zum Hauptinhalt
Der Käfig für Versuchsmäuse enthält Futter, Wasser, Einstreu und Nistmaterial, mit dem sich die Tiere beschäftigen können.

© -/Initiative Tierversuche verstehen/dpa

Lehren aus der Pandemiebekämpfung: „Behörden überschreiten routinemäßig Fristen für Tierversuchsanträge“

Die Entwicklung von Covid-19-Impfstoffen ist ein Lehrstück erfolgreicher Grundlagenforschung. Auch für deutsche Behörden, sagen unsere Gastautoren.

Stand:

Vor wenigen Tagen hat die Zahl der Corona-Impfungen in Deutschland mit einem mRNA-Impfstoff 15 Millionen Impfdosen überschritten. Dieses Tempo wird in den nächsten Wochen noch rasant zunehmen und damit hoffentlich unzähligen Menschen das Leben retten.

Noch Anfang letzten Jahres hatte kaum jemand jemals von mRNA-Impfstoffen gehört und doch ist es den Firmen BioNtech/Pfizer und Moderna gelungen einen solchen Impfstoff gegen Covid-19 in kürzester Zeit zu entwickeln, zu testen und genehmigt zu bekommen und so innerhalb nur eines Jahres nach Ausbruch der Pandemie eine Impfkampagne zu ermöglichen.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]

Die Grundlagen einer Erfolgsgeschichte

Als Teil des Methodenspektrums moderner biomedizinischer Forschung nahmen Tierversuche dabei eine herausragende Stellung ein. Sie kamen und kommen in der Forschung und bei der Sicherheitsprüfung neuer Medikamente dort und nur dort zum Einsatz, wo es keine Ersatzmethoden gibt.

Das ist europaweit streng geregelt. Die Sicherstellung der Unerlässlichkeit und der ethischen Vertretbarkeit jedes Versuchsvorhaben ist zwingende Voraussetzung für die behördliche Genehmigung, ohne die kein Tierversuch durchgeführt werden darf. Kompetent und fristgerecht durchgeführt garantiert dieses Verfahren sowohl bestmöglichen Tierschutz, als auch eine leistungsfähige Forschung.

Der Erfolg und die Geschwindigkeit der deutschen Covid-19-Impfstoffentwicklung waren dabei nur möglich, weil zwei Faktoren zusammenkamen. Damit sind die Erfahrungen der letzten Monate ein Lehrstück, nicht nur für die Bekämpfung des nächsten hochansteckenden Virus, sondern für die Rahmenbedingungen leistungsfähiger biomedizinischer Forschung insgesamt.

Brigitte Vollmar ist Vorsitzende der DFG-Senatskommission für tierexperimentelle Forschung und Stefan Treue ist Vorsitzender der Steuerungsgruppe der gemeinsam von der Allianz der Wissenschaftsorganisationen getragenen Initiative „Tierversuche verstehen“.

© Promo/Peter Heller, Montage: Tsp

Antigene und schnörkellose Vorgehen

Für den ersten Faktor lohnt sich ein Blick 20 Jahre in die Vergangenheit. 1997 nahm die Deutsche Forschungsgemeinschaft ein Verbundprojekt mit dem Titel „Mechanismen der Tumorabwehr und ihre therapeutische Beeinflussung“ in ihre Forschungsförderung auf. Für mehr als ein Jahrzehnt ermöglichten diese Mittel die Kombination vieler Methoden (Zellkulturen, Tierversuche, Computersimulationen, etc.) und Grundlagenforschung zur Hemmung des Wachstums von Krebszellen.

Ein Fokus lag dabei auf Molekülen auf den Oberflächen von Krebszellen. Diese sogenannten Antigene schienen ein guter Ansatzpunkt für das körpereigene Immunsystem zu sein, Tumorzellen anzugreifen und zu vernichten. Allerdings erkennt das Immunsystem diese Antigene nicht als etwas, was es zu bekämpfen gilt. Die Lösung brachte die Idee, mittels sogenannter mRNA (kurz für messenger RNA, Englisch für Boten-RNA) dem Immunsystem beizubringen, wie die Antigene der Krebszellen aussehen und diese als fremdartig zu erkennen.

Dieser Ansatz war eine der Grundlagen für die Entwicklung einer mRNA-Impfung zur Bekämpfung von Krebs. So bilden nun heute diese Jahrzehnte der Grundlagenforschung zur Tumorentstehung und Hemmung, unter anderem durch das Team um Ugur Sahin und Özlem Türeci, die Basis für die scheinbar kometenhafte Entwicklung der aktuellen mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19.

Doch ohne einen zweiten Faktor würden wir wohl noch heute auf die Zulassung eines Covid-19-Impfstoffs warten: Weltweit realisierten die für die Zulassung neuer Medikamente zuständigen Behörden, dass sie nicht nur sorgfältig prüfen müssen, ob der neue Impfstoffkandidat sicher und effektiv ist, sondern auch die hochbürokratisierten Entscheidungsverfahren zu beschleunigen.

Dieses schnörkellose Vorgehen führte so zu einer enormen Verkürzung eines ansonsten Jahre andauernden Genehmigungsverfahrens und ermöglichte gleichzeitig den besten Patientenschutz auf der Basis von Computermodellen, Studien in Zellkulturen, an Versuchstieren und mit menschlichen Freiwilligen.

Essentielle Chancen für die Zukunft

So ergibt sich aus der Erfolgsgeschichte des Teams um Ugur Sahin und Özlem Türeci und dem BioNTech Impfstoff unser Appell an die aktuelle und zukünftige deutsche Regierung und Gesetzgebung in der bisherigen Förderung erkenntnisgeleiteter Grundlagenforschung und der Weiterentwicklung ihres Methodenmix nicht nachzulassen.

Der mindestens ebenso wichtige Handlungsbedarf hin zu sorgfältigen und trotzdem fristgerechten behördlichen Entscheidungsprozessen ist in Deutschland hingegen bisher ein Wunschtraum.

Deutsche Behörden überschreiten routinemäßig die gesetzlichen Entscheidungsfristen für Tierversuchsanträge und gefährden so die Konkurrenzfähigkeit der biomedizinischen Forschung in Deutschland, ohne erkennbaren Gewinn für das Tierwohl.

Die Erfolge und Misserfolge im Kampf gegen die aktuelle Pandemie lehren uns damit, dass wir zukünftige medizinische Herausforderungen nur mit der langfristigen Förderung einer starken Grundlagenforschung, einer Sicherstellung und Weiterentwicklung eines breiten Spektrums an biomedizinischen Methoden einschließlich verantwortungsbewusster Tierversuche und schnellstmöglichen behördlichen Entscheidungsprozessen bewältigen können.

Nur wenn wir diese Erkenntnisse ernst nehmen und umsetzen, haben wir die Chance, den bekannten und noch unbekannten zukünftigen medizinischen Herausforderungen schnell und wirkungsvoll zu begegnen.

Professor Dr. Brigitte Vollmar ist Direktorin des Rudolf-Zenker-Instituts für Experimentelle Chirurgie der Universitätsmedizin Rostock und Vorsitzende der DFG-Senatskommission für tierexperimentelle Forschung, Professor Dr. Stefan Treue ist Direktor des Deutschen Primatenzentrums – Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen und Vorsitzender der Steuerungsgruppe der gemeinsam von der Allianz der Wissenschaftsorganisationen getragenen Initiative „Tierversuche verstehen“.

Brigitte Vollmar, Stefan Treue

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })