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Bücher wälzen ist der neue Punk: Seid rebellisch, geht studieren!
Das gesellschaftliche Misstrauen gegenüber Studierten und Studierenden scheint zu wachsen. Was liegt da näher, als dem Establishment durch Lernen eins auszuwischen?

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Ein guter Freund gestand mir mal mit Blick auf seinen Sohn, der größte vorstellbare Akt der Auflehnung sei nicht, dass dieser vielleicht irgendwann in der Fußgängerzone sitzen, Dosenbier trinken und lauten Punk aus schlechten Lautsprechern hören könnte.
Stattdessen wäre eine für ihn kaum hinnehmbare Form der Rebellion, wenn dieser sich zum 17-jährigen Yuppie entwickeln würde, mit FAZ-Abo, Gelfrisur und einem Wunderbaum – Geruchsrichtung „New Car“ – an der Kinderzimmerpinnwand.
Was mögen die Universitäten wohl für Rebellenhochburgen sein, wenn im Spießerkabarett mit heiligem Ernst in der Stimme gemahnt wird: Man müsse genauer hinsehen, „was da für Leute an unseren Hochschulen den Ton angeben“? Ist das Studium selbst inzwischen die Manifestation des Subversiven?
Sicher, auch in der Vergangenheit stand man als angehender Akademiker bisweilen im Verdacht, einen unnötig üppigen Wortschatz, ausreichend Tagesfreizeit und zu zarte Hände für „echte Arbeit“ zu haben. Heute klingt es manchmal so, als müsse man sich für Studienabsichten schämen.
Renitenz ist unerwünscht
Noch bevor klar ist, was ihre Kinder „der Gesellschaft“ entwendet haben könnten, um es unmittelbar nach der Schulzeit mit einem Pflicht-Freiwilligendienst zurückzugeben, feiert bereits die Mumie der Wehrpflicht ein bemerkenswertes Comeback in den Kommentarspalten.
Auf LinkedIn verlangt der Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer angesichts der Zeitenwende mit stählernem Blick, man solle aufhören, das Studium zu romantisieren und dafür „anpacken statt Bücher wälzen“. In Berlin hat man aus dem ehemaligen „Landeskonzept Berufs- und Studienorientierung“ gleich die Studienorientierung gestrichen und spricht nur noch von Berufsorientierung.
Mit Dienst, Bund und Beruf wäre der Tag dann auch ausreichend gefüllt und man verplempert keine Zeit, sich auf Straßen zu kleben, Hörsäle zu besetzen oder sonst irgendwie renitent zu sein. Wäre damit folglich das Studieren nicht die zwangsläufige Gegenbewegung? Wäre eine mündige und kritische Abiturientia, das Bücherwälzen nicht der neue Punk?
Die Diskurse an den Unis sind eine Zumutung
In jedem Fall eignet sich ein Studium für jene, die sich für nachhaltige Antworten auf aktuelle und zukünftige Herausforderungen interessieren. In den Hochschulen wird um diese Antworten häufig hartnäckig gerungen. Diese Diskurse werden von außen mitunter als Zumutung empfunden. Doch nur so werden die Köpfe ausgebildet, die es braucht, damit sich der Körper auch weiterhin halbwegs elegant bewegt.
Wer sich diese Art der Auflehnung vorstellen kann: In den kommenden Tagen gibt es an nahezu allen Berliner Hochschulen Tage der offenen Tür, an der TU Berlin sogar eine ganze Woche der Studienorientierung.
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