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Antisemitismus-Resolution im Bundestag: Wir brauchen eine Bildungsoffensive gegen Judenhass
Die Vermittlung von Wissen zu Antisemitismus ist bisher oft gescheitert. Nötig ist künftig lebenslanges Lernen, Unis und Schulen müssen dieses Wissen besser vermitteln. Auch deswegen ist die Bundestagsresolution dazu richtig.
- Marlene Schönberger
- Kai Gehring
Stand:
In den vergangenen Monaten wurden große rhetorische Geschütze sowohl für als auch gegen die Resolution „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ aufgefahren. So zerstritten die beiden Lager auch waren, bei einem sind sich erstaunlich viele einig: Bildung ist unabdingbar für die Bekämpfung von Antisemitismus. Antisemitische Einstellungen sind ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, unabhängig vom Bildungsstatus. Hier beginnt die Komplexität.
In den Debatten um Protest-Camps auf Hochschul-Campi wird teils so getan, als seien Universitäten ein Hort des Antisemitismus. Das ist mitnichten der Fall, sie sind vielmehr ein Abbild gesellschaftlicher Konflikte und Spannungen.
Gleichzeitig begegnet uns sehr oft das Vorurteil, dass Akademiker*innen qua ihres Bildungsgrades immun seien gegen antisemitische Denkmuster. In einer Auswertung von Zuschriften an den Zentralrat der Juden und die israelische Botschaft in Berlin konnten Monika Schwarz-Friesel und Jehuda Reinharz eindeutig den großen Anteil an Akademiker*innen nachweisen, die üble antisemitische Denkweisen und Stereotype reproduzieren.
Die Ursachen für Antisemitismus im akademischen Milieu werden oft ausschließlich in der postkolonialen Theorietradition verortet. Das ist ein Fehlschluss, die Gründe sind vielschichtiger.
Viele Universitäten haben sich sehr lange gewehrt, ihre Rolle im Nationalsozialismus aufzuarbeiten – in einigen hingen NS-Täter jahrzehntelang in Ahnengalerien. In den vergangenen Monaten haben viele Lehrkräfte darauf hingewiesen, dass sie durch ihr Studium nicht auf die Austragung geopolitischer Konflikte im Klassenzimmer vorbereitet wurden. Es mangelt an Wissen sowohl zu Antisemitismus und Rassismus als auch zu jüdischer Lebenswirklichkeit und dem arabisch-israelischen Konflikt. Wir haben an vielen Stellen dringenden Nachholbedarf.
Das alles führte zu etlichen Hilferufen von jüdischen Schüler*innen, Student*innen und Lehrkräften nach dem 7. Oktober 2023. Wie schlimm die Situation ist, lässt sich an den Zahlen der Meldestelle für antisemitische Vorfälle, RIAS, ablesen: Nach dem 7. Oktober stieg dort die Zahl der täglich gemeldeten Fälle von 7 auf 32.
Wir brauchen eine Bildungsoffensive: Lebenslanges Lernen gegen Antisemitismus. Denn man ist nur dann in der Lage ihm etwas entgegenzusetzen, wenn man ihn erkennen, einordnen und benennen kann. Sofern er noch nicht in ein abgeschlossenes Weltbild umgeschlagen ist.
Viel zu oft stehen jüdische Schüler*innen und Studierende, genauso wie Lehrkräfte und Dozierende allein da, weil es an der Unterstützung durch ihr unmittelbares Umfeld mangelt. Deshalb gehört in jedes Lehramtsstudium ein Modul zu Prävention von Antisemitismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Es gibt Lichtblicke: Lehrkräfte, die aktiv werden, aufklären und sensibilisieren wollen. Die Bundeszentrale für politische Bildung, einige Länder und die KMK stellen Schulen Unterrichtsmaterial zur Verfügung. Bewährte außerschulische Partner stehen Kollegien mit Expertise zur Seite. All das gilt es in die Breite zu bringen.
Viele Debatten über Repressionen, wenig Konstruktives
Die Wissenslücke bei gegenwartsbezogener Forschung zu Antisemitismus und jüdischen Lebenswirklichkeiten ist zu groß. Ein Institut zur jüdischen Gegenwartsforschung könnte Abhilfe schaffen. Während in den vergangenen Monaten heftig über Repressionen diskutiert wurde, gingen konstruktive Vorschläge wie dieser unter.
Das wollen wir mit dem fraktionsübergreifenden Bundestags-Antrag „Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen entschlossen entgegentreten sowie den freien Diskursraum sichern“ ändern.
Wir müssen kritisch aufarbeiten, warum wir in der Vergangenheit in der Vermittlung von Wissen zu Antisemitismus gescheitert sind. Wir müssen kritisch aufarbeiten, welche Leerstellen es im Studium gibt. Wir müssen endlich an jeder Universität ein Weiter- und Fortbildungsangebot zu Antisemitismus und Rassismus etablieren. Wir müssen uns fragen, warum es im Land der Täter*innen nicht möglich ist, flächendeckend und altersunabhängig über Antisemitismus und seine verheerenden Folgen aufzuklären.
Zu oft mangelte es am politischen Willen, zu oft kam der Reflex „Wir haben uns wirklich genug damit beschäftigt“ dazwischen. Dabei besitzen viele Menschen laut Studienlage kaum Wissen zu Antisemitismus und Nationalsozialismus. Das muss sich ändern. Entscheidend ist, dass sich Jüdinnen*Juden an Schulen und Hochschulen sicher fühlen – ein klarer Auftrag für eine Präventions- und Bildungsoffensive.
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