zum Hauptinhalt
Noch immer steigen die Zahlen von Covid-19-Patienten, die auf Intensivstationen wie am Uniklinikum Bonn eingeliefert werden. Firmen fordern jetzt mehr Unterstützung bei der Entwicklung von Therapien, denn noch gibt es keine spezifisch wirksamen gegen die Krankheit.

© Rolf Vennenbernd/dpa

Update

"Beat-CoV"-Initiative von Biotech-Firmen: "Schnellstmöglich" mehr Geld für Suche nach Covid-Arzneien

Impfstoffe allein genügen nicht: Deutsche Biotech-Firmen fordern 500 bis 750 Millionen Euro für die Entwicklung von Medikamenten zur Covid-19-Behandlung.

Der erste Impfstoff zum Schutz vor dem Coronvirus Sars-CoV-2 ist jetzt zugelassen, doch an Covid-19-Therapien mangelt es noch immer. Mindestens 500 bis 750 Millionen Euro sollten daher schnellstmöglich für die Entwicklung von Therapien gegen Covid-19 zur Verfügung gestellt werden, um sie „schnellstmöglich in die Versorgung zu bringen“. Das forderte am Mittwoch eine Initiative von Biotech-Unternehmen, die „Biotech Emergency Alliance for Therapies against COVID-19“ (Beat-CoV).

„Wir brauchen unbürokratische, schnelle finanzielle Unterstützung der besten Projekte, um wirksame Therapien möglichst schnell zur Zulassung und in die Vorproduktion bringen zu können“, sagte Daniel Vitt, Vorstandsvorsitzender der Biotech-Firma Immunic, neben den Unternehmen Atriva, Aicuris und InflarX Mitinitiator der Initiative.

Keine Konkurrenz zu Impfstoffen sondern wichtige Ergänzung

Ein interdisziplinär besetztes Gremium solle die dafür besten Projekte identifizieren. „Therapeutika sind keine Konkurrenz zu Impfstoffen, sondern eine wichtige Ergänzung“, sagte Holger Zimmermann, wissenschaftlicher Geschäftsführer von AiCuris. Angesichts der hohen Sterberate von derzeit 4000 Covid-19-Patienten auf deutschen Intensivstationen forderte Niels Riedemann, Intensivmediziner und InflarX-Firmenchef, „schnellstmögliche Unterstützung“.

Zumindest in Bayern scheint die Initiative mit ihrer Forderung offene Türen einzurennen: Die Regierungsfraktionen von CSU und Freie Wähler im bayerischen Landtag will den drei Säulen der bayerischen Corona-Strategie – Prävention, Diagnostik und Impfstoffe – eine vierte hinzufügen. Künftig wolle man nicht nur Gesunde vor der Ansteckung mit Sars-CoV-2 schützen, sondern auch Erkrankte vor schweren Verläufen und unabsehbaren Langzeitfolgen der Infektion mit dem neuen Coronavirus.

[Mehr aus der Hauptstadt. Mehr aus der Region. Mehr zu Politik und Gesellschaft. Und mehr Nützliches für Sie. Das gibt's jetzt mit Tagesspiegel Plus. Jetzt 30 Tage kostenlos testen]

Bereits in der kommenden Woche soll der bayerische Regierungsrat Fördermittel in Höhe von 50 Millionen Euro für von bayerischen Unternehmen entwickelte, erfolgversprechende Therapieansätze aus dem 20 Milliarden Euro schweren bayerischen „Sonderfonds Corona-Pandemie“ freigeben.

„Wir müssen alles tun, um die hohe Zahl täglich Sterbender zu vermindern“, sagte der Vorsitzende der CSU-Landtagsfraktion Thomas Kreuzer bei der Bekanntgabe der Therapiestrategie am Mittwoch. „Bis ein Impfschutz erreicht werden kann, wird einiges an Zeit vergehen." Deshalb wäre es ungeheuer hilfreich, wenn es gelänge, die Krankheit erfolgreich zu behandeln und damit die Zahl schwerer Verläufe und von Folgeschäden zu reduzieren, so Kreuzer.

„Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir auch im nächsten Jahr trotz Impfung eine Vielzahl von Infektionen sehen werden“, sagte Fabian Mehring, parlamentarischer Geschäftsführer des CSU-Koalitionspartners Freie Wähler. „Deshalb ist es politisch richtig, Therapien als vierte Säule der bayerischen Corona-Strategie zu etablieren.“

"Täglich ein Jumbojet voller Toter"

Bisher gebe es mehr als eine Million Infizierte in Deutschland, davon 300.000 mit aktiver Infektion und 15.000 Tote – täglich ein Jumbojet voller Toter –, erklärte Professor Clemens Wendtner, Chef der Infektiologie an der Münchener Klinik Schwabing.

Obgleich die Therapieoptionen auf der Intensivstation bei weitem nicht ausreichten, gebe es bis jetzt keine effektiven Therapien. Einzig das bereits seit langem eingesetzte und unlängst auch für die Covid-19-Behandlung zugelassene unspezifische Immunsuppressivum Dexamethason reduziere die Covid-19-Mortalität statistisch signifikant.

[Wenn Sie die wichtigsten Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Der Einsatz des Virostatikums Remdesivir hingegen werde seit kurzem wegen begrenzter Wirksamkeit nicht mehr von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlen. „Zuvor hatte Wendtner eingeräumt, dass die zur Verfügung stehende intensivmedizinische Versorgung nicht ausreiche, um kritisch erkrankte Covid-19-Patienten zu retten: „Wir müssen hilflos mit ansehen, wie diese Patienten sterben“, so der Intensivmediziner. „Das deutsche Gesundheitssystem kommt an eine Belastungsgrenze, wenn es nicht bald zusätzliche, neue Medikamente gibt.“

Bayerns 50 Millionen Euro-Förderung soll vor allem dort greifen, wo wegen Marktversagens oder schwieriger Finanzierung vielversprechende Forschungsvorhaben nicht schnell genug umgesetzt werden können.

Die 1997 etablierte als Netzwerkorganisation der bayerischen Biotechnologiebranche etablierte BIO-M GmbH hat Geschäftsführer Horst Domdey zufolge 17 Unternehmen identifiziert, die vielversprechende Covid-19-Therapien entwickeln. Es werde schnell ein Begutachtungsverfahren etabliert werden, um sieben bis acht der aussichtsreichsten Entwicklungsprojekte zu identifizieren und finanziell zu unterstützen.

Mit Stammzellen, Hemmstoffen und Antikörpern gegen Covid-19

Dafür in Frage kommen unterschiedliche Therapieansätze: von Stammzellen, die entzündungshemmende Signalstoffe ausschütten und so im späten Krankheitsstadium helfen könnten, über antivirale Wirkstoffe, die die Viruslast, Ansteckungsrate und Zahl der schweren Verläufe vermindern helfen, bis zu Antikörpern oder deren genetischer Information, die inhaliert werden und somit direkt in der vom Coronavirus befallenen Lunge die Krankheit bekämpfen.

[Aktuelle Informationen zum Coronavirus in Berlin lesen Sie in unserem Newsblog.]

Gehör für die Argumentation, dass Impfstoffe allein nicht ausreichen, die Pandemie zu kontrollieren, fand Domdey erstmals bei Tobias Reiß, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landtagsfraktion aus dem Landkreis Tischenreuth, der von der ersten Welle der Corona-Pandemie besonders schwer betroffen war: „Wenn wir in Bayern vorausgehen und per Dringlichkeitsantrag 50 Millionen Euro für eine Therapiestrategie bereitstellen, werden auch andere Bundesländer und der Bund am Ende folgen“, sagt Reiß.

Das Bundeswirtschaftsministerium habe bereits Kontakt zum Bundesforschungsministerium aufgenommen, um eine Therapieallianz mit dem Bund zu etablieren. Dies bestätigte Albert Rupprecht, der forschungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dem Tagesspiegel nach einer Videokonferenz mit Vertretern des Bundesforschungsministeriums: „Zusätzliche 50 Millionen an Bundesmitteln wurden in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses in der vergangenen Woche beschlossen. Abschließend genehmigt sind die Mittel, sobald in der nächsten Sitzungswoche der Haushalt 2021 abschließend vom Parlament beschlossen wurde.“

Widerstände gegen Neues

Mit der Förderung würde Deutschland als erstes Land in Europa einen Strategiewechsel in Sachen Covid-19-Eindämmung vollziehen. Denn von einem im März vom Bundesforschungsministerium initiierten 45-Millionen-Euro-Therapieprogramm floss nur knapp eine halbe Million in ein Projekt des bayerischen Therapieentwicklers – Eisbach Bio –, der Rest in akademische Projekte.

Die vom CORAT-Konsortium mit Landesgeld finanzierte Ausgründung CORAT GmbH hat etwa den virusneutralisierten Antikörper COR-101 binnen acht Monaten zur Klinikreife entwickelt – üblich sind zwei bis drei Jahre. Ein zuvor gestellter Förderantrag wurde laut Firmenmitgründer Thomas Schirrmann „als zu ambitioniert“ abgelehnt.

Noch im Sommer ließ ein Sprecher des Bundesforschungsministeriums auf Nachfrage verlauten: „Die Bewältigung der Pandemie kann schnell und nachhaltig gelingen, wenn Impfstoffe zur Verfügung stehen“, woraus sich eine hohe Priorität für die Impfstoffforschung ergebe. Eine Gegenüberstellung der Fördersummen für Impfstoffe vs. Therapien sei zum aktuellen Zeitpunkt deshalb „nicht zielführend“.

Auch ein am Montag beim Biotechnologie-Industrieverband BIO Deutschland eingetroffenes Antwortschreiben des Forschungsministeriums im Namen der drei zuständigen Bundesministerien BMBF, BMWi und BMG gibt keine konkrete Antwort auf die bereits im September gestellte Forderung des Verbandes,  ob man bereit sei, über die Einrichtung eines Fonds zur Unterstützung der Entwicklung und Vorproduktion von erfolgversprechenden Therapiekandidaten in fortgeschrittenem klinischen Entwicklungsstadium zu diskutieren.

Stattdessen wird allgemein ausweichend darauf hingewiesen, dass es ja bereits viele Förderprogramme für die Therapieentwicklung gebe. Laut Mehring könne die bayerische Therapiestrategie aber nur eine Initialzündung sein. „Bayern kann nicht allein gegen die Pandemie kämpfen. Wir erwarten vom Bund und vom Bundesforschungsministerium, dass weitere Mittel bereitgestellt werden.“

Die Haltung des Bundes in Sachen Covid-19-Therapien spiegelt sich auch im Verhalten einiger Länder. So hat das Land Hessen dem Unternehmen Biotest in Dreieich eine Co-Finanzierung des Plasmapräparates Trimodulin verweigert, das nach Unternehmensangaben die Sterblichkeit künstlich beatmeter Covid-19-Patienten im Rahmen einer Phase II-Studie um „50 bis 70 Prozent“ reduziert habe.

In einer kleinen Anfrage stellt die FDP dazu die Frage, weshalb behauptet werde, dass die benötigten zwölf Millionen Euro, die das Unternehmen im Erfolgsfalle zurückzahlen wollte, „die finanzielle Leistungsfähigkeit des Landes überschreite, obwohl der Landtag der Landesregierung mehr als zwei Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zur Verfügung gestellt“ habe.

Tropfen auf den heißen Stein

Aus Sicht der Therapieentwickler sind die zusammen mit Bayern avisierten 100 Millionen Euro zwar ein großer Anfangserfolg, zugleich aber auch ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn die Entwicklung eines einzelnen Antikörpermedikaments kostet laut Unternehmensgründer Schirrmann mindestens 80 Millionen Euro  – das aber nur unter optimalen Bedingungen und ohne Vormarktproduktion, „sonst eher viele hundert Millionen Euro“.

Bis zur Phase II, nach oder während der meist erst ein Pharmapartner gefunden wird, kosten die klinischen Studien schnell 25 Millionen Euro oder mehr. „Nur wenn wir die entsprechenden Geldmittel zur Verfügung haben, können wir die Entwicklung auch schnellstmöglich vorantreiben und bereits parallel zu den Phase I-Sicherheitstests die Phase II-Wirksamkeitstests vorbereiten", sagt Schirrmann.

Doch Investoren würden oft erst klinische Daten sehen wollen, bevor sie investieren. Dieses Abwarten kostet dem Unternehmer zufolge aber viele wertvolle Monate, die Zulassungsstudien verzögern sich, „und Covid-19-Patienten kann nicht geholfen werden.“

Der Markt für Covid-19-Therapien wäre da

Weshalb aber sind die großen Pharmafirmen bei der Lizenzierung von Covid-19-Arzneimitteln verglichen mit Impfstoffen bisher so zurückhaltend? „Big Pharma hat das Geschäftsfeld akute Infektionen bereits seit langem verlassen, was man ja auch bei der Antibiotika-Entwicklung sieht", sagt Attriva-Chef Rainer Lichtenberger. "Impfungen dagegen sind besser planbar, Grippe zum Beispiel ist ein Dauergeschäft.“

Zimmermann gibt sich optimistischer: „Sie müssen einmal schauen, zu welchem Zeitpunkt die großen Pharmafirmen die Vermarktungsrechte für Covid-19-Vakzine einlizenziert haben: nämlich nachdem öffentliches Geld für die Vakzinevorproduktion bereitgestellt wurde.“ Der Unternehmer ist sich sicher, dass die Telefone nicht mehr stillstehen werden, sobald die öffentliche Hand auch die Therapieentwicklung und -vorproduktion unterstützt, selbst bei einem unberechenbaren Geschäft wie der Covid-19-Pandemie.

Dass durchaus Potential vorhanden ist, darauf weist eine Studie der Wall-Street-Analysten von Cowen Inc. hin. Sie prognostizieren allein Covid-19-Antikörpern einen weltweiten Umsatz von zehn Milliarden US-Dollar in den nächsten fünf Jahren.

Indes kritisieren auch in Frankreich Firmen die verfehlte Förderpolitik der EU in Sachen Covid-19-Therapien. „Am 22. April veröffentlichte der wissenschaftliche EU-Covid-19 Ausschuss Richtlinien, die Europäische Investitionsbank rief zur Einreichung von Vorschlägen für ihr 5-Milliarden-Euro-Programm auf und stellte 50 Experten zur schnellen Überprüfung ein, um 100 COVID-19-Projekte zu unterstützen", erzählt Philippe Pouletty, Ex-Präsident des nationalen Biotechverbandes France Biotech und Chef der Firmen Abivax SA und Truffle Capital. "Aber von diesem Traum ist nichts eingetreten." Noch immer würden die Länder "auf eigene Faust" arbeiten. "Es gab ein kleines EIB-Programm mit langsamer Überprüfung, aber in der Zwischenzeit hatten die USA klare Richtlinien, Milliarden an Zuschüssen und eine einzige Überprüfungsbehörde – die FDA."

[Behalten Sie den Überblick: Corona in Ihrem Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihren Bezirk. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de]

Die USA haben die Spätphasenentwicklung und -Vorproduktion der zwei virusneutralisierenden Antikörper RegenCoV und CoV-Ly555 mit mehr als 800 Millionen US-Dollar im Rahmen der Operation Warp Speed unterstützt. Die Arzneien, die die Viruskonzentration im Frühstadium der Krankheit um das Zehnfache reduzieren, werden exklusiv hergestellt, um die US-Bevölkerung direkt nach Diagnose zu behandeln und so die den Virustiter, die Ansteckungsgefahr und Zahl schwerer Verläufe zu reduzieren.

Europa hingegen, sagt Pouletty, habe eine weitere Gelegenheit verpasst, eine Führungsrolle in der Biotechnologie zu übernehmen.

Thomas Gabrielczyk

Zur Startseite