hier gemacht. Gemeinsam mit einem Kollegen hält er ein meterlanges Banner mit der Aufschrift „Mahnwache Berlin-Tempelhof“. Eine Insolvenz mit ungewissem Ausgang wäre für den Vater eines kleinen Sohnes doppelt bitter, denn seine Frau ist bereits arbeitslos.

Die Existenzsorgen von Michaela Hönicke mischen sich mit Wut: „Das ist absolut mies. Wir werden schon über Jahre hingehalten.“ Bereits 2003 war es dem Konzern nicht gut gegangen, 2008 dann dieselbe Misere – mit neuem Vorstand. Jedes Mal hätten die Mitarbeiter Verzicht geübt. Jetzt reicht’s. Lieber Insolvenz als eine Zwangsehe mit Kaufhof, bei der Filialen sterben müssen, meint die alleinerziehende Mutter: „Dann würden die Gehälter immerhin noch drei Monate weitergezahlt.“

Gerhard Rickenberg könnte im August 40-jähriges Jubiläum feiern – wenn es das Warenhaus bis dahin noch gibt. Der 55-Jährige weiß, dass er im Fall eines Jobverlusts wahrscheinlich dauerhaft arbeitslos wird. „In meinem Alter haben Sie kaum noch eine Chance, einen Arbeitsplatz zu finden.“ Es klingt abgeklärt, nicht verbittert. Vielmehr überwältigt ihn das Engagement der Kollegen: „Es ist erstaunlich, was die Leute hier an Arbeitseifer aufbringen. Sie stehen mit dem Rücken zur Wand und machen trotzdem weiter.“ Rickenberg löst einen Kollegen am Mahnwachenbanner ab. Schichtwechsel, denn es wird ein langer Tag werden. Tanja Buntrock/Birte Honsa

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