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Computer-Grafik von Coronaviren

© Getty Images/Moment RF

Update

Corona-Variante KP.2 breitet sich aus: Bislang kaum Anzeichen für eine Sommerwelle

In vielen Ländern setzt sich gerade eine leicht mutierte Version von Sars-CoV-2 durch. Bislang gibt es allerdings nur wenig Anzeichen für eine Sommerwelle.

Stand:

Es ist wie ein Déjà-vu: Eine neue Variante von Sars-CoV-2 breitet sich derzeit in Deutschland und anderen Ländern aus, zugleich registrieren Frühwarnsysteme einen ganz leichten Anstieg der Infektionen. Droht also eine Sommerwelle?

Ausschließen lässt sich das derzeit nicht, allerdings gibt noch kaum Warnzeichen. Klar ist, dass sich die neue Variante KP.2 ausbreitet und die bislang dominierende Variante JN.1 verdrängen könnte. Beide gehören zur Gruppe der „FLiRT“-Varianten. Diese sind späte Abkömmlinge von Omikron, der Name leitet sich von zwei charakteristischen Mutationen ab.

Seit April 2024 nimmt der Anteil an KP.2 in vielen Ländern rapide zu. Laut Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) lag er in Deutschland in der 19. Kalenderwoche (6. bis 12. Mai) bei rund 19 Prozent. Fünf Wochen zuvor waren es nur drei Prozent gewesen. Eine ähnliche Entwicklung sieht man auch in anderen europäischen Ländern. In den USA liegt der Anteil bereits bei 28,5 Prozent.

Dass immer wieder neue Virusvarianten auftauchen, ist zunächst völlig erwartbar. „KP.2 ist Teil der schrittweisen Evolution von Sars-Cov-2“, sagt Emanuel Wyler vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch. „Viren und die Immunität dagegen in der Bevölkerung verändern sich ständig. Es ist daher nicht zu erwarten, dass es je zu einem Stillstand kommen wird.“

KP.2 vermehrt sich, verglichen mit bisherigen Varianten, schneller. Laut den Analysen einer japanischen Forschergruppe ist in den USA die effektive Reproduktion von KP.2 gegenüber JN.1 um 32 Prozent höher. Aber auch das ist keine Überraschung: „Dass KP.2 im Vergleich zu JN.1 eine höhere Reproduktionszahl hat, ist eine Selbstverständlichkeit – sonst wäre es ja gar keine neue Variante, die wir bemerken würden“, sagt Wyler.

Entscheidend ist die Frage: Infizieren sich nun insgesamt wieder mehr Menschen mit dem Coronavirus und werden womöglich sogar stärker krank? Systematisch getestet werden Menschen schon lange nicht mehr. Einen Hinweis für Deutschland können Daten aus dem „Grippe-Web“ geben.

Auf dieser Online-Webseite des RKI können sich Menschen über 16 Jahren aus ganz Deutschland registrieren. Einmal wöchentlich sollen Sie dann einen Fragebogen ausfüllen, über Atemwegserkrankungen und Symptome berichten und Angaben zu Coronatestergebnissen machen. Aus diesen Daten kann man die Häufigkeit in der Gesamtbevölkerung hochrechnen.

Zelle (blau), die von Coronaviren (rot) infiziert wird.

© picture alliance/dpa/EUROPA PRESS

Die neusten Daten für Deutschland stammen aus der 20. Kalenderwoche (13. bis 19. Mai). In dieser Zeit ist die Zahl aller akuten Atemwegserkrankungen im Vergleich zur Vorwoche leicht gesunken – von 5700 auf 5100 pro 100.000 Einwohnern. Auch grippeähnliche Symptome sind niedrig und steigen nicht an – beide Werte befinden sich auf einem Niveau, wie es in den vorpandemischen Jahren zu dieser Jahreszeit typisch war.

Einen geringfügigen Anstieg gab es gemeldeten Coronainfektionen. Die waren seit Ende des Vorjahres immer weniger geworden, stiegen bis zur 20. Kalenderwoche auf den schätzten Wert von 200 Covid-19-Fällen pro 100.000 Einwohnern an. Für die 21. Kalenderwoche wurde der Wert dann aber nur auf 100 geschätzt, es lässt sich also noch kein Aufwärtstrend ablesen.

Einen ganz leichten Anstieg sieht man bei der Überwachung der Klärwerke – hier landen ausgeschiedene Viren und lassen sich mit modernen Analysemethoden nachweisen. „Die besten Daten, die wir derzeit über Coronavarianten erhalten, stammen aus der Überwachung der Abwässer“, sagt Emanuel Wyler, der die molekularbiologischen Vorgänge bei Virusinfektionen erforscht. „Mit der gesammelten europäischen Überwachung hat die EU etwas sehr Beachtliches hingekriegt.“

Einmal im Monat veröffentlicht das „EU Wastewater Obsservatory for Public Health“ einen Monatsbericht. In Deutschland werden dafür Daten von 148 Wasserwiederaufbereitungsanlagen verwendet, was 32 Prozent der Bevölkerung abdeckt. Die Viruslast liegt hier zwar noch auf sehr niedrigem Niveau, ist aber während der vergangenen vier Wochen angestiegen. Sie lag in der 21. Kalenderwoche (20. bis 26. Mai) bei 50.000 Genkopien von Sars-CoV-2 pro Liter Abwasser. Zum Vergleich: Anfang April waren es 22.000, auf dem Höhepunkt der letzten Winterwelle 829.000.

Den Fehler, hier etwas auszuschließen, mache ich nicht noch einmal.

Emanuel Wyler, Molekularbiologe.

Man kann also einen zaghaften Anstieg sehen, doch ob sich der zu einer höheren Welle anwachsen wird, kann derzeit niemand sagen. Allgemein ist noch nicht sicher, ob sich bei Sars-CoV-2 ein strenger jahreszeitlicher Rhythmus etablieren wird, oder ob dieser immer wieder durch neue Mutationen durcheinander gebracht werden könnte.

Schaut man sich die neue Virusvariante im Detail an, so scheint es keinen Grund für größere Sorge zu geben. Bei KP.2 sind im Vergleich zu JN.1 nur drei Aminosäuren im Spikeprotein, mit dem die Viren an Zellen andocken, verändert. Grob kann man sagen: Je größer die Veränderung, desto schwerer kann das Immunsystem eine neue Variante abfangen. „Bei JN.1 war der Mutationssprung größer, was vermutlich zu dem Anstieg der Infektionen im Spätherbst beigetragen hatte“, sagt Wyler.  

Den größten Mutationssprung gab es bei der Entstehung von Omikron, verglichen damit war auch der Sprung zu JN.1 deutlich kleiner. Könnte sich das wiederholen? „Den Fehler, hier etwas auszuschließen, mache ich nicht noch einmal“, sagt Wyler. „Schon in der Zeit der Deltavariante haben ich und andere Wissenschaftler spekuliert, dass die Evolution nun nur noch in kleineren Schritten verlaufen würde – und dann hat uns Omikron überrascht.“

Schwerlich beantworten lässt sich auch die Frage, ob eine neue Variante wieder zu schwereren Verläufen führen könnte. „Ob eine Variante stärker krank macht als eine andere, lässt sich in Menschen gar nicht mehr ermitteln, weil dafür auch immer die vorherrschende Immunität in der Bevölkerung entscheidend ist“, sagt Wyler.

Alarmierend wäre, wenn Krankenhauseinweisungen im Zusammenhang mit Coronainfektionen unerwartet steil ansteigen, doch das ist im Moment nirgends der Fall. Entsprechend gelassen können die meisten Menschen daher auf die neue Virusvariante blicken. Ein wenig Vorsorge bleibt aber sinnvoll: „Wenn sich von den Risikogruppen niemand mehr impfen lässt“, warnt Wyler, „würde es auch zu mehr schweren Verläufen mit Corona kommen.“

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