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Zieldatum ist nicht zu halten: Bahn-Chefin Palla sagt Eröffnung von Stuttgart 21 im Dezember 2026 ab
Immer wieder verschiebt sich der Abschluss der Großbaustelle Stuttgart 2021. Cem Özdemir, Spitzenkandidat der Grünen für die Landtagswahl in Baden-Württemberg, kritisiert die neuerlichen Verzögerungen scharf.
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Die Hängepartie um den Tiefbahnhof geht weiter: Der Abschluss der Dauerbaustelle Stuttgart 21 (S21) kann nicht wie geplant im Dezember 2026 über die Bühne gehen. Die neue Bahn-Chefin Evelyn Palla hat dem Aufsichtsrat und den Projektpartnern mitgeteilt, dass das Zieldatum nicht zu halten ist, wie dem Tagesspiegel aus Bahn-Aufsichtsratskreisen bestätigt wurde. Zuerst hatte der „Spiegel“ berichtet.
Grund für die weitere Verschiebung seien unter anderem technische Probleme am sogenannten Digitalen Knoten Stuttgart (DKS), heißt es in einem Informationspapier der Bahn-Führung an den Aufsichtsrat, das dem Tagesspiegel vorliegt. Bei diesem Pilotprojekt geht es um die Digitalisierung der Leit- und Sicherungstechnik der Bahn im Großraum Stuttgart.
Das System soll zeitgleich mit dem neuen achtgleisigen Tiefbahnhof und dessen 56 Kilometer langen unterirdischen Zufahrtswegen in Betrieb gehen. Den Angaben zufolge gibt es Probleme mit der Zulassung und Freigabe von Technik des japanischen Konzerns Hitachi, der das neue digitale Stellwerk für den Tiefbahnhof und den gesamten Bahnknoten Stuttgart entwickelt.

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Im Juli hatte die Bahn noch angekündigt, Stuttgart 21 im Dezember 2026 zumindest teilweise in Betrieb nehmen zu wollen. Der Fernverkehr und ein Teil des Regionalverkehrs sollten ab dann in den neuen Tiefbahnhof fahren, ein Teil des Regionalverkehrs dagegen bis Juli 2027 weiter im alten oberirdischen Kopfbahnhof enden.
Vor allem die „Terminrisiken im Bereich der Entwicklung und Zulassung beim Auftragnehmer Hitachi sowie bei der Freigabe von Planungen“ seien in dieser Dimension nicht vorhersehbar gewesen, heißt es nun. „Die sich daraus ergebenden Verzögerungen hätten nur durch deutlich verkürzte Testzeiten kompensiert werden können, die zu erheblichen Inbetriebnahmerisiken geführt hätten“, heißt es weiter. „Zudem wären zusätzliche Sperrungen notwendig geworden, deren Auswirkungen auf Fahrgäste und Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht vertretbar sind.“
Bis Mitte 2026 soll neues Konzept vorliegen
Einen neuen Termin für die Eröffnung hat die Bahnspitze um Palla dem Aufsichtsrat nicht genannt. Zunächst soll bis spätestens Mitte 2026 ein neues Konzept zur Eröffnung vorliegen. Die Geschäftsführung der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH sei damit beauftragt worden, dies zu erarbeiten und sich mit allen Projektpartnern verbindlich abzustimmen. „Dabei hat oberste Priorität, von Beginn an einen sicheren und zuverlässigen Bahnbetrieb mit stabilen Fahrplänen zu gewährleisten“, schreibt die Bahn-Führung an den Aufsichtsrat.
Voraussetzung dafür sei wiederum, die neue digitale Infrastruktur, die neuen Abläufe sowie die digitalisierten Züge zu prüfen und mit ausreichendem Vorlauf zu testen. Danach könne man die weiteren Mehrkosten ermitteln. Zu weiteren Einzelheiten wolle sich der Vorstand in der anstehenden Aufsichtsratssitzung am 10. Dezember äußern. Weitere Angaben machte der Konzern nicht und begründete dies damit, der Diskussion mit dem Aufsichtsrat nicht vorgreifen zu wollen.
Nach Tagesspiegel-Informationen zog Palla nach einem Gespräch mit der Projektgruppe Stuttgart-Ulm die Reißleine, weil die Gefahren für eine zuverlässige Inbetriebnahme zu groß wurden. Wie der Tagesspiegel von mit den Vorgängen vertrauten Personen erfuhr, gibt es derzeit auch Probleme mit dem Estrich und der Gebäudetechnik des neuen Bahnhofs. Das entscheidende Risiko ist jedoch, dass Hitachi mit der Planung der digitalen Stellwerks- und Sicherheitstechnik hinterherhinkt.
Özdemir kritisiert erneute Verzögerungen
Der Spitzenkandidat der Grünen für die Landtagswahl in Baden-Württemberg im kommenden März, Cem Özdemir, kritisierte die neuerlichen Verzögerungen scharf. „Das klingt wie Hohn“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Diese ewige Salamitaktik ist nicht mehr tragbar, die Folgen für die Fahrgäste kaum vermittelbar.“
In einem gemeinsamen Kraftakt habe das Land Baden-Württemberg mit den Projektpartnern in den vergangenen Monaten „vieles versucht, um die Belastungen für die Fahrgäste in den kommenden Monaten so gering wie möglich zu halten“, betonte Özdemir. Das Projekt Stuttgart 21 sei „ein Fass ohne Boden“.
Auch die Opposition im Bundestag kritisiert die Verzögerung. „Die Verschiebung von S 21 kommt inzwischen fast schon so sicher wie Weihnachten“, sagte der Bahnexperte der Grünen, Matthias Gastel. Wieder einmal müsse der Konzern aufgefordert werden, Informationen herauszurücken und die Öffentlichkeit, die für das Desaster die Zeche bezahlen müsse, zu unterrichten. Die Grünen wollen nun durchsetzen, dass im Verkehrsausschuss kommende Woche Klaus Müller, Vorstand für Digitalisierung der zuständigen Bahntochter DB InfraGO, die Abgeordneten informiert.
Kosten steigen von Jahr zu Jahr
Gebaut wird an dem Projekt bereits seit 2010. Die Inbetriebnahme war bereits mehrfach verschoben worden, zuletzt auf Dezember 2026. Bei Abschluss der Finanzierungsvereinbarung im Jahr 2009 war man von einer Eröffnung 2019 ausgegangen.
Die Gründe für die mehrmaligen Verschiebungen sind laut Bahn unterschiedlich: Klagen gegen das Projekt und geänderte Auflagen etwa beim Brandschutz. Weitere Faktoren für die Verzögerungen seien der „geologisch anspruchsvolle Untergrund im Stuttgarter Stadtgebiet“ oder aufwendige Genehmigungsverfahren durch geänderte Gesetze beim Artenschutz.
Auch die Kosten für das Projekt haben sich über die Jahre steil nach oben entwickelt. In einem Finanzierungsvertrag aus dem Jahr 2009 ist nur die Verteilung von Kosten bis zu einer Höhe von gut 4,5 Milliarden Euro geregelt.
Bis vor Kurzem bezifferte die Bahn die derzeitigen Kosten auf rund elf Milliarden Euro, eingeplant ist zudem ein Puffer von 500 Millionen Euro. Dieser ist inzwischen schon fast aufgebraucht: In der Mai-Sitzung des Lenkungskreises informierte die Bahn die Projektpartner darüber, dass sich die Kosten inzwischen auf rund 11,3 Milliarden Euro summierten.
Im August hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) entschieden, dass die Bahn die milliardenschweren Mehrkosten alleine tragen muss. Das oberste Verwaltungsgericht des Landes lehnte einen Antrag auf Zulassung der Berufung der Bahn gegen ein entsprechendes Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart ab. Die bundeseigene Bahn kündigte Ende Oktober an, nicht weiter gegen das Urteil vorzugehen. (mit dpa)
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