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In der neuen Gasag-Zentrale in Schöneberg sind die verschiedenen Schriftarten aus der Firmengeschichte zu sehen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Kauft das Land Berlin die Gasag?: Zurück auf Staat

Die Gasag gewinnt den Netzstreit gegen den Senat und wechselt überraschend den Vorstandschef aus. Was wollen die Eigentümer?

Wenn man einem Unternehmen das Land Berlin als Eigentümer wünschen muss, dann ist es weit gekommen. Im Falle der Gasag sprechen verschiedene Gründe für eine Verstaatlichung, die unter dem Begriff Rekommunalisierung in Mode gekommen ist. Bei Eon (Anteil 36,85 Prozent), Vattenfall und der französischen Engie (beide besitzen jeweils 31,575 Prozent) befindet sich die Gasag jedenfalls nicht in den besten Händen. In der Belegschaft des 175 Jahre alten Unternehmens sind viele fassungslos über die Absetzung des Vorstandsvorsitzenden Gerhard Holtmeier vor zwei Wochen. Einvernehmlich hatten die Vertreter der drei Konzerne im Aufsichtsrat den Wechsel von Holtmeier zum Vattenfall-Manager Georg Friedrichs beschlossen; die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat nickten den Wunsch der Kapitalseite brav ab und waren froh über die Nachfolgelösung nach dem Motto „hätte ja auch alles viel schlimmer kommen können“.

Bis zur Wahl im September ist die Zeit knapp

Am 1. April hat Friedrichs den Spitzenjob in der neuen Gasag-Zentrale auf dem Euref-Campus angetreten. Er traf sich am ersten Tag mit leitenden Angestellten und stellte sich dem Betriebsrat vor. Vorrangige Aufgabe des neuen Vorstandsvorsitzenden: Das Vertrauen der Belegschaft gewinnen. Und dann den Eigentümerkonzernen behilflich sein beim Verkauf der Gasag. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller und Finanzsenator Matthias Kollatz (beide SPD) wollen kaufen und mit der Gasag im Portfolio der Berliner Energiepolitik einen Schub geben. Eon, die schwedische Vattenfall und Engie sind verkaufsbereit. Ob das bis zur Wahl im September klappt, ist jedoch zweifelhaft. Nach eigenen Angaben hat Kollatz in diesem Jahr noch keine Gespräche darüber mit den Gasag-Eigentümer geführt. Von einem Due-Diligence-Prozess zur Wertermittlung gar nicht zu reden.

Georg Friedrichs arbeitete 20 Jahre für Vattenfall. Seit dem 1. April ist er Vorstandsvorsitzender der Gasag.
Georg Friedrichs arbeitete 20 Jahre für Vattenfall. Seit dem 1. April ist er Vorstandsvorsitzender der Gasag.

© Fabian Sommer/dpa

Die Gasag hat zwar gerade erst haushoch gegen den Senat den Streit um die Gasnetzkonzession vor dem Bundesgerichtshof gewonnen. Doch diese Konzession läuft bereits 2023 aus – und dann beginnt das Spiel von vorn. Der Senat wird aus den Fehlern im Vergabeverfahren gelernt haben und beim nächsten Mal mit der landeseigenen Gesellschaft Berlin Energie als klarer Favorit in den Wettbewerb gehen. In ein paar Jahren könnte die Konzession für das Gasnetz also doch noch beim Land landen. Aber ohne Netz ist die Gasag nicht mehr viel wert. Also, so das Kalkül von Eon, Vattenfall und Engie, besser jetzt Kasse machen.

Hat das Gas Zukunft?

Und dann ist da ja auch noch der Klimawandel. Für das Heizen der Berliner Gebäude ist Gas der wichtigste Stoff – aber wie lange noch? Ungefähr die Hälfte aller CO2-Emissionen Berlins fallen im Gebäude-und Wärmesektor an. Die Grünen proklamieren in ihrem Wahlprogramm „den Umbau von Gas-und Ölkesseln auf klimafreundliche Heizungsanlagen, wie Solarthermie oder Wärmepumpen“ und wollen jedes Dach mit Solarmodulen belegen. Eine Regierungsbeteiligung der Grünen in Land und Bund in der nächsten Legislaturperiode ist wahrscheinlich. Und dann? Wird nach dem Atom- und Kohleausstieg der Gashahn abgedreht? Unsicherheit mögen Investoren gar nicht. Also ein Motiv mehr für die Konzerne, die Gasag jetzt zu verkaufen.

Das Stromnetz ist noch nicht gekauft

Finanzsenator Kollatz muss jedoch erstmal das Geschäft mit dem Stromnetz abwickeln. Im Oktober hatte Vattenfall überraschend den Senat über seine Verkaufsbereitschaft informiert, im ersten Quartal 2021 sollte der Vertrag unterschrieben werden. Über den Preis, der um die 2,2 Milliarden Euro betragen soll, ist man sich weitgehend einig. „Noch im April“ will Kollatz eine entsprechende Vorlage in den Senat einbringen, „mit anschließender Überleitung an das Abgeordnetenhaus“. Wenn das alles klappt in den nächsten Wochen, könnte der Senator Rückenwind bekommen für Verhandlungen über den Erwerb der Gasag. Bis September bleibt nicht mehr viel Zeit, und der nächste Finanzsenator wird wohl nicht Kollatz heißen, hört man in der SPD. Aber vielleicht schafft er ja noch einen Vorvertrag oder einen Letter of Intent mit Eon, Vattenfall und Engie.

Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz läuft die Zeit davon. Das Stromnetzgeschäft mit Vattenfall wollte er ursprünglich im ersten Quartal abgewickelt haben.
Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz läuft die Zeit davon. Das Stromnetzgeschäft mit Vattenfall wollte er ursprünglich im ersten Quartal abgewickelt haben.

© dpa

Kollatz agierte bislang unglücklich. Als er 2015 Eon als industriellen Partner des Senats für die Energiewende ausrief, forcierte er die Bereitschaft von Vattenfall und Engie, sich gegen Eon zu verbünden. Und die damaligen Gespräche des Senators über das Gasnetz und die Gasag-Anteile endeten wie das Hornberger Schießen. Kollatz vertraute dann wie sein Vorgänger Ulrich Nußbaum auf den juristischen Weg zur Gasnetzkonzession: Wenn das Netz beim Land ist, dann bekommt man die Gasag für kleines Geld. Diese Strategie beendete vor vier Wochen der Bundesgerichtshof.

Statt Friedrichs kam Gäde-Butzlaff

Zuvor hatte es es noch einen Wechsel im Aufsichtsrat der Gasag gegeben, der gravierende Folgen zeitigen sollte. Der Engie-Manager Manfred Schmitz löste Ende Januar Michael Hegel als Vorsitzenden ab. Der selbstständige Berater Hegel, der keinem der drei Konzerne zuzurechnen war, kennt Holtmeier aus gemeinsamen Tagen bei Sal. Oppenheim und hielt ihm den Rücken frei. Holtmeier machte sein Ding ohne größere Rückkopplung mit den Eigentümern, löste rasch einen Konflikt mit Kollatz über die Höhe der Konzessionsabgabe und verschaffte der Gasag die Mehrheit an den brandenburgischen Netzbeteiligungen. „Gerhard Holtmeier war schon eine Galionsfigur", heißt es in der Gasag-Zentrale über den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden, der 2018 Vera Gäde-Butzlaff abgelöst hatte. Damals gehört auch schon der Holtmeier-Nachfolge Friedrichs zum Kreis der Kandidaten für die Gäde-Nachfolge. Doch die Zeit war noch nicht reif für den Vattenfall-Mann. Mit Schmitz an der Aufsichtsratsspitze änderte sich das. Die Konzerne haben jetzt einen Mann im Vorstand, der nicht weiter stört bei der entscheidenden Aufgabe in den kommenden Monaten: Dem Verkauf der Gasag.

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