zum Hauptinhalt
Carmen Scheibenbogen ist Leiterin des Fatigue Centrums an der Berliner Charité und hat unlängst das Bundesverdienstkreuz erhalten.

© Laif/Daniel Hofer

Chronisches Erschöpfungssyndrom: Carmen Scheibenbogen will dagegen Medikamente finden

Die Leiterin des Fatigue Centrums an der Berliner Charité hat ein großes Ziel: Medikamente gegen ME/CFS zu entwickeln. Noch immer fehle es an Akzeptanz für die Krankheit, sagt sie.

Von Anna Dotti

Hunderttausende sollen es sein, aber niemand kennt die genaue Anzahl der Erkrankten mit dem Chronischen Fatigue-Syndrom (CFS) in Deutschland, das auch Myalgische Enzephalomyelitis (ME/CFS) genannt wird. Es gibt keine spezifischen Medikamente für die Behandlung, keine medizinische Fachgesellschaft. Das möchte Carmen Scheibenbogen ändern.

Für ihr Engagement hat die Leiterin des Fatigue Centrums an der Berliner Charité unlängst das Bundesverdienstkreuz bekommen. Darüber sei sie überrascht, aber auch froh gewesen, erzählt sie: „Vor allem freut mich, dass es durch die Anerkennung leichter wird, Versorgungsstrukturen für diese Patient:innen aufzubauen.“

Daran arbeitet die 60-jährige Ärztin seit Jahren. Laut Scheibenbogen leiden schätzungsweise zehn Prozent der Long-Covid-Erkrankten unter diesem besonders einschränkendem Syndrom, sodass sich ihre Arbeit mit dem Ausbruch der Coronapandemie deutlich intensiviert habe. Oft sitze sie bis abends vor dem Laptop in ihrer Wohnung in Berlin. Dann beantworte sie E-Mails von Ärzt:innen und Erkrankten, die um Unterstützung bitten. „Ich habe gerade fast keine Freizeit, oft nicht mal um mit meinem Hund spazieren zu gehen“, sagt sie.

Faszination für das Immunsystem

Naturwissenschaftlerin wollte Scheibenbogen schon als Kind werden, ihre Leidenschaft für das Immunsystem habe sie während der Zeit an der Universität entdeckt, erzählt sie. Die gebürtige Bayerin hat 1982 ein Medizinstudium in Bonn angefangen und es in Marburg zu Ende gebracht. Als Studentin arbeitete sie 1987 ein Semester in einem US-amerikanischen Krankenhaus in Denver.

Was fasziniert sie an dem Immunsystem? „Wie es funktioniert, mit vielen unterschiedlichen Zellen und Abwehrfaktoren, die uns vor Infektionen schützen“, antwortet Scheibenbogen. „Vergleichbar Komplexes findet sich nur im Nervensystem.“

Immer trösten, oft helfen, selten heilen: Das war das Credo damals in der Tumorbehandlung und das ist heute eine wichtige Lehre für die Behandlung des CFS.

Carmen Scheibenbogen

Nach zwei Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Freiburg zog die Ärztin 1990 für ihre Ausbildung in Hämatoonkologie und Rheumatologie nach Heidelberg. An der Charité nahm sie 1998 eine Stelle als Oberärztin an und gründete eine Arbeitsgruppe zur Tumorimmunologie. Die jahrelange Arbeit in der Onkologie habe sie sehr geprägt: „Immer trösten, oft helfen, selten heilen: Das war das Credo damals in der Tumorbehandlung und das ist heute eine wichtige Lehre für die Behandlung des CFS.“

Was tun gegen CFS?

Was kann man gegen das CFS tun? Den Patient:innen zuhören: Laut der Ärztin sei das der erste Schritt. Erschöpfung, Schlaf- und Kreislaufprobleme sowie eine fehlende Konzentrationsfähigkeit sind die häufigsten Symptome des CFS. Lange ist dieses als psychische Krankheit eingestuft worden. Auch heute diagnostizieren viele Ärzt:innen das CFS nicht, erklärt Scheibenbogen: „Es fehlt an Akzeptanz, gesellschaftlich und medizinisch gesehen.“

Carmen Scheibenbogen ist Leiterin des Fatigue Centrums an der Berliner Charité und hat unlängst das Bundesverdienstkreuz erhalten.
Carmen Scheibenbogen ist Leiterin des Fatigue Centrums an der Berliner Charité und hat unlängst das Bundesverdienstkreuz erhalten.

© imago images/teutopress / imago images/teutopress

Seit 2007 leitet Scheibenbogen das Institut für Immunologie der Charité und spezialisiert sich auf das CFS. Im Laufe der Zeit haben sich immer mehr Erkrankte aus ganz Deutschland an sie gewendet: „Mir wurde klar, ich sollte Strukturen aufbauen, um die Versorgungsmöglichkeiten für die Patient:innen zu erhöhen“, sagt sie.

Zusammen mit internationalen Kolleg:innen hat sie 2015 das europäische Netzwerk für CFS gegründet. 2021 hat sie außerdem ein Berliner Netzwerk mit niedergelassenen Ärzt:innen aufgebaut, spezialisiert auf das Long-Covid-Syndrom.

Die Entwicklung von Medikamenten für die CFS-Behandlung bleibe aber Scheibenbogens größtes Ziel. Daran arbeitet sie im Charité Fatigue Centrum, das sie 2018 eröffnet hat. Mit einer Förderung von rund zehn Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) baut die Ärztin gerade eine nationale klinische Studiengruppe auf, in der Arzneimittel zur Behandlung von CFS getestet werden.

Zur Startseite