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Als Verhaltensforscherin und Stimme für Natur und Tiere wurde Jane Goodall weltbekannt und inspiriert Millionen. Mich brachte sie dazu, ihr in den Schimpansenwald zu folgen.

© Patrick Eickemeier

„Mit freundlichen Grüßen, Jane Goodall“: Wie ich mich an die große Schimpansenforscherin erinnere

Als Verhaltensforscherin und Stimme für Natur und Tiere wurde Jane Goodall weltbekannt und inspirierte Millionen. Mich brachte sie dazu, ihr in den Schimpansenwald zu folgen.

Stand:

Was kann ich über die jetzt verstorbene Jane Goodall berichten? Eine eher unwesentliche Erinnerung drängelt sich vor – denn ich war in der Situation etwas peinlich berührt.

Ende der 1990er-Jahre hielt die weltberühmte Verhaltensforscherin, Tier- und Naturschützerin einen Vortrag in Frankfurt am Main. Ich fuhr drei Stunden von Köln aus dorthin, wie zu einem Konzert meiner Lieblingsband. Der Saal war voll, ich setzte mich wie viele andere auf den Boden.

Jane Goodall trat ans Rednerpult und begrüßte das Publikum mit den lauter und höher werdenden „Huh-Huh“-Rufen, mit denen Schimpansen ihre Anwesenheit weithin verkünden. Im Wald kann man sich auf Distanz nicht gut sehen, aber hören.

Jane Goodall reiste 300 Tage im Jahr, um möglichst viele Menschen zu erreichen.

© dpa/AP/Tommy Martino

Goodall steigerte sich bis zu einer erheblichen Lautstärke, das Mikrofon übersteuerte, aber das Publikum blieb still, auch ich. Dabei wusste ich, dass es nur darum ging, lautstark mit einzustimmen. Wie ein Schimpanse es tun würde. Die Rednerin brachte die kurze, etwas peinliche Stille, die stattdessen entstanden war, aber nicht aus dem Konzept. Nicht Jane Goodall.

Sie berichtete über ihre Mission, die Arbeit des in Washington D. C. gegründeten Jane Goodall Institute (JGI) für die Erhaltung von Primaten, den Schutz ihrer Lebensräume und die Ausbildung junger Menschen. Und über das Programm „Roots and Shoots“ („Wurzeln und Triebe“), um Kinder und Jugendliche weltweit dafür zu gewinnen, sich für Menschen, Tiere und die Umwelt zu engagieren.

Mich hatte Jane Goodall da schon lange gewonnen. Ich las ihre Bücher über die Schimpansenklans im Gombe-Nationalpark, „Wilde Schimpansen“ und „Ein Herz für Schimpansen“, Berichte über zehn und über 30 Jahre Forschung. Über den männlichen Schimpansen „David Greybeard“, der die im Wald ungewöhnliche Erscheinung der jungen Britin als Erster näher herankommen ließ.

Besucher des Gombe-Nationalparks sollen Abstand von den Schimpansen halten, um sie nicht anzustecken. Nicht alle Schimpansen halten sich daran.

© Patrick Eickemeier

Über „Flo“ und ihre Töchter, die ihre Jungen auf- und erzogen, über Schicksalsschläge, die einzelne Tiere hinnehmen mussten, über Marotten der Schimpansen und viele kleine Vorfälle bei den täglichen Beobachtungen im Wald am Ufer des Tanganyikasees in Tansania. Und auch über die Vorfälle, bei denen Schimpansen Schimpansen töteten.

Tausende Briefe

Jane Goodall hatte all das miterlebt. Mit einer Handvoll Nüsse als Tagesverpflegung, Stift und Notizbuch hatte sie sich den Tieren genähert, bis diese sie irgendwann als stille Beobachterin akzeptierten. Goodall dokumentierte als Erste, wie sie kleinere Tiere jagten und ihr Fleisch fraßen, und wie sie Werkzeuge herstellten, um damit nach Termiten zu angeln.

Es sind grundlegende Erkenntnisse über den nächsten lebenden Verwandten des Menschen, die in der damals männlich dominierten Fachwelt aber nicht gleich akzeptiert wurden.

Zu ungewöhnlich der Werdegang der jungen Forscherin, zu ungewöhnlich ihr Ansatz, den Tieren Namen zu geben, von denen viele auch noch aus J. R. R. Tolkiens „Herr der Ringe“ stammten. Zu ungewöhnlich auch, wie sie sich in das Wesen der Schimpansen einzufühlen vermochte, ihre oft menschlich anmutenden Reaktionen nachvollzog. Und ihre tief empfundenen Gefühle.

Nach dem Vortrag stellte ich mich in die lange Signierschlange. Ich hatte Jane Goodall bereits Jahre zuvor angeschrieben, als Biologie-Erstsemester. Mit dem ganz sicher eindringlich geschilderten Wunsch, in Gombe mitzuforschen, aber ganz sicher ohne Idee, wie sich das finanzieren ließe, und ganz sicher ohne konkrete Forschungsfrage.

Goodall muss Tausende solcher Briefe erhalten haben. Wie ich später erfuhr, beantwortete sie alle. Persönlich. Ich hatte ihre Antwort auf meinen ersten Brief in das Buch eingelegt.

Ein signiertes Buch habe ich verschenkt, die Briefe von Jane Goodall an mich werde ich behalten.

© Patrick Eickemeier

Goodall entfaltete ihr Briefpapier mit „Fifi-angelt-Termiten“-Motiv und wandte sich dann mir zu, schüttelte meine Hand. Sie sagte mir, wie wichtig es sei, dass junge Menschen sich einbringen und dass ich dranbleiben müsse. Dass sie sich darauf verlässt.

Endlich in Gombe

Nach Gombe kam ich erst etwa zehn Jahre später – als freier Wissenschaftsjournalist, der seine Tansaniareise ganz sicher nicht vollständig mit Honoraren für Artikel würde finanzieren können. Den von Jane Goodall vermittelten Kontakt zum britischen JGI hatte ich nicht abreißen lassen und nun war ich endlich da. Zumindest fast.

Zunächst galt es, vom Haus direkt am Ufer des Sees die steilen Hänge hinauf und in den Wald von Gombe hineinzulaufen. Ich war nervös wie ein Fan in einer Autogrammstunde. Ich würde zum ersten Mal in meinem Leben wilde Schimpansen sehen – und wahrscheinlich würde ich ihre Namen kennen und vielleicht auch Teile ihrer persönlichen Geschichte.

Nachts fror ich in meinem Tropenschlafsack in der ganz schön kühlen Brise vom See, auf dem Bett, das normalerweise Jane Goodall bezog, wenn sie vor Ort war. Ich verbrachte drei Tage in Gombe, dem lange anvisierten Ziel.

Nach erfolgreicher Jagd teilten die Schimpansen die Beute.

© Patrick Eickemeier

Ich traf Frodo, einen Spross der berühmten F-Familie, ein Rüpel unter Artgenossen und auch Menschen, sogar Goodall persönlich soll er bisweilen bedrängt haben. Dann war da der zurückhaltendere Freud, der im gleichen Jahr geboren worden war wie ich. Die Ranger hatten ihn lange Zeit zuvor nicht gesehen und bereits vermutet, dass er gestorben sei. Hier saß er und widmete sich der Fellpflege eines Freundes.

Da war eine erfolgreiche Jagd auf kleinere Stummelaffen und jede Menge Schimpansenalltag: spielen, raufen, fressen, kuscheln, klettern, rufen. Meine Begleiter Anthony und Shadrack hatten mich zuverlässig zu den besten Beobachtungspositionen gebracht.

Unvergesslich auch ein Ameisenbau, auf den ich mich setzte, um die Jagdereignisse zu verfolgen. Ich musste mich weitgehend und recht hastig entkleiden, um mich von den aufgebrachten Insekten befreien zu lassen. Anfängerfehler.

Eine Gruppe italienischer Touristen war ebenfalls in den Park geführt worden. Ich hatte zu Hause die gelbe Musterung auf meinen eigens angeschafften Trekkingschuhen dunkel übermalt, da ich gelesen hatte, dass man im Park auf grelle Farben verzichten sollte. An einem der Touristen war das offenbar vorbeigegangen: Er trug zu seiner feuerroten Trainingsjacke die passende feuerrote Trainingshose.

Die Touristengruppe wurde nach einer Stunde bei den Schimpansen wieder weggeführt. Ich durfte bleiben und die das Fleisch teilenden und kauenden Schimpansen um mich herum noch eine Weile beobachten. Ich durfte noch etwas Zeit in der Welt von Jane Goodall verbringen. Kostbare Zeit, die ich mir heute noch immer wieder vor Augen rufe.

Meinen letzten Brief von Jane Goodall hatte ich kurz vor meinem Besuch in Frankfurt erhalten. Sie hatte meinen Namen an das JGI-Büro im Vereinigten Königreich weitergeleitet.

Ihr Schreiben schloss sie, wie vielleicht auch viele andere an die vielen anderen wie mich. „Mein Rat: Versuche es weiter. Ich glaube, wir brauchen Leute wie Dich. Mit freundlichen Grüßen, Jane Goodall“

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